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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

– so hieß der Besitzer desselben, – stieg ab, und gab uns seinen Knecht mit, um den Wagen zurückzufahren. Auf der Straße nach Schleswig fuhren wir weiter. Es war dieselbe Straße, welche die österreichischen Truppen vor einigen Tagen marschirt waren, um die Schanzen am Danewerk zu nehmen, augenblicklich die interessanteste Straße in ganz Europa. Im Trabe ging es nun vorwärts durch die holsteinischen Dörfer, welche die Dänen noch vor Kurzem besetzt hatten und, unter dem Titel von Requisitionen, in maßloser Weise ausplünderten. Soldaten aller Waffengattungen kamen uns entgegen, Oesterreicher und Preußen, ungarische Husaren, österreichische Infanteristen, preußische Kürassiere und Uhlanen, dann Wagen mit Heu und Stroh und mit Fleischvorräthen und Brod beladen. Dazwischen sahen wir Wagen mit Bürgern aus Rendsburg, die, um die Brüder in Schleswig zu besuchen, über die Sorge fuhren. Alles war auf den Beinen; dies war um so natürlicher, da während der letzten acht Tage der Uebergang über die schleswigsche Grenze mit einer Menge von Schwierigkeiten verbunden und zuweilen ganz unmöglich gewesen war. Der Bruderstamm zwischen Elbe und Königsau schien heute auch ganz aus seiner gewöhnlichen Natur herauszutreten. Mit Hurrah’s ging es an einander vorüber. Zuweilen erkannten sich die Freunde aus Schleswig und Holstein, wenn sie sich hier kreuzten. Dann wurden die Pferde auf einen Moment angehalten, die Wagen fuhren nebeneinander, und frohe Nachrichten flogen aus einem in den andern hinüber. Wie lange hatte man keine fröhliche Kunde auszutauschen gehabt! Jetzt hatte der Sturm, der mit einem Male hereingebrochen war, die ganze dänische Herrlichkeit über den Haufen gestürzt; mit dem eisernen Besen war sie hinweggefegt worden.

So gelangten wir bis zur Sorge, dem Grenzflüßchen zwischen Holstein und Schleswig. Die Dänen hatten auf ihrem Rückzuge vor den österreichischen Truppen die steinerne Brücke gesprengt, welche hier die beiden Bruderstämme mit einander verband. Links neben der Brücke ist eine große Ausspannung mit einem weiten Stallgebäude. Dort kehrten wir ein, um die Pferde ausruhen und füttern zu lassen.

Der große Stall war voll von österreichischen Fouragewagen. Kaum fand unser Gespann noch Platz. Im Hause lag österreichische Infanterie im Quartier, deutsche Truppen. Sie hatten die Dänen hinausgetrieben, welche hier während der letzten vier Wochen gehaust hatten und nun plötzlich vor den anrückenden Oesterreichern in alle Winde zerstoben waren, die Brücke hinter sich abbrechend und das Gespann des Wirths mit sich führend. Auf ihrer ganzen Rückzugslinie haben die Dänen derartige Gewaltthaten in Masse verübt. Manche von diesen Gewaltthaten waren so nutzlos, daß sie nur aus reiner Lust am Frevel verübt worden sein konnten. Wer den dänischen Charakter kennt, kann sich darüber nicht wundern. Auch das Niederreißen der prächtigen Ulmen auf dem Jungfernstiege in Rendsburg war eine ganz zwecklose Maßregel, welche selbst aus militärischen Gründen nicht gerechtfertigt werden kann. – In der großen Wirthsstube saßen einige von den hier einquartierten Soldaten am Tische, ihr Frühstück verzehrend. Es war Naturalverpflegunq, sehr gut ausgebackenes Brod mit vorzüglichem durchwachsenem Speck. Wir setzten uns an denselben Tisch und bestellten unsern Morgenimbiß. Dann frühstückten wir alle zusammen, und sie erzählten nun von dem Gefecht bei Wedelspang, an dem sie Theil genommen – dem letzten Gefecht, bevor die Dänen das Danewerk geräumt hatten. Es war heiß dabei hergegangen. „Noch auf zwanzig Schritt,“ erzählte ein steirischer Jäger mit wallendem grünem Federbusch, der an den Tisch herantrat, „haben die Kerls auf uns gefeuert, so erbittert waren sie; aber so wir sie gefangen hatten, waren sie wie umgewandelt, kriechend und freundlich.“

Der Oberstlieutenant und der Hauptmann lachten. „Ja, ja,“ riefen sie, „wir kennen sie ja aus den drei Feldzügen, auch damals waren sie so. Es liegt das einmal im dänischen Charakter.“

„Sehen Sie,“ rief ein Infanterist, „da diese dänische Kugel, wie groß sie ist, und was für eine niederträchtige Form sie hat. Sie schlug neben mir in die Mauer. Ich habe sie mir zum Andenken aufgehoben.

Wir betrachteten die Kugel. Es war eine Spitzkugel, an ihrem untern Ende von konischer Form. Die Kugel war von enormer Größe.

„Aber, sagt mir mal,“ fragte ich, „weshalb haben die Dänen das Danewerk denn gar nicht vertheidigt? Es ist auf der ganzen Linie ja gar kein Kampf gewesen. Das Danewerk ist ja fast gar nicht zu nehmen.“

„Ja,“ erwiderte der Jäger, „wir begreifen es nicht; sie haben geglaubt, die Preußen wären bei Arnis über die Schley gezogen und kämen ihnen in den Rücken.“

„Es ist aber gar nicht möglich,“ sagte der Hauptmann, „daß sie das geglaubt haben. An der ganzen Schanzenreihe von Friedrichsstadt bis nach Arnis läuft ja eine Telegraphenlinie entlang. Sie mußten ja unterrichtet sein, daß die preußischen Truppen den Uebergang noch nicht bewerkstelligt hatten.“

Wir sahen uns alle schweigend und verwundert an, und der Gedanke, der schon hier und da im Lande laut wurde, tauchte in uns auf, daß das ganze Gefecht an der Danewerkstellung ein Scheingefecht gewesen sei, um abermals den diplomatischen Machinationen als Folie zu dienen. Nun, die nächsten vier Wochen werden Vieles enthüllen. Da trat ein preußischer Officier mit einer Ordonnanz in’s Zimmer. Vor dem Helme trug er das weiße Landwehrkreuz. Der Officier kam von Schleswig. „Wie steht es in Schleswig?“ fragten wir einstimmig.

„Nun, das können die Herren sich denken,“ entgegnete er, „ungeheurer Jubel. Aber wie lange wird’s dauern, dann geht die alte Geschichte los, wie vor vierzehn Jahren.“

Jetzt sprach der Mann da in der preußischen Officiersuniform denselben Gedanken aus, den wir soeben alle vier gedacht hatten. Er ging wieder hinaus, um seinen Weg nach Rendsburg fortzusetzen. Wir schwiegen einen Augenblick, verstummend über den Gedanken, der soeben hier ausgesprochen war. „Hat nichts zu sagen,“ rief endlich der Hauptmann, „Blut ist geflossen; auch wir haben mitzusprechen. Zuerst wollen wir mal das Land aufräumen.“

Wir stießen alle miteinander an auf Schleswig-Holstein, die österreichischen Soldaten und wir. Der Portwein war ausgetrunken. Der Kutscher zeigte uns an, daß der Wagen angespannt sei. In einigen Minuten trabten wir aus dem Stalle hinaus. Auf einer hölzernen Nothbrücke ging’s über die Sorge. Jetzt waren wir in dem eigentlichen Lande des „verlassenen Bruderstammes“, in dem seit dreizehn Jahren gemißhandelten und in der kleinlichsten und erbärmlichsten Weise gequälten Schleswig angekommen. Weit dehnten sich die jetzt schneebedeckten Fluren und Aecker vor uns aus, überall von den hohen „Knicks“ durchzogen. Das Wetter wurde immer schlechter, Der am Morgen abwechselnd fallende Schnee hatte sich in ein dauerndes Schneegestöber verwandelt. Der Schnee kam von vorn, ein eisiger Wind wehte uns entgegen. Wir konnten uns kaum in unsern Pelzen erwärmen. Wir Alle sehnten das Ende unserer heutigen Reise herbei. Aber die Entfernung zwischen Rendsburg und Schleswig ist drei starke Meilen. Auch fing der Abend an heranzudunkeln. Mit dem Schneegestöber vermischte sich ein aufsteigender Nebel. Die Straße wurde, je näher wir an Schleswig herankamen, immer einsamer. So kamen wir von Sorgebrück nach Kropperbusch, von Kropperbusch nach dem Dorfe Jagel. Jedes Dorf führte uns dem Ende unserer heutigen Reise näher. Alle Häuser waren tief eingeschneit. Da sahen wir ja schon die halb in Schnee vergrabenen Häusergruppen des Klosterkrugs. In den letzten Tagen hatte hier ein kleines, unbedeutendes Gefecht stattgefunden. Klosterkrug ist noch eine halbe Stunde von Schleswig entfernt. Gleich hinter dem Klosterkrug gelangten wir nach dem Kohgraben, der äußersten Schanzenlinie. Zwei Eisenbahnlinien und die Chaussee durchschneiden an dieser Stelle den Kohgraben. Der Graben hat eine nicht unbedeutende Tiefe, die Brustwehr ist hoch. Der Kohgraben ist bereits in uralter Zeit angelegt und erstreckt sich in nordwestlicher Richtung in einer Länge von 7843 Schritt, also etwas mehr als drei Viertelmeilen vom südlichen Ende des Selker Moor bis nach Churburg. Die österreichischen Truppen hatten ohne Widerstand diese äußerste Schanzenlinie passirt.

Nach einer Viertelstunde langten wir vor Bustorf an, einem gerade vor Friedrichsberge liegenden Dorfe. Die Pferde gingen langsamer. Sie waren ganz abgemattet. Das Schneegestöber hielt noch immer an. Jetzt passirten wir den eigentlichen Danewerkwall. Das Danewerk macht, um die natürliche Beschaffenheit des Landes zu nutzen, mehrere Bogen und Winkel. Der erste Haupttheil den Walles läuft vom Haddebyer-Noor gerade gegen Nordwest nach dem jetzt ausgetrockneten Danewerksee, zwischen den Dörfern Husbye und Groß-Danewerk; der zweite Haupttheil geht von da gegen Südwest hin nach Churburg, dem westlichen Ende des Kohgrabens; der dritte erstreckt sich in einer nordwärts gebogenen Linie von da gerade gegen den Westen nach Hollingstedt, in seiner ganzen Länge zwei und eine Viertelmeile. Der Theil des eigentlichen Danewerkwalles, den wir nun durchschritten und welcher sich vom Halbkreiswall bis an den jetzt ausgetrockneten Bustorfer See und noch 1200 Ellen darüber hinaus erstreckt, heißt der Riesendamm[WS 1]. Seine Höhe ist 27–30 Fuß. Hohe, heute auch ganz in Schnee eingehüllte Schanzen lagen am Wege. Als nach dem Gefecht bei Wedelspang die österreichischen Truppen diese Schanzen beunruhigten, ohne einen eigentlichen Angriff zu machen, und die dänischen Truppen wieder die Aussicht hatten, bei der schrecklichen Kälte und unter großen Entbehrungen die Nacht hinzubringen, kam plötzlich zum allgemeinen Erstaunen selbst der Soldaten der Befehl, die Schanzen zu verlassen und sich theils auf dem Colonnenwege, theils auf der nach Flensburg führenden Chaussee zurückzuziehen. Sie vernagelten nur einige Kanonen, die meisten Geschütze blieben stehen. Um eilf Uhr Abends war kein dänischer Soldat mehr in Schleswig.

Hinter dem Danewerkwall fahren wir in Bustorf ein. Links lag ein ganz zerstörtes Haus am Wege. Die Dänen hatten das Haus zerstört und im Garten alle Obstbäume und Planken niedergehauen, um den Colonnenweg über das Grundstück zu führen. Schnee bedeckte jetzt die Trümmer. Dann kam ein Gebäude, welches niedergebrannt war. Die Dänen hatten es angezündet, weil es ihnen in der Schußlinie lag. Hier sah man alle Schrecken des Krieges. Da links stand das Bustorfer Spritzenhaus. Es war voll von todten österreichischen Soldaten. Sie waren fast alle in der Vorpostenkette gefallen. Die meisten waren durch den Kopf geschossen. Ich ließ den Wagen halten und trat einen Augenblick hinein. Es war ein schrecklicher Anblick. Endlich hatten wir Friedrichsberge, die Vorstadt Schleswigs, erreicht. Alle Häuser waren mit deutschen und schleswig-holsteinischen Fahnen geschmückt. Die Straße war durch lange Wagenzüge gesperrt, welche Pontons auf die Straße nach Flensburg führten. Die ganze Stadt bot einen kriegerischen Anblick. Geschütze, Wagen mit Pontons, mit Munition und Kriegsmaterial dicht hintereinander. Da am Schloß Gottorf, bei dem Thore standen eine Menge im Danewerk erbeutete Kanonen. Sonderbares Schicksal! Es waren dieselben Kanonen, welche man im Jahre 1851 so verrätherisch an Dänemark ausgeliefert hatte. Alle Räume im Schlosse Gottorf waren heute mit Verwundeten und dänischen Gefangenen gefüllt. Jetzt betraten wir die eigentliche Stadt Schleswig. Alle Häuser hatten auch hier schleswig-holsteinische und deutsche Fahnen ausgesteckt. Schleswig war ja eine befreite Stadt. Sämmtliche dänische Beamte waren in den ersten vierundzwanzig Stunden, wo die Dänen die Stadt verlassen hatten, fortgejagt worden. Auch nicht ein einziger war übrig geblieben. Die ganze Stadt war mit dem eisernen Besen ausgefegt. Es fehlt mir alle und jede Bequemlichkeit zum Schreiben; ich werfe diese Zeilen in einem halb eingeschossenen Schuppen auf’s Papier und gebe sie, ohne sie wieder durchlesen zu können, auf die Post, um Ihnen wenigstens meinen guten Willen zu zeigen. Nehmen Sie daraus, was Sie für die Gartenlaube etwa brauchen können. Mein nächster Brief soll Ihnen Besseres und Geordneteres bringen.

G. R. 

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Riesendarm
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_143.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2020)