Seite:Die Gartenlaube (1864) 047.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

erinnerte ihn, warum er die That begangen, und ein Hauch des herben Richtergeistes, der ihn gestern erfüllte, überkam ihn. Jetzt nahen eilende Schritte; Stimmen rufen den Prior, Menschen dringen in die Stube. Wer? was? er sieht und hört es nicht, er weiß nur, daß er jetzt seines Lebens schwersten Gang zu gehen hat – – und er geht, aufrecht, lautlos, mit einem Gesicht, das schon jetzt die Meduse sieht …

Im Thorweg standen die Mönche um eine Tragbahre. Eine grobe Decke war darüber gebreitet; schwer vom Regen, zeichnete sie die Umrisse eines Körpers, der darunter lag; eine Hand sah auf der einen Seite vor, eine fahle Manneshand. Alle wußten durch die beiden Schiffsknechte, welche daneben standen, wer zu ihren Füßen lag, aber Keiner berührte noch die Hülle, sie schwiegen und schauderten. Durch das offene Thor wehte der Regen. Die Donau rauschte.

Da tritt der Prior in den Kreis, und Einer beugt sich nieder und schlägt die Decke zurück. Benedictus! das schwarze Gewand triefend und zerrissen, das Gesicht entstellt vom Wasser, vom Tod; jeder Zug schmerzlich verzerrt oder zerstört, nur die Stirne unentweiht, klar und erhaben. Ein Fieberfrost schüttelte die Hünengestalt Gregor’s, und sein Gesicht hatte die Farbe des Todten, aber wer von den Anwesenden zitterte nicht? wer wäre bei solchem Anblick nicht erblaßt? Pater Hieronymus war’s, der zuerst das Wort ergriff.

„Wann habt Ihr ihn gefunden?“

Die Frage war an einen Alten in grauer Jacke und Wasserstiefeln gerichtet, der verlegen seine Mütze in den Händen drehte. Er strich das feuchte Haar aus dem wettergebräunten, ehrlichen Gesicht und sprach: „Genau kann ich das Hochwürden nicht sagen; auf unsrer Schwarzwälderuhr war’s Sieben, also wird es wohl um Acht herum gewesen sein. Wie Hochwürden wissen, wohne ich drunten, nah’ bei Felsdorf, mit meinem Schwiegersohn, dem Hans da“ – er wies auf seinen jüngeren Gefährten. – „Unser Haus liegt keinen Büchsenschuß weit vom Wasser. Wir sind Fährleute, und wenn die ver – wenn die Dampfschiffe nicht wären, könnten wir vom Fischen allein leben. Heut’ früh also zieh’ ich g’rade meine Stiefel an, und meine Tochter ist g’rade ihrem Blitzbuben, dem Sepperl, nachgelaufen, weil er immer auf die Kähne steigt und dabei in’s Wasser fällt; der Hans da aber rasirt sich g’rade für die Feiertage – da kommt der Blitzbub, der Sepperl, in die Stube gelaufen und schreit: Großvater, der schwarze Mann! der schwarze Mann liegt im Wasser! Gleich hinterdrein stürzt meine Tochter, weiß wie die Wand, und sagt: Jesus Maria! draußen hat’s einen todten Mann angeschwemmt, und es ist ein Pater vom Kloster! Und sie fängt an zu weinen und zu lamentiren, und der Sepperl und die kleine Franzel machen’s natürlich gleich der Mutter nach, und meine Alte, die im Bett liegt und die Gicht hat und nicht recht hört, schreit: Hülfe, zu Hülfe! Du Narr, sag’ ich zu meiner Tochter, bild’ Dir doch so was nicht ein, im Wasser seh’n Alle schwarz aus. Aber innerlich hat’s mir einen Stich gegeben, denn mein Vater und Großvater selig waren beim Kloster angestellt, und ich bin stolz darauf. Ich zwinkre dem Hans zu, und wir gehen hinaus und sperren das Weibervolk und die Gründlinge ein. Und richtig, zwischen meinem Boot und dem Heuschiff liegt der arme Pater Benedict. Ich glaubte, mich trifft der Schlag; wir zieh’n ihn an’s Land, reiben ihn, stellen ihn auf den Kopf, aber er ist und bleibt todt, denn dem Aussehen nach hat er schon lang im Wasser gelegen. Da holten wir eine Trage und schleppten ihn hierher, ich und mein Schwiegersohn, der Hans da.“

Der Erzähler that einen tiefen Athemzug und wischte sich mit seinem Aermel den Schweiß von der Stirne, dann fuhr er mit gedämpfter Stimme fort: „Wir hätten durch Felsdorf gehen können, das wäre eine gute Stunde näher gewesen. Aber das hätte ein Zusammenlaufen und Aergerniß gegeben, und mein Vater und Großvater selig haben zum Kloster gehört, und ich bin stolz auf unser Kloster. So gingen wir denn den Waldweg und über die Felsen, und es hat uns Niemand gesehen, Hochwürden!“

Das Wort des Alten: „Ich bin stolz auf unser Kloster!“ klang dem Prior in’s Herz, wie ein Trommelwirbel dem Soldaten. „Halte aus!“ sagte er sich selbst und gab dann leise den Befehl, Benedict nach seiner Zelle zu bringen. Zwei Brüder und die Schiffer trugen den Todten, hinter ihnen schritt Gregor, die Uebrigen schlossen sich an.

Der düstere Zug bewegte sich über den Hof. Da, unter dem Kreuzbild, wankte der Prior und brach zusammen. Die Patres sprangen hinzu, aber er richtete sich selbst empor und winkte „Vorwärts!“

„Ich glaub’s wohl, daß es ihm arg in’s Herz greift,“ flüsterte Hieronymus zu seinem Begleiter; „Benedict hat sich ertränkt, das ist die Sache … Gott sei der armen Seele gnädig!“

„Selbstmörder“ nannten die Mönche unter einander den Todten. „Glaubenszweifel und Gewissensangst haben ihn dahin gebracht.“ „Ertrunken“ hieß es schonend in den Acten des Kreisrichters, der Nachmittags mit dem Gerichtsarzt zur Leichenschau kam. Die klösterliche Strenge schien für diesen Tag gelöst, man kam und ging in den Zellen aus und ein, oft waren vier, fünf Patres in einer Stube beisammen, um vom Verstorbenen, von den Abgründen des Geistes und vom Schmerz des Priors zu reden. Der Letztere ward den Tag über nicht mehr sichtbar, er hielt sich eingeschlossen und horchte auf das Rauschen und Murmeln der Donauwellen. Vor Sonnenuntergang läuteten die Glocken zum letzten Mal, denn es war der Mittwoch vor dem grünen Donnerstag. Trotz Wind und Wetter wurde die Kirche von Andächtigen dicht gefüllt. Sollte doch Pater Benedict, der gewaltige Redner, die Predigt halten!

Der aber war in der Zelle beigesetzt, die er lebend bewohnt hatte. Das ärmliche Geräth war daraus entfernt worden, und sie enthielt nichts als den düstern Thron des Todes, die Bahre. Am offenen Sarge beteten zwei Vater für die arme Seele; sie wurden stündlich von zwei andern abgelöst. Um elf Uhr Nachts hatte sich der Prior zur Todtenwache gemeldet. Er mußte, wenn er nicht den Vorwurf übertriebener Härte oder – Schwäche auf sich laden wollte. Schaudernd verzögerte er den Entschluß von Stunde zu Stunde, und es ward späte Nacht, bevor er ihn aussprach. Als seine Stunde schlug, verließ Gregor das Gemach und schritt durch den Corridor nach Benedict’s Zelle – wie gestern.

Er trat ein …

Zwei Kerzenlichter, die zu fahl brennen, um die Düsterkeit des Bildes zu mildern, aber hell genug, um sie zu offenbaren! Gregor’s erster Blick fiel, scheu und angstvoll, auf den Todten, ob er sich nicht zornig aufrichten und rufen werde: „Hinweg!“ – Nein, dies Antlitz trug zu deutlich schon die Signatur des Grabes. Ein zweiter Blick galt dem Mönch, der zu Häupten der Bahre kniete. Es war Ambrosius, ein Greis mit schneeweißem Haar und einem Gesicht, das von der nahen Auflösung die Verklärung vorausnahm. Dieser Mönch war seit einem halben Jahrhundert im Kloster und seit zwanzig Jahren blind. Er sprach nur selten, oft hörten seine Ordensbrüder Monate lang kein Wort von ihm, und wenn er antwortete, war seine Rede kurz und dunkel, wie Orakelsprüche.

Der Prior kniete aufathmend im Betstuhl nieder, der für ihn dicht am Sarge stand; seine Angst vor dem lebendigen Zeugen dieser Stunde war beschwichtigt. Er barg sein Antlitz in beide Hände, um die Leiche nicht zu sehen, und versuchte zu beten. Vergebens! Die Gedanken stürzen vom Himmel zurück; sein Ohr, alle Sinne richten sich auf das Geräusch, das wie Stimmengetös der Unterirdischen in die Stille der Nacht und des Todes tönt: der Strom rauscht und zischt, braust und brandet an die Mauern. Bald ist’s Gregor im Wirbel seiner Sinne, als säh’ er die Wellen sich’ aufbäumen, am Fenster wie Arme emporgreifen, und Häupter mit weißen Schaumkronen nach ihrem Opfer blicken … Dann gewöhnt sich sein Ohr; das Brausen sinkt zum leisen Schluchze n und Klagen herab. Und nun erhob Gregor das Haupt und starrte die Leiche an.

„Was denn ist es,“ fragte er sich selbst, „daß eine einzige Welle alle Gedanken und Empfindungen, Pläne und Wünsche in diesem Gehirn auslöschte, und daß eine Ewigkeit zwischen Heut und Gestern gähnen kann? Entseelt, sagt die Kirche, der Leib zerfällt, doch die Seele fliegt auf, ist unsterblich. Und soll dies klägliche Schauspiel zwischen Geburt und Tod aber Norm und Schicksal der Unsterblichen sein? soll sie um dieser Spanne Zeit willen ewig glückselig oder ewig verflucht werden? Und wenn die Seele Höheres ist als der Leib, warum vermag sie nichts gegen dessen Vernichtung, nach der ihre Verdammung kommt?“

Gregor trat der Angstschweiß auf die Stirn. Ihn, den Glaubensstarken, beschlichen Gedanken, wie er sie bisher niemals dachte, Fragen wurden in ihm laut, auf die er keine Antwort fand.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_047.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)