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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Man vergißt das Gesicht Bennigsen’s nicht leicht wieder, obwohl es nicht besonders schön und noch weniger häßlich ist. Das macht die breite hohe Stirn, deren geistiger Ausdruck das ganze Gesicht adelt und von der man beim ersten Blick ablesen kann, daß wir es mit einem Manne zu thun haben, der bei klar durchblickendem Verstand vor allen Dingen weiß, was er will. Und so ist auch wirklich der Mann. Nicht gerade verschwenderisch reich ist diese Natur ausgestattet, aber es ist ein vollgewogenes Pfund bis auf den letzten Bruchtheil verwerthet. Bennigsen’s größte Gabe ist vielleicht seine Selbstbeherrschung, die ihm gestattet, in jedem Moment seine volle Kraft sich zu Gebot zu erhalten, weil er sich niemals vor der Zeit völlig ausgiebt. Er hat offenbar vor Allem sich selbst fest in die Hand genommen, und man fühlt es dieser straff in sich gefügten Natur an, daß er den Menschen zum Gegenstand nicht seines wenigst eifrigen Nachdenkens gemacht, denn soviel überlegte Ruhe wird nicht angeboren, wo so viel warmes inneres Leben damit Hand in Hand geht, sie wird in strenger Selbstzucht anerzogen. Aber gerade so fest wie sich, nimmt er auch die Anderen in die Hand, und nur sein natürliches, offenes, männliches Wesen macht es ihm möglich, die sich ihm Nähernden gerade so nahe wieder an sich heranzuziehen, als er sie sich fern zu halten weiß.

In dieser seltenen Mischung von bewußter Zurückhaltung und Vertrauen erweckender Offenheit beruht vor Allem sein großer persönlicher Einfluß und sein natürlicher Beruf zum politischen Führer. Sein bekanntes bedeutendes Talent für die formelle Behandlung organisatorischer Fragen stelle ich wenigstens hierbei erst in die zweite Linie. Auch in der Rede spricht sich derselbe Charakter aus. Es sind kurze klare Sätze, in denen Bennigsen spricht; sie gehen überall direct auf das Ziel los, und auch wo er einen Seitenweg einschlägt, ist es immer die gerade Linie, in der der Gedanke fortarbeitet. Blumen und rednerische Figuren kommen in seiner Rede fast gar nicht vor, und selbst das Gefühl, wo es einmal herausbricht, giebt sich in streng bemessener Form. Man hört es wohl heraus, daß er stets nur das sagt, was er sagen will; aber dies sagt er auch so rund, klar und vollständig, daß er selbst bei dem, der es bemerkt, einer Mißdeutung niemals ausgesetzt ist. Bennigsen ist offenbar weit weniger durch eine ausgezeichnete Naturanlage zum sicheren Redner geworden, als vielmehr dadurch, daß er es werden wollte. Er hat sich aber auch hier fest in die Hand genommen. Noch vor fünf Jahren sprudelte seine Rede im raschesten Fluß, heute geht der Strom schon weit langsamer, und er wird noch langsamer sprechen lernen, wenn er es für gut finden sollte – wenn er eben will.

Aus einer alten angesehenen Familie hervorgegangen, der Sohn eines hohen Militärs, würde Bennigsen, wenn er nicht im Jahre 1857 als Staatsanwalt seinen Abschied gefordert, vielleicht schon heute eine einflußreiche Stellung im hannoverschen Ministerium einnehmen. Ihm selbst ist dies vielleicht noch weniger zweifelhaft als uns. Er hätte dazu nur Eins nöthig gehabt – für Viele seiner Standesgenossen eine unbedeutende Kleinigkeit – er hätte den Welfenstaat Hannover und ganz Deutschland als die natürliche Domäne zweier bevorrechteter Menschenrassen behandeln müssen: des hohen und des niederen Adels. Wenn er, gestützt auf ein nicht überreiches Vermögen, auf diese Ehren und Vortheile verzichtete und, statt seine politische Ueberzeugung zum Opfer zu bringen, lieber als Führer der hannoverschen Opposition und als einflußreicher Leiter der liberalen deutschen Bewegung seine reiche Kraft verwerthete – wer lohnt ihn für diese Selbstverleugnung? Vielleicht außer dem, was jeden Ehrenmann schon in seinem Innern reichlich selbst belohnt, einmal eine große staatsmännische Wirksamkeit, deren Millionen Deutsche segnend gedenken, jedenfalls aber schon jetzt eine unbegrenzte Hochachtung der besten Männer Deutschlands und des ganzen hannoverschen Volkes. So ist nie ein Fürst in den reichen Marschen der Niederweser und die Weser entlang von Bremerhaven bis Bremen geehrt worden, wie Bennigsen, als er im Juli 1861 vom Seebad Borkum nach Hause reiste. Zu festlichem Zug, zu Wagen und zu Pferd, geleiteten ihn die Bauern der Lande Hadeln, Wursten und Budjading von Ort zu Ort, die Schiffe auf der Weser und im Bremerhaven flaggten und salutirten ihm zu Ehren, und Kanonendonner erschallte, als er den Boden der freien Stadt Bremen betrat. Ein alter Bauer hatte seine fünf Enkel an ihn herangeführt, um ihnen den Mann des Volkes zu zeigen: „Seht, Kinder, das ist Bennigsen.“ Ob ein Staatsrath oder Minister von Bennigsen wohl auch den Bauerkindern im Lande Hadeln gezeigt worden wäre?

Der Sitz links von Sigmund Müller für den zweiten Vicepräsidenten ist leer. Sein Inhaber, der Freiherr Gustav von Lerchenfeld aus Bamberg, hat ihn verlassen, weil ihm nach dem Antrage auf Niedersetzung eines ständigen Ausschusses ein längeres Zusammengehen mit der Mehrheit der Versammlung nicht mehr möglich erschien. Ueberlassen wir es der Partei, deren Führer seither Herr von Lerchenfeld war, sich wegen dieses Schrittes mit ihm auseinander zu setzen, und gehen auch wir, wie die Versammlung es that, dem treffenden Worte Ludwig Seeger’s entsprechend, „rasch über diesen Mißton hinweg“. Dr. Wilhelm Löwe aus Berlin war es, der diesen ehrenrettenden Antrag begründete. Fassen wir uns daher ihn statt des Herrn von Lerchenfeld in’s Auge. Es ist Löwe-Calbe, der letzte Präsident des deutschen Parlaments, der vor uns steht. Die gedrungene Gestalt ungebeugt, das Gesicht voll und blühend, Haar, Kinn und Schnurrbart dicht und schwarz, das dunkle Auge voll Feuer, die tiefe, weiche Stimme im reinsten Wohllaut weithin die Gedanken tragend, die unter der edel geformten Stirn vorher entstanden – ist das ein Flüchtling, den das Leben in seinen erbarmungslosen Armen gewiegt? Und doch ist es so. Und wenn wir der Rede des Mannes so recht aufmerksam folgen, dann erfahren wir auch noch mehr, dann hören wir auch aus seiner feinen Auffassung und ernsten Denkweise heraus, daß nicht etwa ein unverwüstlicher Leichtsinn, nein, daß ein tiefes Gefühl, ein reiches Seelenleben den Mann bewegt, der so frisch, so mild, so unverbittert nach zehnjährigem Flüchtlingsleben in die Heimath zurückkehrte.

Löwe steht heute noch auf demselben politischen Boden, auf dem er im Parlament gestanden, wenn auch der Gang der neuesten Geschichte Deutschlands und die Erfahrungen, die er in Amerika und England gemacht, sein Unheil hier und da berichtigt haben mögen. Nur der rastlose Eifer in der Förderung alles öffentlichen Lebens ist ganz und gar derselbe geblieben und hat in seiner vielseitigen Bildung, seiner ungemeinen Arbeitskraft und seiner außerordentlichen rednerischen Begabung der preußischen wie der deutschen Sache eine nicht hoch genug zu schätzende agitatorische Kraft wieder zugeführt. Ich habe nur wenige Redner gehört, die einen gleich wohlthuenden Eindruck auf den Zuhörer machen, wie Löwe-Calbe. Wie auf geistigen Armen faßt er unsere Gedanken mit seiner weichen, wohlklingenden Stimme auf und trägt uns schaukelnd weiter und weiter, bald hoch uns hinaushebend in die Höhen der Dialektik, bald tief uns hinabtauchend in die Fluthen der Gefühlswelt, so sicher, so stetig, mit so fester Hand uns führend, daß wir es unwillkürlich bedauern, wenn er am Schluß seiner Rede uns wieder auf die eigenen Füße stellt. Löwe ist ein geborener Redner in Moll, aber ich zweifle nicht, daß er unter dem Eindruck eines überwältigenden Gefühls auch die Duraccorde der Leidenschaft – und dann mit erschütternder Gewalt – zu greifen versteht.

„Ich gehöre nicht zu Denjenigen, die aus der demokratischen Partei hervorgegangen, ich gehöre entschieden zu Denjenigen, die aus den gemäßigten Meinungen herausgewachsen sind, aber ich bekenne, die schleswig-holsteinische Frage hat mich die bittere Kunst des Mißtrauens gelehrt seit dem Tage von Malmoe, und ich habe mir ein feierliches Gelübde gethan, in dieser Sache, selbst wenn zweifelhaft, nicht wieder zu sündigen durch Unterlassung.“ Im Munde eines Anderen wären diese Worte wahrscheinlich den gewöhnlichen Betheuerungen zugezählt worden, im Munde Ludwig Häusser’s aus Heidelberg waren sie ein Ereigniß. Mit diesen Worten bekannte einer der ältesten und bedeutendsten Führer der gothaischen Partei offen und unumwunden vor ganz Deutschland einen verhängnißvollen früheren Parteiirrthum. Vor 15 Jahren hätten sich Ludwig Häusser – wenn er im Parlament gesessen – und Löwe-Calbe in der schleswig-holsteinischcn Frage wahrscheinlich als entschiedene Gegner gegenüber gestanden, heute reichte Häusser in derselben Frage dem früheren Gegner ohne allen Rückhalt die Hand zur Verständigung. Ich wiederhole, das ist ein Ereigniß, in dem sich zwar der ganze Jammer einer langen Reihe trüber Tage für Deutschland und Schleswig-Holstein wiederspiegelt, an das aber auch die Hoffnung auf die Gesundung unserer Parteien mit vollem Recht ihre Knospen wieder ansetzen mag. Aber auch zur Charakteristik des Mannes selbst, der dies Bekenntniß ablegte, sind diese Worte von Bedeutung; denn wer einmal vor Ludwig Häusser gestanden,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_095.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)