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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

den rings verstreuten Alpendörfern, nach den einzelnen dürftigen Holzhütten, die oft nur dem schwindelfreien Bergsteiger zugänglich sind, und überall war er bald der willkommene Hausfreund, der Hülfe bringende Arzt nicht blos, sondern der selbstlos spendende Wohlthäter der Armen. Wir selbst könnten Manchen nennen, dem er das Leben gerettet hat, wollen aber hier nur ausdrücklich erwähnen, daß der in Vevey lebende Künstler, der talentvolle Landschafter Prévost, dessen Freundlichkeit uns das Bild von d’Ester’s Grabsteine zeichnete, allein der Geschicklichkeit des deutschen Flüchtlings die Erhaltung des Augenlichtes verdankt. Die seltenen Stunden der Erholung, die er sich gönnte, pflegte er in der Regel in einem kleinen Freundeskreise unten in Vevey zuzubringen. Dort, im Hauptquartiere der Deutschen, im traulichen Wirthshause zur Post, bei dem braven Willy’schen Ehepaare, war’s uns immer ein Fest, wenn d’Ester erschien. Auch seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse suchte er zum Nutzen seiner Mitmenschen zu verwerthen. So entdeckte er in Wallis ausgiebige Marmor- und Kalksteinbrüche, deren Abbau ihn hätte bereichern können. Uneigennützig überließ er Andern die Ausbeutung der Werke.

Unterdessen war der bundesräthliche Erlaß, der d’Ester aus der Schweiz auswies, auch nach Freiburg gelangt. Der Präfect von Châtel-St.-Denis war jedoch d’Ester’s warmer Freund geworden. Nachdrücklich trat derselbe für ihn bei der Freiburger Regierung in die Schranken und erwirkte die Rücknahme des Beschlusses.

Die endlosen Aufregungen, die großen Strapazen, denen er sich, nicht Wind noch Wetter scheuend, Tag für Tag aussetzte, die wenige Pflege, die er seinem schon seit längerer Zeit siechenden Körper gönnte, warfen ihn endlich auf das Krankenbett, von welchem er nicht wieder erstand. Nach wenigen Wochen schon entschlief er, am 18. Juni 1859, umgeben von Fremden, deren Freundschaft ihm sein liebenswürdiger Charakter gewonnen hatte.

Vermögen hat er nicht hinterlassen; das Buch, in welches er seine ärztlichen Forderungen einzutragen pflegte, verbrannte er, als er sich über das Herannahen des Todes nicht mehr täuschen konnte. Menschenliebe, Uneigennützigkeit und Opferfreudigkeit waren die Hauptcharakterzüge des verfehmten „Demagogen“, den, mit vielen der besten Söhne des Vaterlandes, eine freiheitmordende Reaction hinausgestoßen hatte in’s „Elend“.




Aus den Landen des verlassenen Bruderstammes.

2. Von Rendsburg nach Schleswig.

Der Bahnzug flog an den Werken der deutschen Bundesfestung Rendsburg vorüber und stand an der in der Stadt befindlichen Haltestelle still. Wir stiegen aus, um uns zu erkundigen, ob es möglich sei, auf der Eisenbahn nach Schleswig zu gelangen. Es war unmöglich. Die dänischen Truppen hatten auf ihrem eiligen Rückzüge nach Schleswig die Eisenbahn an mehreren Stellen zerstört, die Schienen aufgerissen und eine Brücke gesprengt. Alle Straßen waren mit deutschen und schleswig-holsteinischen Fahnen geschmückt. „Was meinen Sie,“ sagte einer meiner Begleiter, Hauptmann von Zeschka, „wenn wir erst nach dem Kronwerk gingen, um den Hardesvogt Blaunfeldt zu sehen?“

„Blaunfeldt; ich meinte, er wäre standrechtlich von den preußischen Truppen erschossen?“

„Noch nicht, aber es wird wohl sein Ende sein. Zwischen zwei Uhlanen an die Steigbügel gebunden, wurde er aus Fleckebye eingebracht. Seinen Sohn brachten die Preußen gefesselt auf einem Wagen nach Kiel. Er soll den Dänen als Spion gedient haben.“

Wir gingen nach dem Kronwerk. Erst vor vierzehn Tagen war ich hier. Das Kronwerk war nun endlich geräumt. An der Schleußenbrücke standen noch die beiden sächsischen Posten, welche ich vor vierzehn Tagen an derselben Stelle gesehen hatte. An der andern Seite hielten nun zwei preußische Füsiliere der Garde Wacht. Wir gingen über die Brücke. „Nicht wahr,“ rief Hauptmann von Zeschka lachend, „Ihr seid die Execution, und Ihr da die Occupation?“

„Ja,“ riefen die Soldaten ebenfalls lachend, „wir sind die Execution und wir die Occupation.“

Die dänische Wache im Zollhaus auf der andern Seite war jetzt von Füsilieren der preußischen Garde besetzt. In der Wache saß Blaunfeldt, der verhaßte Hardesvogt aus Fleckebye, ein schleswigscher Renegat. Wir riefen den Unterofficier heraus und verlangten Blaunfeldt zu sehen. „Gehen Sie nur um die Wache herum an das Fenster, meine Herren,“ sagte der Unterofficier, „da werden Sie ihn sehen.“

Wir begaben uns an die andere Seite der Wache. Ein großes Fenster ging nach der Eider hinaus. Wir blickten durch dasselbe. Wirklich, da saß der Hardesvogt, noch in seiner Uniform, blauem Frack mit goldgesticktem Kragen und goldgestickten Patten auf den Taschen, auf einer kleinen Bank, den halbkahlen Kopf uns zugewandt. Neben ihm war ein Strohlager befindlich. Um ihn standen vier preußische Gardefüsiliere, die geladenen Gewehre mit dem aufgesteckten Bajonett in der Hand. Der Unterofficier stand in der nach dem Flur gehenden offenen Thüre. Ich klopfte an das Fenster. Ein heimtückisches Gesicht mit gläsernen, wasserblauen Augen und mit einem wie irrsinnigen Lächeln blickte mich an. Schon drei Tage saß er auf dieser Bank, den standrechtlichen Spruch und seinen Tod erwartend. Es war ein schreckliches Ende, welches der durch die Brüche, die er den armen Bauern nun während elf Jahren abgepreßt, reichgewordene Mann wohl nicht erwartet hatte.

Meine Begleiter eilten weg, um einen Wagen zu bekommen, der uns nach Schleswig führen sollte; ich blieb noch vor der Thür der Wache stehen. „Jetzt will ich Euch erzählen, Landsleute, wer Euer Gefangener ist,“ sagte ich als mich die Soldaten fragend ansahen. „Der Hardesvogt Blaunfeldt war ein verdorbener Advocat in Schleswig. Er wurde wegen Meineides zur Untersuchung gezogen und entging der Strafe nur durch einen Zufall. Jetzt ging er zu den Dänen über und wurde Redacteur der Flensburger Zeitung, eines dänischen Schmutzblattes, mit 1000 Thalern Gehalt. Die Einnahme war ihm nicht groß genug; er wußte sich in Kopenhagen ein Rescript zu erschleichen, welches ihm die erste gute Hardesvogteistelle im Lande zusicherte. In Folge dieses Rescripts erhielt er dann zwei Hardesvogteistellen auf einmal. Blaunfeldt wirthschaftete aber in seinen beiden Aemtern in einer Weise, daß selbst Graf Karl Moltke, obschon er sonst den Grundsatz aussprach, es käme ihm bei den dänischen Beamten gar nicht auf die Moral an, sondern nur auf die dänische Gesinnung, auf den Gedanken fiel, ihn abzusetzen. Da producirte derselbe das erwähnte Rescript. Er blieb jedoch nur Hardesvogt in Fleckebye; wegen der zweiten Hardesvogtstelle wurde mit ihm ein Abkommen getroffen. Er trat sie freiwillig ab, aber nur erst dann, als er eine bedeutende Summe als Entschädigung erhalten hatte.“

„Ja,“ sprach der Unterofficier, „er ist ein sehr schlechter Kerl. Das sagt uns Jedermann in Rendsburg.“

„Nun,“ fuhr ich fort, „wirthschaftete Blaunfeldt in Fleckebye weiter. Im ganzen Lande wurde er durch seine Sportelsucht berüchtigt. Er ist ein reicher Mann geworden. Mancher Bauer hat seinen in Blaunfeldt’s Harde (Bezirk) belegenen Grundbesitz zu einem Spottpreise verkauft, um nur von den unerträglichen und gar nicht mehr zu bezahlenden Geldstrafen loszukommen. Wenn ohne seine Erlaubniß in seiner Harde getanzt wurde, so nahm er häufig nicht den Wirth, sondern die Tänzer in Strafe, weil er auf diese Weise größere Summen herausschlug. Hatte er die Strafen publicirt, so fragte er die davon Betroffenen, ob sie nicht appelliren wollten. Bejahten sie die Frage, so sagte er: „Ihr könnt das sehr bequem haben, da nebenan sitzt Jemand, der die Appellation zu Protokoll nimmt,“ Der „da nebenan in der Stube“ war sein eigener Sohn, welcher bei ihm als Schreiber fungirte. Derselbe nahm die Appellation dann zu Protokoll und überreichte sie seinem Vater zur Abweisung. Durch die auf diese Weise verursachten neuen Kosten stiegen die Strafgelder gewöhnlich auf die doppelte Höhe.“

„Da ist wohl der Spion, den wir nach Kiel eingebracht haben, sein Sohn?“ rief einer von den Füsilieren.

„Derselbe. — Vor einigen Jahren fand in der Harde des Blaunfeldt eine große Hochzeit statt: Es waren über hundert Personen geladen. Blaunfeldt citirte zuerst die jungen Eheleute. Er verurtheilte Jedes von ihnen in eine Strafe von zwanzig Thalern auf Grund einer uralten, Niemandem bekannten Verordnung, weil die Hochzeit zu lange gewährt habe. Dann verurtheilte er sämmtliche Hochzeitsgäste, Jeden in eine Strafe von zwanzig bis vierzig Thalern, je nach ihrem Stande und Vermögen. So ist Blaunfeldt ein reicher Mann geworden. – Nun wißt Ihr,“ rief ich, „wer Blaunfeldt ist. Also laßt ihn nicht laufen.“

„Nun, wenn wir ihn laufen ließen,“ riefen die Soldaten, „die Rendsburger würden es gewiß nicht thun, die sind wüthend auf ihn.“

Ich ging meinen Freunden nach, welche schon weit voraus waren. Ein Wagen mit verwundeten Oesterreichern kam mir entgegen. Die Armen lagen in Decken eingewickelt auf dem Wagen. Eine Plane war darüber gespannt, um sie vor dem Winde zu schützen. Sie waren nur leicht verwundet, wie mir der Kutscher sagte. Bei dem ersten Hofe erreichte ich die Freunde wieder. Einer meiner Reisegefährten unterhandelte mit dem Besitzer, den er persönlich kannte, um einen Wagen. Nicht möglich. Alle Wagen aus dem Dorfe waren auf Kriegsfuhren unterwegs. Wir marschirten also zu Fuß auf der nach Schleswig führenden Straße weiter. Wagen auf Wagen kamen uns entgegen. Das ganze Land schien hier unterwegs zu sein, da die Eisenbahn nicht fahrbar war. Schon machten wir uns darauf gefaßt, die drei Meilen nach Schleswig zu Fuße zu gehen. Da hielt vor uns ein Wagen, auf dem nur zwei Personen saßen, der Eigenthümer desselben und sein Kutscher. Es war einer von jenen nichts weniger als bequemen holsteinischen Wagen, auf denen ich vor drittehalb Jahren, als ich die politischen Zustände in Schleswig untersuchte, so vielfach das Land durchstreift hatte. Offen, hochrädrig, sind auf dem Korbe, in Lederriemen hängend, zwei, zuweilen drei Bänke befestigt. „Guten Tag,“ rief der Besitzer des Wagens mir entgegen, „wollen Sie nach Schleswig?“

Es war der mir bekannte Eigenthümer einer kleinen Landstelle in der Nähe von Itzehoe, der mit seinem Wagen nach Hause zurückkehrte, mit dem er ebenfalls auf Kriegsfuhre gewesen. Bereitwillig stellte er uns sein Gefährt zur Verfügung.

Wir kletterten sämmtlich auf den hohen Wagen. Der brave Andersen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_142.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2020)