Seite:Die Gartenlaube (1864) 137.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

des ruhmreichen Feldzuges für uns Deutsche nicht so groß gewesen, wie wir hätten erwarten können. Aber diese Ungunst der politischen Verhältnisse darf uns nicht hindern, stets und immerdar den Tag bei Belle Alliance, wie wir Deutschen nach dem Vorschlage unseres Marschall Vorwärts die Schlacht vom 18. Juni 1815 fortan nennen wollen, als einen der glänzendsten in der Reihe der deutschen Siegestage zu betrachten.

Durch deutsche Kraft und Unerschrockenheit wurde die Schlacht entschieden. Ohne sie wäre Wellington mit seinem tapfern Heere, das auch noch zum größten Theile aus Deutschen bestand, unrettbar vernichtet worden. Wenn sich trotzdem die Engländer in bekannter Selbstüberhebung die ganze Ehre des Tages oft und wiederholt angemaßt haben, so konnte das nur geschehen, weil sie wohl wußten, daß unsere Federn leider oft genug mehr der philosophischen Speculation als der Vertheidigung der wohlerworbenen Ehren unserer Nation gewidmet sind.

Unserem Volke aber, dem dadurch eins seiner größten Güter geschmälert ist, gereicht das zur Schande. Denn die Ehren der Nation sind ihr Ruhm, und fest bewußt müssen wir für beide einstehen. – Die wahrscheinlichen Fanfaren der Engländer bei der demnächstigen Jubelfeier der Schlacht auf ihr richtiges Niveau herabzustimmen, – das war der Hauptzweck unsers Artikels.




Garnison- und Paradebilder.
Nr. 5. Die Besichtigung auf der Landstraße.
(Schluß.)

Der Oberst fuhr bei dem heitern Gesang herum, als sei unerwartet hinter seinem Rücken eine Bombe geplatzt, und stand dem Fähnrich der Batterie gegenüber, der mit leuchtenden Augen furchtlos in das finstere Antlitz seines gewaltthätigen Chefs blickte, während ein Zug von schalkhafter Keckheit um seinen Mund spielte.

Der Fähnrich war noch sehr jung. Sein Gesicht strahlte von Gesundheit und Frische, und mit den blauen vertrauungsvollen Kinderaugen schaute er so unbekümmert in das Leben hinein, als sei er gegen jedes Unglück gefeit. Er war in einer ewigen Mazurek-Laune und hatte im gutmüthigsten Uebermuth einen wahren Heißhunger nach lustigen Schwänken und allerhand Unfug, womit er fast täglich gegen die Disciplin und die eisernen Gesetze der Subordination verstieß. Die kecksten Ungehörigkeiten, die jedem Andern die bitterste Verantwortung eingetragen hätten, durfte er ungestraft ausüben, sie wurden seiner Jugend, seinem übersprudelnden Lebensmuthe, seinem hellen Kopfe und den vielen hervortretenden soldatischen Eigenschaften zu gut gehalten, die sich schon in seiner gewinnenden Aeußerlichkeit aussprachen.

Der Oberst war ihm fast mit väterlicher Zärtlichkeit zugethan, und aus diesem Gefühl entsprang auch das sichtbare Bestreben, sein Aeußeres zur Ruhe zu zwingen, als er bemerkte, daß es der Fähnrich war, der die Verse recitirt hatte, durch die sein Straf-Sermon auf eine so ungewöhnliche Art unterbrochen wurde.

In tiefem Schweigen stand er einige Augenblicke dem jungen Mann gegenüber, der lächelnd in das zornfunkelnde Auge des beleidigten Officiers schaute, auf dessen Stirn eine schwarze Wetterwolke lagerte, die ihre Blitze in jedem Moment auf sein Haupt entladen konnte.

„Dem verzogenen Kinde gebührt die Ruthe,“ ließ der Oberst sich endlich mit mehr Zurückhaltung vernehmen, als nach dem Geschehenen zu erwarten war, und als er bemerkte, daß bei dieser Aeußerung ein Blitz der Entrüstung aus dem Auge des Fähnrichs schoß, setzte er mit gesteigertem Affect hinzu: „ja, die Ruthe, so habe ich gesagt, Herr Naseweis. Wenn ich Sie nicht für ein halbes Kind hielte, so müßte ich ein Kriegsgericht über Ihr Benehmen aburtheilen lassen, dessen Spruch Ihnen die Carriere zum General-Feldmarschall denn doch leicht verschließen könnte.“

In dem Gesichte des Obersten leuchtete bei dieser Auslassung die Gutmüthigkeit seiner innersten Natur wieder auf, und ein Zug von Laune legte sich um seinen Mund, als er fragte: „Was veranlaßte Sie denn eigentlich zu der Tollhäuslerei, mich auf eine so unverschämte Weise zu unterbrechen?“

„Ich wollte Ihren Zorn, Herr Oberst, von dem armen Unterofficiere ableiten,“ erwiderte der Fähnrich mit einem Freimuthe, wie ihn eben nur ein verzogenes Kind äußern darf. „Und fürchteten Sie denn nicht, diesen meinen Zorn auf Ihren eigenen kleinen Tollkopf hinabzuziehen?“ fragte der Oberst sehr ruhig.

„Ich fürchte und erwäge nicht erst lange, wenn es sich darum handelt, einem alten Soldaten aus der Patsche zu helfen,“ entgegnete der Fähnrich mit aufblitzenden Augen.

„Wahrhaftig, man kann dem Blitzjungen nicht böse sein,“ sagte der Alte fast freundlich. „Es steckt eine ehrliche Soldatennatur in dem knirpsigen Millionenhund, die sich giebt, wie sie gerade ist, und solchen Charakteren kann man schon einige Excentricität nachsehen.“

Sich nach dem Capitain zurückwendend fragte er: „Wie sind Sie denn mit der dienstlichen Führung des Windbeutels zufrieden?“

„Der Fähnrich ist ein tüchtiger Soldat und führt seinen Zug zu meiner vollen Zufriedenheit,“ entgegnete der Capitain mit absichtlicher Kürze.

„Na, das höre ich gern,“ sagte der Oberst, „es soll mich freuen, wenn ich bei Besichtigung des zweiten Zuges keinen Tadel aussprechen darf.“

Er wandte sich nach der Haubitze zurück und gab den Befehl, die Contrebande, wie er die in dem Geschütz aufgefundenen Gegenstände nannte, vor die Batterie zu bringen, und dort in die beiden Geleise des Weges zu legen, so daß die Räder der Fahrzeuge, wenn die Batterie ihren Marsch fortsetzte, nothwendigerweise darüber hinweggehen mußten. Gegen den Geschützführer verfügte er eine dreitägige Arreststrafe.

Hierauf ging er zur Besichtigung des zweiten Zuges über, den der Fähnrich führte. Der alte Herr revidirte mit einer peinlichen Genauigkeit, konnte aber nichts finden, was zu einem erheblichen Tadel Veranlassung gegeben hätte. Sogar die Kanonenrohre, die auf den Märschen das Magazin für die langen Pfeifen, Reitpeitschen, Spazierstöcke etc. abgaben, waren leer, was sich erklärte, wenn man beobachtet hatte, daß der Fähnrich diese Gegenstände während der Inspektion des ersten Zuges hinter dem Rücken des Obersten aus den beiden Röhren fortzuschaffen und in das hohe Gras des Chausseegrabens zu verbergen wußte.

„Eine solche Promptitude hätte ich dem leichtfüßigen Windbeutel kaum zugetraut,“ sagte der Oberst, und aus seinem Antlitz wichen die Wolken, die es bisher umzogen, während es dem Fähnrich kaum gelang, den lauten Ausbruch des Humors zu unterdrücken, der aus seinen Augen zuckte.

Der Oberst öffnete zuletzt einen Laffettenkasten, der eine Anzahl kleiner Gegenstände enthielt, die zur Ausrüstung des Geschützes gehörten. Auch hier herrschte musterhafte Ordnung, und jedes Ding lag an seiner Stelle.

Aber was war denn das? In dem Cartouchetornister, der reglementsmäßig seinen Platz im Laffettenkasten hatte, lag ein sorgfältig in Stroh gewickelter Gegenstand. Der Oberst bemächtigte sich desselben, beseitigte die Umhüllung, und aus einer wohl versiegelten Flasche blinkte ihm verlockend eine hellbraune Flüssigkeit entgegen.

„Himmel-Donnerwetter, das ist ja ein achtbares Getränk! eine wahre Gottesgabe!“ rief er mit komischer Emphase.

„Mein Frühstückswein, Herr Oberst,“ unterbrach ihn der Fähnrich mit großer Ruhe.

„Ei, ei! Ihr Frühstückswein! Es ist doch spaßhaft: während sein Brigadier sich mit einem Cognac begnügt, trinkt solch’ knirpsiger Millionenhund von Fähnrich Wein wie Wasser. Ich sollte meinen, Herr Leichtfuß, auf dem Marsche thut es wohl auch ein Schnaps.“

„Zu befehlen, Herr Oberst; aber um sich einen Schnaps kaufen zu können, muß man Geld haben.“

„Geld! nun ja, einige Groschen. Kostet denn aber der Wein kein Geld? Macht man sich vielleicht ein Vergnügen daraus, denselben den preußischen Fähnrichen als Tribut hochachtungsvoller Ergebenheit unentgeltlich darzureichen?“

„Das gerade nicht,“ antwortete der Fähnrich, „aber man darf sich nicht geniren, seinen Bedarf an Wein auf Credit zu entnehmen, während es den Stand doch tief heruntersetzen würde, wenn man einen Schnaps pumpen wollte. Nein, Herr Oberst, das geht wahrhaftig nicht.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_137.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)