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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Sehen Sie da und dort, zwanzig Schritte weiter die Vertiefungen im Boden quer über den Weg?“

„Ja, ich sehe sie. Woher rühren sie?“

„Die Dänen hatten zwei Palissadenreihen quer über die Straße gebaut, um hinter ihnen den Durchgang zwischen den beiden Forts nach der Altstadt zu vertheidigen.“

„Nun, und wo sind die Palissadenreihen geblieben?“

„Es war zu lächerlich,“ sagte der Advocat, „zweimal haben sie die Palissadenreihen in zwei Tagen aufgebaut, und wieder niedergerissen. Ihre Unentschlossenheit war eben so groß, wie die Lust, hier, mitten in Rendsburg Halt zu machen in ihrer Retirade.“

„Und wie war ihr Abzug?“

„Kläglich, ganz still und lautlos. Es lag ein dichter Nebel. Sie verschwanden fast ungesehen. Dann stieg die Sonne hinter den grauen Nebelvorhängen empor, feurig, glänzend, die Häuser und der Wasserspiegel erschienen wie in goldenes Licht getaucht. Und mit der Sonne zogen die Sachsen ein, von unendlichem Jubelruf begrüßt, und aus allen Fenstern flatterten in demselben Moment die schleswig-holsteinischen und die deutschen Fahnen. O, es war ein herrlicher Augenblick nach so langer, trüber Zeit!“

„Ist es denn wahr, daß die Dänen Alles fortgenommen und mitgeschleppt haben, was nicht niet- und nagelfest war?“

„O nein,“ erwiderte er lachend, „sie haben sogar das mitgenommen, was niet- und nagelfest war. Sie haben die Oefen aus den Baracken gebrochen, sie haben die Laternenpfähle dort drüben ausgerissen; in den Casernen, im Lazareth fehlt Alles, sie haben sogar die Nägel aus der Wand gerissen, an denen sie Kleidungsstücke aufgehängt hatten. Im Telegraphenamt fehlen alle telegraphischen Instrumente. Man erzählte mir, daß sie sogar die Fußböden aufgerissen und aus den Bretern Kisten gezimmert haben.“

„Und das Geld in den Cassen?“

„Glauben Sie etwa, daß die Dänen Geld liegen lassen? Nein, das wäre doch zu naiv!“

Wir waren am „Südjütlands-Brückenkopf“ angekommen. Der Name umschließt eine kolossale Frechheit, und zwar eine zweifache Frechheit, einmal, indem Schleswig „Südjütland“ genannt wird, dann, indem sie mit dieser Benennung die Grenze Schleswigs bis mitten in die Stadt Rendsburg verlegen. Aber wenn es auf dänische Anmaßung ankommt, da kann man ja über gar nichts erstaunen! Nun gingen wir links an dem Fort abwärts, immer an der Eider entlang, durch den sogenannten Schlangenweg und über die Schiffbrücke nach der Schleuße zu. Im Sommer ist dieser Weg ein sehr angenehmer Spaziergang. Links schweift das Auge über die blaue Wasserfläche des Flusses, welcher sich hier zu einem weiten Becken ausdehnt, rechts erheben sich hinter duftigen Wiesen die charakteristischen Häuser der Altstadt. Heute deckte die ganze Umgebung eine weiße Schnee- und Eisdecke. „Wohin führen Sie mich denn eigentlich hier, Freund?“ fragte ich den in schnellem Schritt neben mir gehenden Advocaten.

„Wohin? nun, nach dem Kronwerk. Sie sollen doch die Hannemänner ganz in der Nähe sehen. Sehen Sie da drüben den Danebrog? Er ist auf halben Stock aufgezogen, wegen der Trauer.“

Richtig, drüben am andern Ufer des Flusses flatterte lustig der Danebrog, das weiße Kreuz im rothen Felde auf hoher Stange. Noch einige hundert Schritt, und wir waren im Kronwerk angekommen. Die Scenerie war sehr belebt. Hier, gleich neben uns, waren eine Compagnie sächsischer Infanterie und eine Abtheilung Pioniere beschäftigt Erdschanzen aufzuwerfen. Mühsam arbeitete der Spaten in dem gefrornen Boden. Drüben am andern Ufer des Flusses standen das Zollhaus und einige andere Gebäude, welche dänische Infanterie besetzt hielt. „O,“ sagte der Advocat, „kommen Sie, Sie können die Dänen noch näher haben. Auf zehn Schritte sollen Sie Hannemann sehen.“ Wir gingen an dem Wasserbecken entlang bis dahin, wo dasselbe durch eine Schleuße mit einem zweiten, weiten Wasserbecken verbunden war. Die Schleuße hatte eine Breite von ungefähr zwanzig Schritt. Ueber derselben lag eine Brücke, welche aufgezogen werden konnte. Jenseits derselben standen zwei dänische Posten. Hier, auf der andern Seite standen ihnen zwei sächsische Posten gegenüber. Die Dänen hatten das Gebäude, welches ihnen als Wachthaus diente, durch eine hohe Palissadenreihe gegen die Brücke zu geschützt. Hier drüben hatten die Sachsen ihre Wache ebenfalls in einem hart am Ufer liegenden Gebäude eingerichtet, und eine Palissadenreihe gerade derjenigen der Dänen gegenüber erbaut. Officiere und Soldaten gingen ab und zu. Viele Soldaten standen an der Schleußenbrücke und schauten plaudernd hinüber. Vor dem sächsischen Wachthause wehten die schleswig-holsteinische und die deutsche Fahne. So nahe haben sich Deutsche und Dänen lange nicht gegenüber gestanden.

„Was meint ihr, Kinder?“ fragte ich die neben uns stehenden Unterofficiere und Soldaten, „wollen wir nicht hinüber über die Brücke und die Hannemänner aus dem Lande treiben?“

„O,“ erwiderte einer der Unterofficiere, „wenn wir nur dürften, wie wir wollten, die Dänen wären auch schon aus Schleswig. Aber da stehen wir hier und dürfen nicht vorwärts, und da drüben plündern die Dänen die schleswigschen Dörfer aus. Nie dürfen wir wieder nach Dresden kommen, wenn wir die Dänen nicht aus dem Lande getrieben haben. Man wird uns verachten. Und so denken wir Alle, die Soldaten und die Unterofficiere. Und es liegt doch nicht an uns.“

„Ja, so denken wir Alle,“ sagte ein zweiter Unterofficier, „alle Sachsen. Auch die Hannoveraner denken so. Wir gehen nicht wieder zurück nach Altona.“

Da trat ein Rendsburger Bürger heran, als er uns bemerkte. Ich kannte ihn recht gut, noch von früher her. „Schändlich,“ rief er, „ist das nicht schändlich? Sehen Sie da drüben die sechs holsteinischen Dörfer, welche zwischen Eider und Sorge liegen. Bis jetzt hat kein Mensch in der Welt bestritten, daß sie zu Holstein gehören. Und die Dänen halten sie besetzt und plündern sie aus, und wir stehen hier und sehen zu, und der Bundestag – setzt keine Sitzung an. So eben erzählt mir ein Mann aus Büdelsdorf, aus dem größten Dorfe da drüben, daß gestern bereits Execution angesagt ist wegen der eigentlich erst am 14. Januar fälligen Steuern. Es ist den Dänen plötzlich eingefallen, sie zum 5. Januar einzufordern. Und eine Requisition ist angesagt, die die Dörfer vollkommen ruiniren muß. Von Heu und Stroh soll die Hufe Landes 3–4000 Pfund liefern. Schwertfeger, der den „Megger Koog“ besitzt, soll allein eine Million Pfund Heu liefern. Und es ist so leicht, jetzt die ganze Danewerkstellung zu nehmen,“ fuhr er fort, „jetzt, wo die Treene und die Schley gefroren sind; fast ohne Verlust kann man sie nehmen, während, wenn das Wasser wieder auf ist, zehntausend Menschen dabei umkommen können. Es ist eine schändliche Geschichte.“

„Kennen Sie die Stellung so genau?“ fragte ich ihn.

„Ganz genau. Ich habe darin gearbeitet. Ich kenne jede Schanze, jedes Geschütz. Wenn Sie wollen, will ich Ihnen die Stellung ganz genau beschreiben. Aber ich muß schleunig nach der Stadt. Sie müssen mit mir zurückgehn.“

Wir gingen der Eisenbahn entlang bei der Schanze, welche dort die Hannoveraner bauen, vorüber nach der Stadt. „Unsinn,“ murmelte der Rendsburger Bürger, als wir bei den Schanzarbeitern vorüberkamen, „diese Schanze! Was soll die Schanze? Sie wird nur angelegt, um die Leute zu beschäftigen.“ Auf dem Eise liefen halberwachsene Knaben Schlittschuh. Sie hatten bunte Bänder in den schleswig-holsteinischen Farben in Händen, und wenn sie ganz in der Nähe der drüben postirten dänischen Schildwachen waren, hielten sie ihnen die Bänder hin und riefen: „Hannemann, kennst Du dat?“ oder: „Hannemann, kannst mi kriegen?“ worauf sie dann eilig zu dem andern Ufer zurückjagten.

„Unsere Lage ist wahrlich zu ernst zu solchem Kinderspiel,“ sagte der Rendsburger Bürger, als wir neben dem Flüßchen hin zur Stadt zurückgingen. „Aber hören Sie jetzt, nun will ich Ihnen die Danewerkstellung schildern, Herr Doctor; aber bringen Sie’s in Deutschland in die größte Zeitung. Die Dänen werden sich schändlich darüber ärgern. Allein können Sie nicht Schleswig-Holstein erobern, leider nicht; aber so geärgert hat die Dänen, wie Sie, bis jetzt selten Jemand. Also hören Sie: Friedrichsstadt bildet den rechten Flügel der Stellung. Es hat 3 Schanzen, eine starke Schanze und zwei Lünetten. Sie sind mit 13 Kanonen armirt, 6pfünder bis 84pfünder. Der Brückenkopf ist zerstört. Nun weiter nach links. Die nächsten Schanzen sind bei Hollingstedt. Zwischen Friedrichsstadt und Hollingstedt bildet die Treene die Überschwemmung des Treenethals. Zwischen Hollingstedt und Kurburg sind neun starke Schanzen. Sie sind armirt mit einem 84pfünder, zwei 4pfündern, zwei 18pfündern und zwei 6pfündern. Von Kurburg bis Danewerk sind fünf Schanzen. Sie sind ebenso armirt, wie die vorigen. Das Terrain ist dort flach. Von Danewerk bis Pustorf sind acht Schanzen. Davon sind drei Schanzen nicht armirt. Das Terrain ist hügelig.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_076.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)