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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 6.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.





Unsichere Fundamente.
Erzählung von Otto Ruppius.


1.

Der wartende Postillon gab das zweite Signal für die noch zögernden Passagiere, und in der Thür des Posthauses erschien ein junger Mann in eleganter Reisekleidung, einen breiten Panamastrohhut über dem sonnengebräunten Gesichte, welches durch den leichten, tiefschwarzen Schnurrbart ein noch südlicheres Gepräge erhielt. „Mein Gepäck richtig untergebracht, Conducteur?“ fragte er, und in seinem Tone, wie in der Weise, den Kopf zu heben, lag, verbunden mit seiner ganzen übrigen Erscheinung, etwas, das an eine Lebensstellung mahnte, die sonst kaum eine Fahrt mit der ordinären Post erlaubt.

„Alles in Ordnung!“ war die bereite Antwort, unter welcher der Reisende langsam in den innern Raum des Wagens stieg, während sich hinter ihm die Thür schloß. Auf dem Rücksitze hatten schon zwei andere Passagiere Platz genommen, in der einen Ecke ein ältlicher, dickbeleibter Mann, der sich bereits zum Schlafen anzuschicken schien; in der andern eine dicht verschleierte weibliche Gestalt. Einen einzigen kurz musternden Blick warf der Eingestiegene über seine Reisegesellschaft, dann nahm er, wie der Nothwendigkeit folgend, den leeren Vordersitz ein – im Coupé wurde die Stimme des Conducteurs hörbar, und fort rollte der Wagen über ein Pflaster so rauh, daß vor den einzelnen Stößen sich die Hand des weiblichen Passagiers aus der leichten Umhüllung streckte, um an der Wagenthür einen Halt zu gewinnen, und wie unwillkürlich ward der Blick des jungen Mannes von diesem sich ihm neu bietenden Punkte festgehalten. Es war eine Hand, die unter dem Glacéhandschuh fast Kinderformen verrieth, und die feinen Finger schienen kaum der ihnen gestellten Aufgabe gewachsen zu sein. Aber der Wagen hatte bald die Stadt verlassen und bog in einen weichen Feldweg ein, die kleine Hand verschwand wieder, und nach einem Blicke in die bereits halb dämmernde öde Landschaft hinaus lehnte sich der junge Reisende zurück, drückte an Stelle des Strohhutes eine weiche seidene Mütze auf das dunkle lockige Haar und begann, in augenscheinlich gewecktem Interesse, mit halbgeschlossenen Augen weitere Beobachtungen an seinem Gegenüber anzustellen. Was er vor der halb zurückgefallenen Mantille entdecken konnte, war ein Oberkörper von feinen, jugendlichen Formen; ein modernes Hütchen deckte den Kopf, die Falten des Schleiers wehrten indessen jeden Blick in das Gesicht; der ganze Anzug war von einer fast gesuchten Einfachheit, in welcher dennoch das unbezeichenbare Etwas von Geschmack und Eleganz lag. Sie saß, seit der Wagen auf ebenen Weg gelangt, völlig regungslos in sich zurückgezogen, als wolle sie damit selbst jedem anzuknüpfenden Gespräche ausweichen.

Wohl über eine Stunde mochte der Wagen bei vollem Schweigen seiner Insassen den Weg verfolgt haben, und die Dunkelheit war während der Zeit mit Macht hereingebrochen, als die Frauengestalt die erste Bewegung machte, um ihren Hut abzunehmen und sich dann bequem in ihre Ecke zurückzulegen. Nur einen Moment hatte beim Vorbiegen der letzte Dämmerschein ihr Gesicht gestreift, aber es mochte genug gewesen sein, um den Beobachter zu versichern, daß er einem feinen, von üppigem Haar umrahmten Mädchengesichte gegenüber sitze; denn er richtete sich aus seiner nachlässigen Stellung auf, blickte einen Moment in’s Freie hinaus und, sagte dann, augenscheinlich nur, um das bisherige Schweigen zu brechen: „Eine wunderliche Straße nach einer Residenz; giebt es denn hier zu Lande keine Chausseen?“

Das Mädchen blieb schweigend, aus der andern Ecke aber klang die dicke Stimme des dritten Passagiers: „Sie werden weiter oben auf die Chaussee treffen, ich denke aber, es wird etwas Zeit brauchen, denn es hat hier hinauf die ganze letzte Nacht stark geregnet – das macht diese Art Communalwege immer schlecht genug!“

Der junge Reisende schien wenig geneigt, die Unterhaltung mit seinem andern Gegenüber fortzuspinnen, und das frühere Schweigen trat ein, bis nach einer halben Stunde bei völliger Dunkelheit der Wagen einem erleuchteten Wirthshause gegenüber hielt und der dickleibige Passagier mit einem „Wünsche allerseits gute Fahrt!“ den Raum verließ. In dem hereinfallenden Lichte aber ließ sich beim neuen Vorwärtsrollen bemerken, wie das Mädchen eng seine Kleider zusammennahm und sich dicht in die von ihm eingenommene Ecke schmiegte.

„Lassen Sie sich Ihre volle Bequemlichkeit, Fräulein,“ sagte der junge Mann, wie ihre Bewegung beantwortend, „ich behalte meinen jetzigen Platz; wollen Sie mir aber eine christliche Liebe erzeigen, so lassen Sie uns irgend etwas Gleichgültiges plaudern; ich gestehe Ihnen, daß ich diese kürzere Tour mit der gewöhnlichen Post nur aus einer Art Grille, um die bisherigen langen, eintönigen Extrapostfahrten zu vermeiden, genommen habe, und ich würde doch arg gestraft sein, wenn man bei diesem langsamen Vorwärtskommen sich stundenlang schweigend gegenübersitzen sollte. Sie sind in der Residenz bekannt, Fräulein?“

„Ich bin selbst dort zu Haus!“ klang es, noch wie in halber Scheu, im leichten, süßen Mezzosopran.

„O, so bin ich so glücklich, die ganze Tour mit Ihnen zu machen,“ erwiderte er, hörbar angeregt, „und Sie könnten mir vielleicht etwas über die dasigen Verhältnisse erzählen? Ich habe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_081.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)