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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Pferdes stand. „Wie geht es Ihnen? Haben Sie irgend einen Wunsch, den ich erfüllen kann?“

„Ich bin zufrieden, Herr Oberst, und habe nichts zu bitten.“

„Ja, ja, das dachte ich wohl,“ versetzte der Oberst. „Wir alten Campagne-Soldaten sind immer zufrieden und bescheiden, uns geht das hohe Selbstbewußtsein unserer jungen beepauletteten Gelehrten ab, die es meisterhaft verstehen, ihr winziges Ich durch die dreistesten Prätensionen hervorzuheben. Haben Sie schon gefrühstückt, mein alter Freund?“

„Zu Befehlen, Herr Oberst.“

„Na, aber einen Schluck Cognac aus meiner alten Feldflasche werden Sie doch nicht verschmähen?“

„Gewiß nicht, Herr Oberst. Ich kann, wenn es sich so macht, noch einen tüchtigen Hieb vertragen, und ein kleiner Bombenkessel voll bringt mich, Gott sei Dank, noch nicht aus der Schußlinie.“

„Ha, ha, ha! Das ist ja prächtig!“ lachte der Alte und schaute mit sichtlichem Behagen in das verwetterte Gesicht des alten, eisenfesten Soldaten. Mit einem bedeutungsvollen Seitenblick auf den parfümirten Lieutenant fügte er hinzu: „Doch sagen Sie das nicht zu laut, alter Camerad, das könnte Bauchgrimmen und Ohnmachten in der Batterie veranlassen. Die Feldsoldaten der jetzigen Zeit lieben das geistige Naß nicht, weil es eine Atmosphäre erzeugt, welche den Raupen schädlich ist, die in ihrem Gehirnkasten nisten!“

Nach diesen Worten, die von den Officieren mit tiefer Indignation vernommen wurden, rief er die Ordonnanz und gab derselben den Befehl, die Tasche mit dem Frühstück herbeizubringen.

Der Kanonier brachte eine große Ledertasche, deren Umfang die Vermuthung zuließ, daß sie einen reichen Vorrath an Speise und Trank enthielt.

Der Oberst überreichte dieselbe dem Feuerwerker, indem er sagte: „Nehmen Sie und langen Sie herzhaft zu; für mich findet sich wohl noch ein Schluck bei der Marketenderin. Ihre Leute können sich rühren. Bei Ihrem Geschütz bedarf es der Inspection nicht, ich weiß, daß da Alles in Ordnung ist.“

Er reichte dem Feuerwerker abermals die Hand, und indem er sich in Begleitung des Capitains zum nächsten Geschütz begab, sagte er mit fast weicher Stimme: „Schonen Sie, soweit es der Dienst irgend erlaubt, den alten Schnurrbart; es ist eine ehrliche Haut, wie sie heutzutage schon selten werden in der Armee. Wenn das Verdienst im Heere immer die gebührende Anerkennung fände, so müßte der Feuerwerker an der Spitze einer Brigade stehen, und Himmel-Granaten-Donnerwetter, ich bürge dafür, er würde dieser Stellung keine Schande machen. Aber die Cadettenhäuser und die leidigen Berufsprüfungen, dünkelvolle Aufgeblasenheit und junkerliche Anmaßung verschließen den Unterofficieren die Officier-Carriere und entziehen dem Stande so manchen tüchtigen Mann. Und das ist noch nicht das Schlimmste. Mit dem Gelehrtenschwindel schleicht sich auch jene Demagogie in die Armee, die da drüben in Frankreich so eben wieder einen Thron zerbrochen hat. Auch in der Brigade haben wir ein ganzes Rudel Demagogen. O, ich kenne sie wohl und werde sie schon zur rechten Zeit und in der geeigneten Stunde zu treffen wissen. Ich heiße Tuchsen, der Teufel soll sie fuchsen!“

Der Alte hatte sich in eine bedeutende Aufregung hineingeredet, und seine Augen blitzten unheimlich, als er vor dem zweiten Geschütz anlangte.

„Herr Hauptmann! lassen Sie die Bedienungsmannschaften nach der linken Seite der Batterie hinaustreten,“ sagte er kurz. „Die Unterofficiere und die Herren Zugführer bleiben an meiner Seite. Damit den Leuten nicht das Mittagessen in den Quartieren kalt wird, soll sich meine heutige Besichtigung darauf beschränken, nachzusehen, ob die Batterie nicht Contrebande mit sich fuhrt, d. h. mit solchen Gegenständen beladen ist, die weder zur vorschriftsmäßigen Bekleidung der Leute noch zur Ausrüstung der Pferde und Fahrzeuge dienen. Die Leute haben nämlich die schlechte Gewohnheit, sich in der Garnison eine Menge Quincaillerien anzuschaffen, von denen sie sich bei einem Ausmarsch nicht gern trennen. Den Artilleristen bieten nun die Fahrzeuge eine treffliche Gelegenheit, solche Gegenstände heimlich mitzuführen, und da werden denn namentlich die Kanonenrohre als Magazine des soldatischen Comforts benutzt. Ich kenne das aus langer Erfahrung und hege die Vermuthung, daß auch die Geschütze Ihrer Batterie, Hauptmann v. R., mit einer Munition geladen sind, die gerade nicht den preußischen Pulvermagazinen und Laboratorien entnommen ist.“

Und seine Mienen zu einer komischen Bedenklichkeit verziehend, sagte er zu dem Unterofficier, der das zweite Geschütz führte: „Schrauben Sie das Bodenstück der Haubitze hoch und nehmen Sie den Mundspiegel von der Mündung; ich bin doch neugierig, womit Sie geladen haben.“

Der Unterofficier brachte das Rohr durch die Richtschraube aus der horizontalen Lage, die es in der Laffette einnahm, und als die Mündung sich über den Stirnriegel zur Erde hinabsenkte, wurde der Mundspiegel gelöst, der die Mündung schloß.

Die verschiedensten Gegenstände schossen wie ein unerschöpflicher Strom aus dem Rohr auf die Erde nieder und lagerten sich hier in einem bunten Durcheinander zu den Füßen des Brigadiers, der ein Gelächter erhob, welches so heiser klang, wie das Geheul einer grimmigen Hyäne.

Die weite Mündung der Haubitze hatte aber auch ein Conglomerat der verschiedenartigsten Dinge ausgespieen. Die distinguirtesten Extraits und Parfüms, Vinaigre de Toilette, Bartwuchs-Erzeugungs- und Färbungs-Crême, lagen friedlich neben einem stinkenden, in schmutziges Papier gehüllten Ziegenkäse, lehnten sich vertraulich an einige Schachteln Glanzwichse und ruhten auf einem Topfe, der eine übelriechende weiße Salbe enthielt, welche wohl als Haarpomade gelten sollte. Kämme und Bürsten der verschiedensten Gattung, mehrere Spiele Karten, ein Schachbret, einige abgegriffene Banden salopper Romane, eine alte verbogene Kaffeemaschine von verrostetem Weißblech, einige Mützen mit dem streng verpönten Sammetstreifen, seidene Tücher, Vatermörder und vielfarbige Westen entwanden sich dem Geschütz und thürmten sich unter dessen Mündung zu einem kleinen Hügel auf.

„Da haben Sie die Bescheerung, Herr Hauptmann,“ rief der Oberst, während ein dunkles Roth seine Stirn bedeckte und seine Augen Feuer sprühten. „Sie müssen zugeben, daß sich aus dem, was dies Geschütz geliefert hat, eine Trödlerbude schon recht niedlich ausstaffiren läßt.“

Und indem er wüthend an dem Geschütz auf- und abrannte, schrie er mit einer Stimme, die weit in das Feld hinausschallte und die ländlichen Arbeiter auf das militärische Spectakelstück aufmerksam machte: „Ich möchte den ganzen Lumpenkram zu einer Sauce zusammenhacken lassen und davon den windbeutligen Millionenhunden der Batterie so lange löffelweise eingeben lassen, bis sie wie giftgeschwollene Ratten aufplatzen. Und gerade in meiner Brigade muß solche verteufelte Schweinerei passiren! Aber das kommt davon her, wenn der Herr Hauptmann solche Windbeutelei in der Brigade begünstigt und es sogar gern sieht, daß seine Kanoniere mit geöltem Haar und im dienstwidrigen Anzuge, wie die Paviane, mit allen möglichen Baumeleien behängen, in der Garnison umherflunkern dürfen; das kommt davon, wenn der Gesichtskreis des Herrn Lieutenants nicht über die Vega’sche Logarikhmentafel hinausreicht und der gelehrte Herr erst in der Dienstvorschrift nachsehen muß, ob Vinaigre de Toilette, eine Kaffeemaschine und ellenhohe Vatermörder nicht vielleicht zu der vorschriftsmäßigen Ausrüstung eines preußischen Artilleristen gehören.“

Der Capitain wollte eine Entgegnung wagen.

„Schweigen Sie,“ rief der Oberst mit einer Stimme, die vor Wuth bebte. „Hier giebt es nichts zu entschuldigen, auch habe ich Sie bis jetzt noch nicht nach Ihrer etwaigen Rechtfertigung gefragt, und bis dieses geschieht, muß ich recht sehr bitten, dieselbe zurückzuhalten. Ich liebe die Raisonnements nicht. Soll ich vielleicht demüthig um Verzeihung bitten, daß ich es gewagt habe, Ihre Batterie einer kleinen Inspection zu unterwerfen? Bomben und Granaten, ich heiße Tuchsen, – und wer es wagt, sich auch nur in Gedanken gegen mich aufzulehnen, dem sollen – der hat es mit mir zu thun!“

Der Capitain zitterte vor Zorn, sein Gesicht war bleich und blutarm, und die Blässe nahm jene bleibende Farbe an, die auf Gemüthserregungen hindeutet, die äußerst gefährlich sind. Doch ließ der Oberst es nicht zu einer Entgegnung kommen, indem er plötzlich auf den Führer der unglücklichen Haubitze losfuhr und den ihm wohlbekannten Unterofficier mit donnernder Stimme fragte: „Haben Sie das Geschütz vor dem Abmarsch, wie es Ihre ver– Schuldigkeit war, einer eingehenden Revision unterworfen?“

„Zu Befehlen – nein, Herr Oberst,“ entgegnete zitternd der Mann, der sich keiner besonderen Aeußerlichkeit erfreute und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_122.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)