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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

die Weiber wieder zu verderben, dann wär’s besser, Sie wären drüben geblieben! Nun haben wir das ganze Geflenn wieder da, das kaum verwunden war!“ – Die Uebrigen stimmten murrend bei, die Frauen seufzten: „Ja, so sind die Männer!“ – und die Jungen schrieen vom Gepäckhaufen herunter: „Vivat, wir gehen doch nach Amerika!“

„Ruhig, Kinder!“ fiel ein älterer Mann dazwischen, der bisher schweigend am Mast gelehnt halte, – „der Herr meint’s gut, er hat kein böses Wort gesprochen, und daß er uns die Geschichte unserer Altvordern in Amerika erzählt hat, dafür haben wir uns zu bedanken. – Aber, lieber Herr, Ihr Abmahnen von unserem Vorhaben lassen Sie sein, wer gerüstet ist, wie wir, der kehrt nicht wieder um.“

„Und wenn Ihr mich todtschlagt,“ eiferte mein Freund, – „ich kann’s nicht anders, ich muß meinen Schmerz darüber aussprechen, daß abermals so herrliche Kraft dem deutschen Vaterlande verloren geht. Was soll aus Deutschland werden, wenn das Auswandern so fortgeht, wie bisher? Bedenkt doch: nur in den sechs Jahren von 1846 bis 1851 haben uns über sechshalbhunderttausend Menschen verlassen, sie haben wenigstens ein baares Vermögen von 115 Millionen Thalern mitgenommen! Das macht über neunzehn Millionen jedes Jahr! Welch ein Verlust für das deutsche Volk!“

„Wenn’s zum Rechnen kommt, lieber Herr,“ – nahm da der Alte wieder das Wort, „so hätt’ ich freilich ein ganz anderes Exempel zu stellen. Wie viel kosten denn dem deutschen Volke seine vielen Armeen? In einem Jahre mehr, als die Auswanderung in zehn Jahren!“

„Aber das Geld bleibt doch im Lande!“ entgegnete mein Freund.

„Das ist eine falsche Rechnung“ – sprach der ältere Mann. „Sie berechnen nicht, lieber Herr, wieviel die Hunderttausende von fleißigen Händen erwerben könnten, wenn sie nicht in den Casernen brach liegen müßten. Und Alles, was diese nicht verdienen, das müssen wir dem Auslande zu verdienen geben. Wie viel Land liegt noch wüste, das reiche Frucht tragen könnte, wie viele Millionen liegen noch unter dem Boden! Wir brauchten dem Engländer kein Pfund Eisen abzukaufen, wenn wir unsere Schätze aus der deutschen Erde heben könnten. Warum geschieht’s nicht? Weil uns die Mittel und die Arme dazu fehlen. – Die stehenden Armeen sind unser Unglück, wahrlich nicht die Steuern, die drücken keinen fleißigen Main, aber die Verwendung zum Soldatenwesen, das ist’s! Herr, es sieht prächtig aus, wenn ein Regiment durch die Straße in Parade marschirt; aber nur wir Eltern wissen, wie viel Sorgen und Seufzer hinterdrein gehen. Die Jungen sind Einem an’s Herz gewachsen, und man muß sie hingeben und weiß nicht, wie man sie wieder bekommt.“ – Er stockte, die Stimme versagte ihm, er mußte einen tiefen Schmerz zu verwinden haben. Dann fuhr er fort: „Und glauben Sie, Herr, es ist ein Entschluß, das Auswandern! Wenn’s nicht die Liebe zu den Kindern thäte, man brächt’s nicht über das Herz. Nur wer ein Bauer ist, weiß, was es heißt, sich von dem Boden zu trennen, auf dem die Ureltern ihren Schweiß vergossen haben und den man lieb gewinnt, als wär’s ein Stück von uns, und von den Ställen und dem Vieh, und von Hof und Haus, und von der Kirche und vom Gottesacker! O, es ist ein Entschluß! Und wenn der gefaßt ist, Herr, so reißt ihn kein Sturm um, geschweige ein fremdes Menschenwort!“

„Ja, so ist’s!“ rief der junge Mann, der vorhin zuerst aufbrauste, und reichte meinem Freund die Hand. „Sie sind ein rechter, braver Deutscher, und darum sag’ ich Ihnen, daß wir’s auch sind und bleiben werden, so lange wir leben. Wir hätten’s wohlfeiler haben können auf der Eisenbahn und auf dem geraden Wege zum ersten besten Hafen. Aber wir wollten unsern lieben Rhein noch einmal recht anschauen und ein Stück von Deutschland dazu, ehe wir ihm vielleicht auf ewig Ade sagen. Wir wollen erst in Köln auf die Eisenbahn. Es wird uns später nicht gereuen, daß wir’s so gethan haben. Und nun kommen Sie, ich will Ihnen meine Frau und meine Kinder zeigen. Sagen Sie ihnen ein schönes Wort, das ihnen Muth macht. Sie können’s, und ich werd’ es Ihnen nie vergessen.“

Beide gingen Arm in Arm zu den Frauen auf der andern Seite des Schiffes. Ich wandte mich an den Alten. „Als erfahrene und, wie es scheint, meist wohlhabende Männer,“ redete ich ihn an, „haben Sie doch wohl alle Vorsichtsmaßregeln getroffen, um nicht wegen der Ueberfahrt in unreine Hände zu fallen?“

„Unser Plan ist, uns in Michigan niederzulassen, und unser Vorsatz, nur in einem deutschen Hafen uns einzuschiffen. In Köln treffen noch Verwandte zu uns, und dort wird’s entschieden, ob wir nach Bremen oder nach Hamburg gehen. Zu übereilen brauchen wir nichts, und darum haben wir auch keine Verbindlichkeit im Voraus eingegangen.“

„Dann,“ sagte ich, „lassen Sie sich für Bremen wie für Hamburg, besonders aber für letzteres, auf folgende nöthige Vorsicht aufmerksam machen. Hüten Sie sich vor indirekter Beförderung durch leider dazu noch immer concessionirte Firmen. Verstehen Sie mich? Es giebt nämlich dort zweierlei Beförderung, die directe, wo Sie in Bremen oder Hamburg ein deutsches Schiff besteigen und in demselben die ganze Fahrt bis hinüber abmachen. Diese ist allein zu empfehlen, Sie sind unterm Schutz von deutschen Landsleuten und haben meist nur Deutsche zu Reisegenossen. Nun giebt es aber auch Leute, die ein Geschäft daraus machen, deutsche Auswanderer für englische Schiffe anzuködern. Der Auswanderer wird dann nur nach England befördert und dort in ein Schiff gepackt, in dem er sich in der Regel mit dem Auswurf Irlands zusammengeworfen sieht, nachdem er vorher in jeder möglichen Weise geplündert worden ist. Wie viel Aerger und Ungemach Sie dann auch erdulden, wie viel bitteren Verlust Sie leiden mögen, eine nachträgliche Klage hilft Ihnen nichts und schadet den aalglatten Herren nichts, die Sie an die Engländer verschachert haben. Es ist traurig, daß es so ist! Aber es ist so! Also Vorsicht!“

„Dank, lieber Herr! Das war ein guter Rath.“ Mit den Worten reichte der ältere Mann mir die Hand. „Wir versprechen Ihnen hiermit, daß wir ihn befolgen, aber auch allen unseren Freunden, die sich vielleicht später noch auf denselben Weg machen, mittheilen wollen. Und seien Sie versichert, daß wir in Haus und Herzen treue, redliche Deutsche bleiben! Der liebe Gott wird uns ja vor dem traurigen Geschick unserer Altvordern, das uns der gute Herr so schön erzählt hat, bewahren, er verläßt ja keinen braven Deutschen! Die schwarz roth-goldene Fahne aber wird auch drüben unser Dach zieren. Und sollte wieder einmal eine so böse Zeit kommen, wo sie in Deutschland nicht mehr, wie heute, öffentlich flattern darf, dann denken Sie daran, daß sie doch noch flattert und nimmermehr von der Erde verschwindet.“

Wir sagten Lebewohl; meinen Freund mußte ich aus der Gruppe der Frauen und Kinder abrufen, die ihn ganz umringt hielten. Es war ein Abschied, wie von uralten, lieben Bekannten. Lebt wohl! Lebt wohl!

„Aber nun, Liebster,“ bat ich meinen kunstreichen Freund, „jetzt den Stift heraus! Bis zur Station ist gerade noch Zeit genug, diese prächtigen Auswanderer sammt und sonders in Dein Skizzenbuch zu werfen.“ Und wahrlich, er that’s, und das Herz half ihm den Stift führen. Es ist ein liebes, köstliches Bild geworden, so schön wie die Erinnerung an das Zusammentreffen mit diesen braven deutschen Auswanderern auf dem Rhein. Als wir das Schiff bei Koblenz verließen, winkte unsers Künstlers neuester Freund ihm vom Gepäckhaufen noch einen fröhlichen Gruß mit dem Weinpokal zu. „So sollst Du auch gerade so verewigt werden,“ lachte mein Freund, und so war das Bild vollendet.

Es war ein langes Grüßen und Winken mit den Tüchern, als das Schiff dahinfuhr und bis es unsern Blicken entschwand. Den Rhein hinab – aus dem Vaterland! Ja, es ist ein Entschluß! Der Himmel gebe, daß Ihr glücklich drüben gelandet und fröhlich angewurzeli seid auf dem Boden Eurer neuen Heimath! Gott sei mit Euch!

Und nun kommt das Bildchen sammt der Erinnerung an Euch gar in die Gartenlaube! Ihr kennt ja dieses deutsche Blatt noch von daheim. Vielleicht kommt’s auch jetzt einmal in Eure Hände, denn wenn’s auch in Preußen verboten ist, so wird’s doch blos noch auf der ganzen Erde gehalten. Dann erinnert Euch Eurer beiden Friedensstörer auf Eurer Rheinfahrt in Liebe! Der deutschen Fahne aber wünschen wir, daß sie nicht in Eurem Walde ihre Zukunft zu suchen brauche, sondern feststehe und immer höher und mächtiger sich entfalte im lieben allen Vaterlande!

F. H. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_087.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)