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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Blätter und Blüthen.

Ein Hundeasyl in London. London ist die Stadt der Contraste – das ist ein so unzählige Male wiederholter Ausspruch, daß er nachgerade mehr als abgedroschen genannt werden muß, und dennoch tritt uns seine Wahrheit tagtäglich immer von Neuem entgegen. Dasselbe London, in welchem viele Tausende von Menschen Zeit ihres Lebens kein Obdach kennen, wo, wie die Gartenlaube erst neulich (in Nr. 2 dieses Jahrg.) erzählt hat, jeden Tag Schaaren unglücklicher Kinder von Polizeistation zu Polizeistation getrieben werden, weil sie keine Heimath haben, – dasselbe London darf sich eines reichfundirten und wohlausgestatteten Asyls für verlaufene und hungerleidende Hunde rühmen! Man lache nicht, die Sache ist voller Ernst und in ihrer Art wohlthätig und segenspendend genug. Wenn man weiß, daß nach der 1861 veranstalteten letzten Volkszählung London mehr als 2,800,000, im gegenwärtigen Augenblicke vielleicht schon drei Millionen Einwohner zählt, und die leidenschaftliche Hundeliebhaberei und systematische Hundecultur der Engländer im Allgemeinen kennt, so kann man sich vorstellen, welches Riesenheer von kläffenden und bellenden Vierfüßlern die britische Hauptstadt beherbergt und wie viel von diesem Contingente Tag für Tag ihren Herren und Herrinnen, freiwillig oder unfreiwillig, abhanden kommen mögen. Im wirren Chaos des Londoner Häuser-Oceans läßt auch die feine Hundenase hier und da im Stich, und mancher arme Köter muß elendiglich verkommen, weil er das schützende Dach des nährenden Herrn nicht wieder aufzufinden vermag, – wenn ihn nicht vorher eine mitleidige Seele zu Wurstfleisch zerhackt oder zu Lendenstücken schmort.

Das war das bejammernswerthe Loos so manchen treuen Pinschers und Spitzes, Pudels und Wachtelhundes in London bis vor drei Jahren. Seitdem sucht eine Anstalt, das erwähnte Asyl, diesem Schicksale mindestens theilweise vorzubeugen, – ein Institut, von dessen vorsorglicher Organisation ich mich jüngst mit eigenen Augen überzeugte. Schon eine geraume Zeit war einer etwas excentrischen, aber durch ihre Gutherzigkeit weit und breit bekannten vornehmen Dame Londons der geschilderte traurige Ausgang von zahlreichen schön begonnenen Hundelaufbahnen tief zu Herzen gedrungen. Sie hatte es sich daher zum Berufe gemacht, ihre Mildthätigkeit ganz besonders auf die verhungernden Hunde zu erstrecken, welche sie ab und zu in der Nachbarschaft ihrer Wohnung antraf, und die Thiere einer zuverlässigen Person gegen reichliche Vergütung in Hut und Pflege gegeben. Von Woche zu Woche wuchs indeß die Zahl ihrer Schützlinge, so daß sie sich nicht länger im Stande fühlte, das angefangene Werk lediglich als ein Unternehmen ihrer eigenen Privatwohlthätigkeit fortzuführen. Sie nahm denn durch die Presse die Mithülfe des Publicums in Anspruch und hatte die Genugthuung, ihre Aufforderungen vom reichsten Erfolge gekrönt zu sehen. Es gehört ja in England zum guten Tone, „gründendes Mitglied“ von allen möglichen milden Anstalten und Vereinen zu sein – ganz gleichgültig, wem diese ihre Vorsorge zuwenden – und so flossen unserer Hundeerlöserin von allen Seiten ansehnliche Spenden zu. Schließlich nahm der Londoner Thierschutzverein die Sache in die Hand und schuf sie zu einer förmlichen Stiftung um, die sich durch regelmäßige Jahresbeiträge erhält und die Dame, von welcher die erste Anregung zu dem Rettungswerke ausging, zur lebenslänglichen Vorsteherin ernannt hat. Ein passendes Local ward erworben, in Hollingworth-Street, wo in einem geräumigen Hofe eine Reihe wahrhaft komfortabler und luxuriöser Ställe hergerichtet worden sind, welche sämmtlichen Londoner haus- und heimathlosen Menschen als wahre Wohnungsparadiese erscheinen dürften, zu denen sie selbst in ihren Träumen nicht die Augen zu erheben wagen.

Anfangs mußte das neue Institut vielerlei Spott über sich ergehen lassen; Punch und andere Witzblätter gossen ihre Sarkasmen in ungezügelter Fülle und Schärfe darüber aus und frugen, ob man nicht etwa auch für verlorene Nashörner und Walfische ein Rettungshaus in’s Leben rufen wolle; namentlich aber legten die Umwohner der Anstalt heftigen Protest ein gegen die Nachbarschaft der lärmenden und heulenden Meute. Und wahrhaftig nicht mit Unrecht: denn als mich neulich mein Weg zufällig nach Hollingworth-Street führte, zählte ich in dem, gleich den Affenhäusern der zoologischen Gärten, mit Drahtgeflecht umsponnenen Hundehofe mehr als achtzig Köter von jedweder erdenklichen Species zusammen, vom riesigen Neufundländer bis zum zierlichen „King Charles“, und das Winseln und Knurren, das Gekläff und Gebell, das losbrach, als ich mit dem Castellan des Asyls, einem frischen jungen Burschen von fünfzehn Jahren, den Zwinger betrat, war ohrenzerreißend.

Jetzt ist das Unternehmen ein fait accompli, und weder Punch noch Nachbarschaft tasten es mehr an, um so weniger, als man sich inzwischen von seinem Nutzen überzeugt hat. Den Zweck und die jetzige Wirksamkeit des Instituts wird man am besten aus den Statuten desselben ersehen, die ich, behufs Nachahmung in den deutschen Großstädten und zur tröstlichen Aussicht für jedweden Hundefreund, mittheilen will.

1. Jeder in die Anstalt gebrachte Hund wird dem sich legitimirenden Eigenthümer, gegen Erstattung der Kosten für Fütterung und Pflege, zurückgegeben; – 2. Von Mitgliedern der Stiftung verlorene und in das Asyl gebrachte Hunde werden den Besitzern ohne Berechnung irgendwelcher Verpflegungskosten ausgeliefert; – 3. Jeder Hund, den sein Herr nicht innerhalb vierzehn Tagen reclamirt, wird, zur Deckung des erwachsenen Aufwands, verkauft oder – sonst verwerthet; – 4. Um das Stehlen der Hunde zu verhüten, wird den Personen, welche herrenlos gefundene Hunde in die Anstalt bringen, keine Belohnung gegeben; – 5. Man hat zugleich Vorkehrungen getroffen, daß Damen und Herren, während etwaiger Abwesenheit vom Hause, ihre Hunde in dem Asyle unterbringen können. –

So ist unser Institut nicht blos ein Rettungshaus, sondern gewissermaßen auch eine Kleinkinderbewahranstalt für Hunde. Recht schön und thierfreundlich, – aber die Tausende von Menschenkindern, die alle Tage ohne Obdach, ohne Schutz, ohne Pflege und ohne Nahrung in den Straßen Londons umherirren, wollen Einem doch immer wie ein schmerzliches Fragezeichen zu diesem Hundeasyle erscheinen!




Der würdige Sohn eines unvergeßlichen Vaters. In dem blutigen Gefechte bei Oeversee unweit Schleswig traf eine dänische Kugel, unter den vielen beklagenswerthen Opfern des Tages, auch den tapfern Obersten eines der tapfersten österreichischen Infanterieregimenter, desselben, welches schon in der Schlacht von Magenta mit bewundernswerther Unerschrockenheit gekämpft hatte. Der Name dieses Führers ist den Lesern der Gartenlaube kein fremder. Der schwer verwundete Officier ist ja der heldenmüthige Sohn eines heldenmüthigen Vaters, jenes Herzogs Eugen von Würtemberg, welcher „als der Erste dem Kaiser Alexander den Plan des nachmals so hochgepriesenen Feldzuges von 1812 vorlegte“, als russischer Befehlshaber die Franzosen bei Culm über den Haufen warf und bei Wachau König Murat’s berühmten Reiterangriff abschlug, aber, obschon ein geborener Feldherr von unvergleichlichem strategischem Scharfblick und erstaunenerregender Kaltblütigkeit, durch höfische Ränke und niedrige Eifersüchtelei seiner russischen Mitgenerale, im Leben nie die Anerkennung finden sollte, die seinem Genie und seiner Thatkraft gebührte.

Der Sohn, Prinz Wilhelm von Würtemberg, der an seinen Wunden noch immer hart danieder liegt, scheint mit den kriegerischen zugleich die menschlichen Tugenden, jene edle Bescheidenheit und liebenswürdige Menschenfreundlichkeit, geerbt zu haben, welche seinen unvergeßlichen Vater zierten. Davon geben die Zeilen Zeugniß, welche der Prinz mit fieberhafter Hand von seinem Siechbette aus an den Feldmarschall Lieutenant von Gablenz geschrieben hat, nachdem ihm die Kunde von seiner sechsunddreißig Vordermänner überspringenden Beförderung zum General geworden war. Voller Bescheidenheit lehnt er darin die Lobsprüche ab, die ihm der Kaiser und sein Commandeur gezollt hatten; sein Verdienst sei einzig und allein der Vorzug, sich an der Spitze eines Regimentes zu befinden, welches bereits im italienischen Kriege sich unverwelklichn Lorbeeren errungen habe, einer Schaar von Tapfern, die unter jedem andern Führer denselben Heldenmuth an den Tag gelegt haben würde. Hierauf macht er seine Vorschläge, wie die Stellen der gebliebenen Officiere seines Regimentes neu zu besetzen seien, und schließt mit den schönen Worten: „Verübeln mir Ew. Excellenz diese Bitte im Interesse meiner ehemaligen Cameraden nicht, – es sind die letzten Sorgen eines Vaters für seine hinterlassenen Kinder!“

Wir theilen diese Worte, die, wie wir jetzt bestimmt hoffen dürfen, glücklicher Weise nicht die letzten des tüchtigen Heerführers gewesen sein werden, nach einer (Korrespondenz der Kölnischen Zeitung mit; es sei uns aber bei diesem Anlasse auch die Bemerkung vergönnt, daß wir selbst aus eigener Erfahrung unsern Lesern erzählen können, welches dankbare Andenken nicht nur der wackere Sohn dem großen Vater, als seinem leuchtenden Vorbilde, bewahrt, sondern mit wie regem Antheile er auch die Erscheinungen der Zeit, in Leben und Literatur, verfolgt. Kaum hatte die Gartenlaube in Nr. 37 und 38 ihres letzten Jahrgangs dem „vergessenen Helden der Befreiungskriege“ einen späten Kranz der gerechten Würdigung auf das Grab gelegt, so wurde dem Herausgeber unseres Blattes die Freude eines eigenhändigen Brief den Herzogs Wilhelm von Würtemberg zu empfangen, in welchem derselbe sich namentlich nach den nähern Verhältnissen des Autors des „ausgezeichneten Artikels“ erkundigt, der „das Leben und die Thaten seines Vaters in einer ebenso historisch wahren und treuen Art schildert, wie er die wichtigsten Momente desselben in das richtige Licht zu stellen weiß,“ um dem Verfasser seinen herzlichen Dank für den „vollkommen gelungenen Aufsatz“ selbst ausdrücken zu können.

Wir denken, dies Schreiben spricht für sich selber.




Ein deutsches Gedicht das Festlied zur Galileifeier in Pisa. Daß der vielverschrieene Deutschenhaß der Italiener nicht und niemals der Nation, sondern lediglich dem Systeme galt, unter dessen Joche die ganze Halbinsel beinahe ein halbes Jahrhundert lang seufzen mußte, daß man vielmehr in Italien, weitherziger vielleicht als anderswo, anzuerkennen weiß, wie viel die menschliche Civilisation dem deutschen Geiste schuldig geworden ist, – dafür kann es keinen schlagenderen Beweis geben, als daß in der Vaterstadt Galilei’s, in Pisa, das Festcomité für die bevorstehende Jubelfeier des großen Landsmannes ein deutsches Gedicht zum officiellen Festliede erkoren hat und auf einem typographisch reich ausgestatteten Blatte, mit daneben gedruckter wörtlicher und freier italienischer Übertragung, verbreiten läßt. Dies Gedicht aber ist dem diesjährigen Auerbach’schen Volkskalender entlehnt, der bekanntlich im Verlage der Gartenlaube erscheint. Es bildet dort den poetischen Gedenkspruch für den Monat Februar, und wir können uns nicht versagen, unsern Lesern in wortgetreuer Übersetzung die Bemerkung mitzutheilen, mit welcher das aus dem Präfecten der Provinz, Luigi Tenelli, dem Rector der Universität, Silvestro Centosanti, und dem Gonfaloniere (Vorstand) der Stadt, Angelo del Punta, bestehende Comité, das uns soeben sein Festprogramm zusandte, die deutsche Dichtung einleitet:

„Ein Schriftchen, das jährlich unter dem bescheidenen Titel „Volkskalender“ (Berthold Auerbach’s Volkskalender 1864 – Leipzig, Keil – in 8.) veröffentlicht wird und das für jeden Monat ein wichtiges Factum verzeichnet, führt für den Februar des laufenden Jahres die Geburt Galilei’s an und fügt ein kurzes Gedicht bei.

Diese Wahl ist neben anderen Thatsachen, die erwähnt werden könnten, so bezeichnend, um darzuthun, welche Beachtung in Deutschland jenem großen Manne geschenkt wird; das Gedicht selbst so schön, daß das Festcomité beschlossen hat, es in der Ursprache mit einer zur Seite stehenden Übertragung wiederzugeben und am Tage des glücklichen Jubelfestes als einen Beweis der Hochachtung und des Dankes für diejenigen zu vertheilen, welche Deutschland in so schöner Weise die Wiederkehr des Geburtstages unsers großen Landsmannes in das Gedächtniß gerufen haben.“

Im Augenblicke, wo wir diese Zeilen in die Presse geben, wird eben die nach dem uns mitgetheilten Programme sehr würdig ersonnene Feier ihren Anfang genommen und unser deutsches Gedicht schon in tausenden von italienischen Herzen seinen Wiederhall gefunden haben.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_144.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)