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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

aus ihren Dachluken graben müssen und ihnen, wie man sagt, die Hasen durch den Schornstein in die Küche fallen. Ich hatte mich eben bei dem Wirthe nach einem Haare erkundigt, einem Haare, wie man es selten unter die Scheere bekommt, lang, fein und von einem Glanze, als wäre es mit Goldstaub bestreut. Aber das saß gewaltig fest, und wenn Unsereiner dann und wann so im Vorübergehen einen Blick nach den Fenstern des Häuschens warf, dann hättet Ihr nur einmal das Gesicht sehen sollen. Buh! man hätte sich fast fürchten können! Wir Alle ließen aber nicht ab und dachten: kommt Zeit, kommt Rath, gut Ding will Weile haben. Ich saß also droben wieder in der Schenke und hatte eben vom Wirthe vernommen, daß in jenem Hause die bittere Noth eingekehrt sei; die alte Frau wäre schon seit geraumer Zeit kränklich und das Bischen ersparte Geld sei, wie er bemerkt habe, zu Ende, und vielleicht säße das Haar heute nicht mehr so fest, wie sonst. Gerad hatt’ ich mich erhoben und wollte just nach meinen Sachen greifen, als eine alte, auf allen Jahrmärkten herumziehende Schwammhändlerin eintrat und mich mit den Worten begrüßte: „Na, Dicker, kannst heute einen Krug einschenken lassen, ich soll Dich zum Bärble hinunterholen, wirst schon wissen, warum. Dem armen Ding geht’s freilich fast an’s Leben; aber du lieber Gott – –“

Ich gab dem Wirthe schnell einen Wink, daß er einschenken sollte, und eilte davon, denn ich wußte, daß ein Camerad von mir, ein Heiligenstädter, ebenfalls heute noch hierher wollte, und da galt’s Eile. Das Bärble trat mir mit verweinten Augen auf der Hausflur entgegen. Ich gestehe, sie that mir leid, aber ein Blick auf ihren Kopf machte mich wieder fest. Ein Brabanter Thaler schlug durch, und wir traten ein. In der freundlichen Stube fand ich Reinlichkeit und Ordnung. Sämmtliches Geräthe jedoch trug das Gepräge arger Bedrängniß. Ich warf einen Blick auf die alte, weinende Mutter. Die arme Frau! Sie mochte fühlen, daß das Opfer ihr jetzt gebracht würde, und wies den Thaler, als fürchte sie sich vor seiner Berührung, laut jammernd zurück. Mir selbst wurde dabei ganz sonderbar zu Muthe. Doch die Begierde, dieses außerordentlich schöne Haar zu besitzen, welches wie ein goldener Strahl den Rücken herabfiel, siegte wieder über meine Gefühle. Schon hatte ich mein Reff abgesetzt und einige hübsche Tücher zurechtgelegt, die ich dem netten Mädchen außer dem Brabanter Thaler übergeben wollte, schon spielten meine Finger unter einer Strähne und die Scheere war zum Schnitt bereit, als mir eine starke Stimme zurief: „Haltet ein, Holländer, haltet ein!“ Das Mädchen fuhr wie ein Blitz in die Höhe. „Gott, das ist der Fritz, der Fritz!“ Mit einem Sprung war sie vom Schemel weg, eilte nach dem offenen Fenster, und wie ich mich umdrehte, hing die Dirne schon am Halse eines hübschen Jungen. Was soll ich weiter erzählen? Es war eben der Fritz, ihr Jugendgespiele, ihr Geliebter. Das war Rettung in der Noth, und somit war’s mit meinem Handel nun vorbei. Es that mir arg leid um das schöne Haar, das ich nun nicht bekommen konnte. Aber im Grund meiner Seele freuete ich mich doch, daß das schmucke Kind nun ihre schönen Flechten nicht herzugeben brauchte. Ich steckte meinen Brabanter wieder zu mir, raffte meine Sachen zusammen und eilte in die Schenke zurück. Wie ich später erfuhr, war der Fritz der Pfarrerssohn vom nächsten Dorfe, der das Bärble schon lieb gehabt, ehe er nach der Residenz ging und sich als Maler ausbildete. Jetzt war er mit mehreren seiner Commilitonen auf der Reise nach der Heimath und hatte es sich nicht versagen können, bei dem hübschen Mädchen vorzusprechen und ihr seine Ankunft anzuzeigen. Einige Jahre später hat er auch sein Bärble heimgeführt, und wie ich höre, hat einer seiner Freunde, der damals mit ihm nach der Heimath zog, die Scene des Wiedersehens in einem prächtigen Gemälde verherrlicht, das ich freilich nie gesehen. Gott schenke der braven Tochter ein glückliches Leben! Doch nun, Trude,“ setzte er hinzu, „mach’ daß unser Gast da zu seinem Speckstreif kommt, und trag uns Allen eine tüchtige Schüssel Kernemelks pap[1] auf.“

Ich drückte dem Alten die Hand und noch manchmal bin ich in der Folge bei dem wackeren Ehepaar eingesprochen. Als ich aber das letzte Mal in’s Dorf kam, da war der Alte heimgegangen, und der älteste Sohn, der nun auch das Geschäft aufgegeben hatte, hauste bei seinem inzwischen stocktaub gewordenen Mütterchen allein.

  1. Eine mit Syrup versüßte Buttermilchsuppe.




Der Kranz am Marterl.
Eine Geschichte aus dem bairischen Hochland.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)

Bei den Vorwürfen, die das Mädchen dem Lipp machte, erröthete er und kaute an seinem Bart. „Stell’ Dich an, wie Du willst, Binl," sagte er, „und wenn Du Dich noch so krautig machst, ich weiß doch, was dahinter steckt. Du stellst Dich nur so an, damit man’s nicht merken soll! Aber ich seh’ Dir’s doch an es ist Dir nichts Neu’s, was ich Dir gesagt hab’ … Du kennst den Burschen und weißt, wo er steckt!"

„Und wenn’s so wär?" sagte sie, stolz vor ihn hintretend. „Wenn Du so gut lesen kannst in meinem Gesicht, dann steht’s gewiß auch drinn’ geschrieben, daß dafür gesorgt ist, daß Du ihn nit findest!"

„Das glaub’ ich kaum! Fort kann er nit sein … wir haben ihn eingekreist! Wenn er also nit hinunter ist über die lange Wand … so muß er in Deiner Hütten versteckt sein!"

„Probir’s halt, ob Du ihn find’st!"

„Das ist just nit schwer … Du sitzest nit umsonst wie angenagelt da vor der Kellerthür! … Und was ist denn da am Boden? Ein Blutstropfen! – Richtig – unser Wild ist angeschossen und hat geschweißt … die Fährt’ geht bis daher, willst Du es leugnen, daß der Fuchs im Keller sitzt?"

„Ich sag’ nichts, als was ich Dir heut schon einmal gesagt hab!" rief sie zornig. „Mach, daß Du Deine Weg’ weiter kommst … in meiner Hütten hat mir Niemand was einzureden – da bin ich Herr! … Geh!"

Lipp zuckte die Achseln und wich nicht von der Stelle. „Wenn ich auch gehn wollte," sagte er, „was thät’s nützen? Die Andern gingen doch nicht, die sind nicht so weichherzig … Und was meinst Du, wenn der Vetter mitkommt, ob der nit glaubt, er wär der eigentliche Herr in der Hütten?"

Als sie schwieg, trat er zutraulich näher. „Schau, Binl, ich mein’s gut mit Dir," sagte er einschmeichelnd, „sag mir’s, ob er da ist – sag’s, eh die Andern kommen, ich will Dir helfen … es ist schön von Dir, wenn Du den armen Menschen retten willst … es ist mir völlig schwer auf’s Herz gefallen, was Du vorhin gesagt hast vom Schergenknecht …"

„Wenn ich Dir glauben dürft’ …" sagte Sabine unsicher und sah ihn mit den großen, flammenden Augen zweifelnd und fragend an.

„Du darfst mir glauben," sagte er noch treuherziger, aber mit lauerndem Blick, der nach der Blöße des Gegners späht, um den Dolch in die schutzlose Stelle zu bohren. „Mir thut der Rebeller auch leid … und wenn sie ihn noch erschießen thäten, das wär’ das Wenigste – das wär’ ein leichter und ein geschwinder Tod, aber mich schaudert, wenn ich daran denk, was ihm Anderes bevorstehen kann!"

„Und was?" flüsterte sie ängstlich überrascht. „Was wär’ das?"

„… Es ist herausgekommen," erwiderte er eben so leise, aber mit Nachdruck … „er ist nicht blos ein Rebeller gewesen … er hat auch einen Mord begangen …"

„Einen Mord!" rief Sabine und sprang entsetzt auf.

„Still, nit so laut!" beschwichtigte er. „Nicht jetzt … schon vor Jahren ist das geschehn! … Mich wundert, daß Du’s nit errathst, und hast mir doch erst gestern selber erzählt von Deinem Verdacht …"

„Heilige Mutter …" schrie sie auf, stürzte auf Lipp zu, faßte seine Hand und sah ihm starr in die Augen. „Das ist nit wahr, Lipp! Sag nein … das kann ja nit wahr sein!"

„Gewiß ist’s freilich nit — aber es wird doch kaum anders

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_062.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)