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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

den Bemerkungen desselben klar zu sein, daß Hellmuth nicht im Entferntesten auf ein Erscheinen dieses Maçon vorbereitet gewesen und daß seine eigenen früheren Befürchtungen, die ihn den Fremden hatten aufsuchen lassen, grundlos gewesen waren, wenn auch bestimmte Beziehungen zwischen diesem und dem Principale bestehen mußten. Wenn er aber an Meier’s plötzlichen Geschäftsaustritt und dessen kaum erst beobachtete angelegentliche Ohrbläsereien und hämische Mienen dachte, so wollte ihm die Beruhigung über die eigene Sorge kaum von rechter Bedeutung erscheinen; er fühlte jetzt mehr als je, wie tief er mit dem Interesse des Geschäfts und der Familie Hellmuth’s verwachsen war und daß jeder Störer derselben unter allen Umständen auch sein Feind werden mußte.

Maçon hatte langsam sein Glas niedergesetzt und blickte, in Gedanken versunken, eine kurze Weile in das Zimmer hinein. Dann wandte er sich mit seiner früheren gewinnenden Freundlichkeit nach dem jungen Kaufmann: „Sie sind schon verschiedene Jahre in Herrn Hellmuth’s Geschäft, wie ich hörte?“

„Ich möchte fast sagen, daß ich darin aufgewachsen bin und Herrn Hellmuth’s Familie als meine eigene Heimath betrachte!“ erwiderte Gruber fest; es war ihm im Augenblicke wie eine Nothwendigkeit, wie ein Herzensbedürfniß, sein inniges Zusammenhängen mit dem Hause, welchem Jener mit so verdeckt gehaltenen Zwecken nahezutreten schien, voll auszusprechen. „Dies erinnert mich aber auch, daß die Zeit, welche mir heute zu einem Ausgange vergönnt war, wohl abgelaufen ist!“ setzte er, sich langsam von seinem Platze erhebend, hinzu.

„Ich will nicht fürchten, Herr Gruber, daß meine vorige Antwort Sie verletzt hat?“ versetzte der Fremde lebhaft. „Ich sagte Ihnen doch, daß wir noch mit einander zu sprechen haben würden, und so einfach Ihre Frage auch erscheinen mochte, so dürften Ihnen doch schon die nächsten Tage zeigen, wie wenig heute, bei unserm ersten Zusammentreffen, eine directe Beantwortung derselben an der Zeit war!“

„Ich bin, aufrichtig gestanden, unfähig, Herr Maçon, mir ein rechtes Verständniß der Andeutungen zu bilden, die Sie mir jetzt wie früher zu geben schienen,“ erwiderte Gruber mit einer leichten Kopfneigung, „indessen seien Sie versichert, daß keines Ihrer Worte etwas mit meinem jetzigen Aufbruche zu thun hat und daß es mich sehr freut, Sie kennen gelernt zu haben.“

Der Andere streckte dem Sprecher die Hand entgegen. „Sie haben auf eine gedeihliche Bekanntschaft mit mir angestoßen,“ sagte er, „also lassen Sie uns auch heute so voneinander gehen, wenn Sie sich nicht länger halten lassen wollen!“

Es lag wieder ein so herzlicher Ton in den Worten, daß der junge Kaufmann fast unwillkürlich die gebotene Hand kräftiger drückte, als die Höflichkeit es verlangt haben würde. „Bis auf morgen also!“ setzte der Fremde hinzu, und Gruber verließ das Hotel, unter den widersprechendsten Empfindungen und den fruchtlosesten Grübeleien den Heimweg einschlagend.

Als er das Geschäftshaus wieder erreicht hatte, sah er hinter den vergitterten Fenstern von Hellmuth’s Arbeitscabinet noch volles Licht, und es fiel ihm auf das Herz, daß dieser vielleicht seiner bedurft haben könne, so wenig er sich auch einen Begriff über die späte Arbeit des Principals zu machen vermochte. Leise nahm er, in’s Haus getreten, seinen Weg nach dem Comptoir, wo er in dem düstern Scheine seiner halb eingeschraubten Lampe den Comptoirdiener, den Kopf in beide Hände gestützt, noch wartend fand.

„Hat Herr Hellmuth nach mir verlangt?“ fragte er den Aufblickenden.

Dieser schüttelte still den Kopf, sagte dann aber halblaut, nach dem Cabinet deutend: „Ich wollte, Sie frügen einmal an; seit Sie weg sind, habe ich noch nicht von einer einzigen Bewegung drinnen gehört!“

Langsam, aber mit hörbaren Schritten ging der junge Mann nach der Thür des Gemachs und öffnete diese, ohne das gewöhnliche Geräusch des Schlosses zu vermeiden. Sein Blick fiel beim Eintritte auf den Principal, der regungslos an seinem Pulte saß und, wie in völliger Abwesenheit des Geistes, auf ein mit Zahlen beschriebenes Papier vor sich hinstarrte. Mochte der Schein des grünen Lampenschirms den Eingetretenen täuschen – dieser aber meinte den Dasitzenden noch nie so blaß und in der Unbeweglichkeit der Züge, welche jede Furche des Gesichts scharf erkennen ließ, noch nie so alt gesehen zu haben.

Zwei Secunden lang stand Gruber schweigend; als er aber bemerkte, daß Hellmuth’s Sinne der Außenwelt ganz verschlossen zu sein schienen, sagte er laut: „Ich bitte um Entschuldigung; ich sah hier noch Licht und wollte nur fragen, ob Sie noch irgend einen Auftrag für mich haben, Herr Hellmuth.“

Der Kaufherr hob langsam den Kopf und blickte den jungen Mann, noch wie völlig der Gegenwart entrückt, an; dann aber strich er langsam mit der Hand über das Gesicht, und seine Brust hob sich unter einem tiefen Athemzuge. „Sie sind es, Herr Gruber,“ erwiderte er, und es war, als müsse er erst den Ton seiner Stimme wieder erwecken, „ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit, bedarf Ihrer aber heute Abend nicht mehr – – in den nächsten Tagen vielleicht, wir werden ja sehen! Wenn Sie Willmann noch wach finden sollten,“ setzte er mit plötzlich gehobenem Kopfe ruhig hinzu, „so senden Sie ihn mir doch!“ “

„Er hat das Comptoir noch nicht verlassen, Herr Hellmuth, und wartet dort!“

Der Kaufherr nickte zweimal in sichtlicher Befriedigung und reichte darauf dem jungen Manne die Hand. „Ich denke, wir werden in den nächsten Tagen mancherlei nicht gerade angenehme Arbeit haben, und ich rechne dabei vor Allem auf Sie, Herr Gruber!“ sagte er.

Der Genannte faßte in einem ihn plötzlich überwallenden warmen Gefühle mit beiden Händen die gebotene Rechte. „Bin ich denn nicht stets und in jeder Beziehung zu Ihrer Disposition gewesen, Herr Hellmuth?“

„Ich weiß es und weiß auch, daß Sie neben dem Geschäfte an uns als Familie hängen,“ war die von einem warmen Handdruck begleitete Antwort, „und nun gute Nacht!“

Gruber lag noch lange wach in seinem Bette, umsonst über das seltsam veränderte Wesen des Principals und die Zwecke des Fremden grübelnd, welche in augenscheinlicher Beziehung zu einander standen, ehe er einschlief.




4.

Es war noch nicht drei Uhr am folgenden Nachmittag, als Hellmuth bereits sein Cabinet verließ und an Gruber vorübergehend mit einem zerstreuten: „Es liegt ja wohl heute nichts Besonderes mehr vor!“ die gewöhnliche Andeutung gab, daß er für den Tag nicht wieder zu erwarten sei. Als er indessen nahe dem Ausgange auf den Comptoirdiener traf, welcher mit dem Ordnen eines Stoßes von Papieren beschäftigt war, hielt er seinen Schritt an. „Ich habe mich den ganzen Morgen vergeblich nach Ihnen umgesehen, Willmann.“

Der Angeredete begann ein Blinzeln und Mundverziehen, das er nur mit Macht in den gewöhnlichen Schranken zu halten schien.

„Bin nur für das Geschäft auf den Beinen gewesen,“ erwiderte er endlich, „und kaum erst zurückgekommen – wußte nicht, daß Herr Hellmuth mich brauchten.“

Der Kaufherr nickte mit den Worten: „Ich werde später mit Ihnen reden!“ und verließ das Comptoir; Willmann aber wandte sich mit einer neuen krampfhaften Gesichtsverzerrung nach dem Prokuristen.

„Er ist auch zu unruhig zum Arbeiten,“ sagte er halblaut. „Es ist noch eine ganze Stunde Zeit, ehe der Mensch kommen wird – oben aber hat Fräulein Eugenie die alte Margarethe schon seit zwei Stunden mit ihrer Frisur und ihrem Anzuge geplagt, als ob ein Prinz erwartet würde –“

„Sind das die geschäftlichen Sachen, um deren willen Sie nicht hier gewesen sind?“ fragte Gruber, sichtlich unangenehm berührt.

„Gehört auch mit dazu,“ nickte der Kleine ruhig, „werden mich vielleicht erst noch verstehen lernen. Ich bin heute dem Herrn Meier auf der Fährte gewesen und weiß, daß er den ganzen Morgen mit dem Deutsch-Franzosen zusammengesteckt und gerechnet hat – ich kenne aber den Herrn Meier länger und besser als Einer von Ihnen hier und auch seine Ratten-Nase, die den gebratenen Speck eine halbe Meile weit riecht – er hat nicht umsonst hier seinen warmen Platz verlassen. Möglicherweise jedoch kann ihm der Speck zu hoch gehängt werden, und wenn ich auch über die ganze Sache, wie sie jetzt vorgeht, nur meine eigenen halben Gedanken habe, so möchte ich Ihnen doch sagen: machen Sie heute, wenn Sie oben sind, die Augen weit auf!“

Gruber ging rasch einige Schritte nach dem Hintergrunde

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_115.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)