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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„„Der Soldat muß sich können fühlen.
Wer’s nicht edel und nobel treibt,
lieber weit von dem Handwerk bleibt.““

Meinem Grade bin ich Rücksichten schuldig, die ich niemals aus dem Auge verlieren darf.“

„Seinem Grade! Ha, ha, ha!“ lachte der Oberst aus voller Brust, und sich dem Capitain zukehrend, setzte er hinzu: „Was der wohl für eine Vorstellung von seiner hohen Würde haben mag! Na, ich will es gerade nicht tadeln. Ein gewisses Selbstbewußtsein ziert und hebt den Mann, nur muß es nicht in Hochmuth und persönliche Aufgeblasenheit ausarten.“

Sich nach diesen Worten dem Fähnrich zuwendend, fragte er mit komischem Augenzwinkern: „Aber giebt es denn wohl in der ganzen Welt irgend einen Weinwirth, der leichtsinnig genug wäre, einem Fähnrich auch nur einen Schoppen auf Borg zu geben?“

„Der Herr Oberst dürfen überzeugt sein,“ entgegnete der junge Mann mit komischer Gravität, „daß es in einer anständigen Garnison keine noble Weinkneipe giebt, die einem Fähnrich nicht gern unbeschränkten Credit gewährt.“

„So, so!“ meinte der Oberst, während ein leichter Anflug von Humor um seinen Mund spielte, „nun kann ich es mir auch erklären, warum das Schuldenmachen im Officiercorps epidemisch ist und den alten General als letzte Leidenschaft noch in den Ruhestand begleitet. Ja, ja! jung gewohnt ist alt gethan. Überbezahlt ihr leichtsinnigen Millionenhunde solche Schulden auch rechtzeitig?“

„Gewiß, Herr Oberst,“ erwiderte der Fähnrich sehr ernsthaft, während ein leichter Farbenwechsel sich in seinem Gesichte zeigte. „Das sind ja Ehrenschulden, zu deren Tilgung man gern den letzten Heller aufbietet.“

„Na, das möchte ich den jungen Herren meiner Brigade auch anrathen!“ sagte der Oberst mit fast drohender Stimme. „Ich habe nichts dagegen, wenn der Soldat zur Zeit einen tüchtigen Hieb nimmt; das hält Leib und Seele zusammen und gehört zum Stande, wie das Pulver zur Kanone, aber was man genießt, muß auch bezahlt werden. Wer Schuldverbindlichkeiten eingeht, die er nicht lösen kann, ist ein ganz gemeiner Betrüger. Ein solches Subject müßte mit dem Staupbesen aus der Armee fortgewiesen werden. Merken Sie sich das, junger Mann, für das ganze künftige Leben. Uebrigens ist es unverzeihlich, daß Sie sich schon so früh an ein so starkes Getränk gewöhnen, wie der Madeira ist.“

„Madeira?“ fragte der Fähnrich mit einer Stimme, die Erstaunen und Verwunderung ausdrückte.

„Nun ja! Was giebt es denn dabei zu verwundern?“ entgegnen der Oberst, und indem er ihm die Etiquette der Flasche vor die Augen hielt, fragte er: „Ist dies denn etwa nicht Madeira?“

„Alter Dry-Madeira“ buchstabirte der Fähnrich mit langsamer Betonung. „Ja wahrhaftig, es ist Madeira. Da hat mein Bursche wieder einmal einen dummen Streich gemacht.“

„Ihr Bursche?“

„Zu befehlen, Herr Oberst, mein Bursche hat das versehen.

Ich schickte den einfältigen Menschen kurz vor dem Abmarsch der Batterie nach der Weinhandlüng, aus der ich meinen kleinen Bedarf zu beziehen pflege, mit dem Auftrage, eine Flasche Rheinwein zu holen, er scheint aber Madeira gefordert zu haben, einen Wein, von dem ich leider keinen Tropfen trinken darf, weil mir der Stabsarzt alle schweren, leicht ins Blut gehenden Spirituosen untersagt hat.“

„Was sind das wieder für Flausen? Was soll diese Flunkerei bedeuten?“ fragte der Oberst und musterte das Gesicht des Fähnrichs, in dem sich aber nichts entdecken ließ, als der Groll, den er über die Verwechselung der Weinsorten zu empfinden schien.

Das Gesicht in die traurigsten Falten legend, sagte er: „Da habe ich nun das abscheuliche Getränk, von dem ich keinen Tropfen genießen darf, auf dem Halse und weiß wahrlich nicht, was ich damit beginnen soll.“

„Nun, nun,“ beschwichtigte ihn der Alte, „abscheulich dürfen Sie diesen Wein nicht nennen; für den, der ihn vertragen kann, ist es eine wahre Gabe Gottes.“

„Dürfte ich es denn vielleicht wagen,“ fragte der Fähnrich mit halblauter und auffallend unsicherer Stimme, „dem Herrn Oberst die Flasche …“

Er stockte und wagte es nicht, den Satz zu vollenden.

„Also darauf läuft die Flunkerei hinaus?“ rief der Oberst lachend und blickte fast mit Zärtlichkeit auf den jungen Mann hinab. „Sie wollen, daß ich den Madeira annehmen soll, um mir Ersatz zu schaffen für den Cognac, den ich meinem alten Kriegscameraden, dem Feuerwerker, gegeben habe? Na, es ist gut gemeint, wenn es auch etwas dreist und ungewöhnlich, und darum will ich die Flasche nicht zurückweisen, um nach beendigter Inspection mit den Herren Officieren zum Abschiede wenigstens ein Glas auf das Wohl des Königs trinken zu können. Vielleicht erlaubt es Ihnen der Arzt bei dieser außerordentlichen Gelegenheit einen Tropfen mitzutrinken,“ schloß er seine Rede und wandte sich mit der Flasche unter dem Arm nach der Batterie zurück, um die Besichtigung fortzusetzen.

Die Inspection des dritten und vierten Zuges fand ganz in der bereits geschilderten Art statt. Der Oberst beschränkte sich darauf, die Geschützrohre zu untersuchen, und entdeckte auch hier verbotene Gegenstände in Hülle und Fülle, die er ohne Ausnahme in das Geleise des Weges legen hieß, um später die Räder der Batterie darüber hinweggehen zu lassen.

Am letzten Geschütz fand die Revision in der würdigsten Weise ihren Abschluß. Dem Rohre entwand sich nämlich unter vielen andern Gegenständen eine schmale, lange Pappenschachtel, die sorgfältig mit Bindfaden umschnürt war. Der Oberst zerriß ohne weiteres Bedenken den Bindfaden, öffnete den Deckel, und ein künstliches Machwerk von Tüll, Garn, Blumen und Bändern blickte ihm entgegen. Fast zaghaft, wie nach einem ekelhaften Gegenstände, faßte er mit zwei Fingern nach dem Ende eines Bandes und hob daran ein monströses Gebäude von Haube hervor, die sich an dem Bande kokett im Winde schaukelte.

„Millionen-Donnerwetter, eine Dormeuse!“ rief der Alte und streckte den Arm weit von sich, als fürchtete er, daß die Berührung der Haube ihn verunreinigen könnte.

„Unterofficier, wie kommt das abscheuliche Ding in das Rohr?“ fragte er den betreffenden Geschützführer.

„Ich weiß es nicht,“ stotterte der lange, dürre Mensch, dessen bleiches Gesicht von Dummheit und Beschränktheit strahlte.

„Sie wissen es nicht, Herr Schafskopf? Ja, das konnte ich mir schon denken,“ schrie der Alte, und indem er mit der linken Hand dem Unterofficier den Tschako vom Kopfe schlug, setzte er ihm schnell die Haube auf, die sich wie ein elastisches Spinngewebe fest um das bebartete Antlitz des Soldaten schloß.

„Die Dormeuse kleidet den dummen Millionenhund, als wär’ sie eigens für seinen Kürbiskopf gemacht,“ sagte der Oberst und stimmte in das Gelächter ein, welches dieser Auftritt in der Batterie veranlaßte.

„Was, meine Paradehaube uf sonnen dämlichen Kappralskopp!“ ließ sich plötzlich eine krähende Stimme vernehmen, und gleichzeitig langte eine magere braune Hand nach dem Haupte des Unterofficiers hinauf und zog ihm mit einem raschen Griff das leichte Gewebe von der in Angstschweiß gebadeten Stirn.

„Sich da, Mamsell Pretiosa!“ rief der Alte überrascht aus und trat unwillkürlich vor einer kleinen vertrockneten Frauengestalt einen Schritt zurück.

„Jawohl, Mamsell Pretiosa, Ihnen zu dienen, Herr Oberst,“ sprudelte dieselbe hastig heraus und starrte den Alten aus großen schwarzen Augen so giftig an, wie eine Natter, die man getreten hat.

Die Dame, welche so unerwartet handelnd in die Scene eingriff, war die Marketenderin der Batterie, ein altes Inventarienstück, das unter dem Namen Mamsell Pretiosa in der ganzen Brigade bekannt war. Sie war eigentlich eine preußische Eroberung. Nach der Schlacht bei Dennewitz war sie nämlich mit einem Trupp gefangener Franzosen in die Hände der Preußen gefallen und hatte sich ihnen freiwillig angeschlossen, obgleich sie damals kaum zwanzig Jahre zählte. Sie wollte eine Waise sein und von ihrer Geburt und Abstammung keine Kenntniß haben. Sie sprach aber schon damals geläufig deutsch, was zu der Vermuthung führte, daß sie von deutschen Eltern abstammte. Die Freiheitskriege hatte sie als Marketenderin bei einer Jäger-Abtheilung mitgemacht, nach dem zweiten Pariser Frieden sich aber der siebenten Artillerie-Brigade attachirt, der sie seit jener Zeit fast ausschließlich angehörte. Von dem Oberst wurde sie ganz besonders protegirt, weil sie einen höchst vorzüglichen Cognac führte und mit seltener Treue an der ihm untergebenen Brigade hing. Sie erwiderte die Neigung des Alten und war eine enthusiastische Verehrerin desselben, wenn auch in diesem Augenblick aus ihren Augen tausend Blitze wie eben so viele vergiftete Pfeile auf ihn niederschossen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_138.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)