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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Gefahr sprach und dann zeigte, wie man in derselben Treue beweisen könne und müsse. Auch erließ ich auf meine eigene Hand die folgende Proclamation: „„Da in den jetzigen Zeiten, wo die Verordnungen nicht durch die ordentlichen Behörden zu Jedermanns Kenntniß gelangen können, Mancher aus Unwissenheit fehlt, auch durch Unterlassung seiner Pflicht unrecht handelt, wodurch er künftig verantwortlich und strafbar wird, so halte ich es als rechtlicher Mann für meine Pflicht, wenigstens so viel ich kann, durch Ermahnen und Warnen Andere zu ihrer Pflicht zu bewegen und dadurch dem Vaterlande nützlich zu werden. Es halten sich nämlich viele Soldaten hier und in den Dörfern auf, ohne zur Armee oder dahin zu gehen, wo so viele ihrer Cameraden hingehen. Einige haben gegen mich selbst geäußert, daß kein Befehl vorhanden wäre, nach welchem sie zu ihrem Corps gehen sollen, Andere behaupten, sie hätten sich selbst rancionirt und gehörten Niemandem an. Allen diesen mache ich hiermit bekannt, daß es ausdrücklicher Befehl Sr. Majestät ist, daß jeder Soldat, auch der sich selbst rancionirt hat, längst hätte zur Armee gehen sollen. Ich ermahne und warne also Jeden, sein Vergehen dadurch gut zu machen, daß er ungesäumt zu seiner Pflicht zurückkehrt, da ihm die Unwissenheit nicht mehr zu Statten kommen kann. Um die Richtigkeit meiner Warnung zu beweisen, werde ich hier eine Verfügung des Elbinger Magistrats bekannt machen, die ich in der Zeitung soeben gelesen und woraus sich Jeder überzeugen wird, daß diese Behörde lediglich nach den ergangenen königlichen Befehlen gehandelt, und daß alle Behörden so handeln werden, wenn dieses zu ihrer Kenntniß kommen wird.““ (Es folgt nun eine Verfügung des Elbinger Magistrats mit der Überschrift: „„Wohlgemeinte Ermahnung und Warnung an alle sich hier und in den Dörfern aufhaltenden, von ihren Corps versprengten Unterofficiere und Soldaten.““)

„Die Wirkung dieser von mir erlassenen Proclamation,“ fährt Steinbrück fort, „war, daß auch kein Einziger abfiel! Auch den Katholiken, die mehr als ein Viertel der Einwohner ausmachten und die ebenfalls meine Aufforderung zu lesen bekamen, muß ich das ruhmwürdige Zeugniß geben: sie blieben treu und kamen von da ab sehr oft zu mir in die Kirche, Einige sogar alle Sonntage. Da aber der Magistrat sich der polnischen Regierungscommission gegenüber auch darüber ausweisen mußte, daß er die Proclamation dieser sogenannten Regierung habe publiciren lassen, so ließ er dies durch den Küster thun, und wie dieser darüber von mir eine Bescheinigung forderte, schrieb ich unter die Proclamation: „Dies hat der Magistrat durch den Küster bekannt machen lassen, der auch allein diese Schande zu verantworten hat.““

Es leuchtet ein, daß ein so entschiedenes Vorgehen gegen die Absichten der augenblicklich fast allein mächtigen Partei den Haß derselben erregen mußte und daß die polnische Regierungscommission nicht lange anstehen würde, einen so offen auftretenden Gegner unschädlich zu machen. Dazu kam, daß im Orte selbst ein den Polen vollkommen ergebenes Werkzeug lebte, welches Sorge trug, das ihnen feindliche und ihre Pläne, wenigstens so weit sein Einfluß reichte, durchkreuzende Vorgehen Steinbrück’s seinen Gönnern und vermeintlichen Vorgesetzten geziemend und in aller Eile zu berichten. Dies war der Landrichter V…, den, als er aus seinem Vaterlande vertrieben war, der König Friedrich Wilhelm III. in seine Staaten aufgenommen und angestellt hatte. V…, ein Mensch von niedriger und egoistischer Gesinnung, hatte sich, wie viele Beamte in jener Zeit, durch große Versprechungen verleiten lassen, die Partei der Polen zu ergreifen. Steinbrück kannte seine Gesinnung wohl und wußte, wessen er sich von ihm zu versehen hatte. Bereits im November des vorhergehenden Jahres hatte der Landrichter an der Tafel eines benachbarten polnischen Edelmanns in Gegenwart unseres Predigers ungescheut seine Sympathien für die Polen und für Napoleon bekannt, und als er deshalb offen von Steinbrück zur Rede gestellt war, hatte er diesen gewarnt und ihn auf die große Gefahr aufmerksam gemacht, in die er sich durch sein unerschrockenes und, wie V… es nannte, „unüberlegtes“ Reden bringen könne. Dieser schon vor Monaten geführten Rede gemäß handelte nun auch der Landrichter V… in Friedland; er unterzeichnete nicht nur jene Proclamation, sondern strich auch überall in den schon gefertigten Verfügungen die Worte „Königlich Preußisch“ aus und setzte „im Namen der Regierungscommission“ an die Stelle. Auch suchte er vielfach die Bürger zum Abfall zu verleiten und schickte auch Steinbrück eine derartige Bekanntmachung zu. Der aber antwortete, „daß er seinen Verstand verloren haben müsse; wie er so schlecht handeln könne? der König von Preußen habe ihm Amt und Ehre verliehen, da er aus seinem Vaterlande weggejagt sei!“

Hierauf denuncirte nun V… wider Steinbrück bei der Regierungscommission in Bromberg und erklärte derselben geradezu, daß alle ihre Bemühungen vergeblich sein würden, so lange Steinbrück in Wirksamkeit sei. Der ganze Kreis hinge ihm an, deshalb müsse er aus dem Wege geräumt werden. Täglich erwartete der Landrichter nun die gefängliche Abführung seines Gegners, um dessen Leben es geschehen war, sobald er erst einmal in der Gewalt der Polen sich befand. Hatten dieselben doch erst vor Kurzem den Bürgermeister von Labeczin nach Posen abführen und dort erschießen lassen, weil dieser neuausgehobene Rekruten nicht, wie die Commission ihm befohlen, zu den Polen, sondern zu den Preußen geschickt hatte.

Wie durch ein Wunder entging jedoch Steinbrück der über seinem Haupte schwebenden Gefahr, während der Denunciant, der nur auf den Sturz seines Gegners lauerte und sich selbst ganz sicher wähnte, von seinem Geschick ereilt wurde.

Jenes von dem Landrichter abgesandte Schreiben kam nämlich durch einen Zufall in die Hände der preußischen Husaren vom Regiment Würtemberg, die einen Cordon zwischen den Preußen und den rebellischen Polen gebildet hatten. Diese schickten ein Commando zur Aufhebung des Landrichters ab. An einem nebligen Morgen, anfangs Januar, zog eine in Mäntel gehüllte kleine Reiterschaar in die Stadt. Kaum erhält V… davon Kunde, als er freudig vor die Thür springt und, da er die Reiter am Pfarrhause halten sieht, ausruft: „Jetzt holen sie den Pfaffen!“ Bald aber sieht er sich bitter getäuscht. Die Reiter waren keine Polen oder Franzosen, sondern jenes Commando preußischer Husaren, die den Auftrag hatten, den Herrn Landrichter V… aufzuheben und auf die Festung Graudenz zu transportiren. Die Schuljugend kam gerade aus der Schule, als man V… auf einem Leiterwagen aus der Stadt führte. Er verhüllte mit dem Mantel sein Gesicht, nicht allein aus Scham, sondern auch zum Schutz gegen die Steinwürfe der lieben Jugend. Zufällig befand sich damals in jener Knabenschaar ein späterer Freund und Amtsbruder des ältesten Sohnes des Prediger Steinbrück, der jenem oft von diesem Tage und seiner eigenen Betheiligung an dem Vorfall erzählt hat.

Die Polen waren über die Abführung eines ihnen ergebenen Beamten sehr aufgebracht; sie sorgten zunächst dafür, daß das Auftreten Steinbrück’s der „Commission“ bekannt werde, die dann auch nicht lange säumte, Repressalien zu gebrauchen und an dem widerspänstigen Priester in Friedland Rache zu üben. Es wurde zu seiner Aufhebung ein Commando von Bromberg abgeschickt und beschlossen, ihn zum warnenden Beispiel öffentlich erschießen zu lassen. Glücklicher Weise wurde Steinbrück noch zur rechten Zeit gewarnt. Zwei Meilen von Friedland machte das Commando zum letzten Male auf seinem Marsche Halt; hier wollte man den Einbruch der Nacht abwarten, um den Schlafenden um so sicherer festnehmen zu können. Eine Pächterfrau, bei der ein Theil der Mannschaft einquartiert war, und die aus dem geheimnißvollen Auftreten der Leute und aus der Richtung des Weges, auf dem sie weiterziehen wollten, nichts Gutes für unsern Pastor ahnte, mit dem sie, als geborene Colbergerin, in ihren patriotischen Gesinnungen lebhaft sympathisirte, hatte durch wiederholtes Fragen und Forschen endlich – trotz des strengen Verbotes – von einem Soldaten erfahren, daß ihre Befürchtungen nur zu begründet waren und daß es in der That auf den Pastor Steinbrück in Friedland abgesehen sei. Sie macht sich sogleich auf, eilt noch spät am Abend nach Friedland und theilt dem Pastor mit, welche Gefahr ihm drohe, wenn er nicht sogleich durch die Flucht sich rette; morgen früh werde es dazu schon zu spät sein. Da galt es, einen schnellen Entschluß zu fassen. Nach kurzem Abschied von Weib und Kind, die er der Obhut seiner am Orte wohnenden Schwiegereltern übergiebt, verläßt der Verfolgte sein Haus, ohne jedoch den Seinigen das Ziel, dem er zueilt, zu nennen, um sie nicht in Gefahr zu bringen; auch wußte er wohl selbst noch nicht, wohin er sich wenden sollte. Er eilt zunächst einer tief im Walde, weit von der Straße entfernt liegenden Mühle zu; der Müller läßt ihn noch in derselben Nacht über die pommersche Grenze fahren, und so war er wenigstens augenblicklich vor den Polen in Sicherheit. Das zu seiner Aufhebung abgesandte Commando fand, als es am Morgen in der Stadt anlangte, eine tiefgebeugte Pfarrersfrau und ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_057.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)