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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Ferne gesehen wurde, mit dem ersteren ist nicht erwiesen. Am genauesten bekannt sind in diesem Gebiete die Südshetlandinseln. Ueber die Existenz des nach Australien zugekehrten Wilkeslands ist viel gestritten worden, und noch jetzt ist es unentschieden, ob wir es hier mit einem zusammenhängenden Küstenstrich oder mit einer Reihe getrennter Inseln zu thun haben. Auf dem ganzen Striche, der sich unter dem Polarkreis in einer Länge von 400 Meilen ausdehnt, sind nur an einzelnen Punkten bestimmte Anzeichen von Land gesehen worden, immer aber nur aus der Ferne und meist hinter einer langgestreckten Packeislinie liegend. Capitain Wilkes, der den nach ihm benannten Küstenstrich in ununterbrochener Ausdehnung gesehen haben will, soll es mit seinen Beobachtungen nicht eben genau genommen und häufig das für Land gehalten haben, was wohl in Wirklichkeit nur Dampfgebilde waren. Trotzdem ist nicht anzunehmen, daß ihn fünf Wochen lang solche Trugbilder unablässig verfolgt haben, und zudem wurde auf dem fraglichen Strich schon vor Wilkes an einzelnen Punkten Land gesehen. Bestimmter ist unsere Kenntniß von einer Inselgruppe, welche Balleny Anfang 1839 unter 165° östl. Länge und dem Polarkreis entdeckte und die nach ihm benannt wurde; die größte dieser Inseln hat nach ihm eine Höhe von 12.000 Fuß, und aus zwei Gipfeln einer anderen sah er mächtige Rauchsäulen aufsteigen, so daß ihre vulcanische Natur außer allem Zweifel ist.

Der dritte größere antarktische Landstrich endlich ist das von Roß entdeckte Victorialand; für uns der wichtigste einmal wegen seiner hohen südlichen Lage, sodann wegen seiner merkwürdigen geographischen Beschaffenheit, die in Roß einen ebenso kundigen wie gründlichen Erforscher gefunden hat. Roß – berühmt durch seine großartigen Nordpolfahrten[1] – hat, ganz abgesehen davon, daß er die höchste südliche Breite erreichte, in wissenschaftlicher Beziehung Bedeutenderes geleistet, als alle seine Vorgänger. Seine meteorologischen Beobachtungen, drei Jahre hindurch von Stunde zu Stunde angestellt, haben uns erst einen rechten Einblick in die physikalischen Grundzüge der antarktischen Meer- und Eiswelt verschafft. Eine unverwüstliche Eisnatur, scheute der kühne Forscher keines jener augenblicklichen Hindernisse, die Andere vor ihm zum schleunigen Umkehren bewogen hatten; häufig saß er, allzukühn vorgedrungen, Tage, Wochen, ja Monde mit seinen beiden Schiffen in den Spalten einer Packeiswand fest; und gerade solche Zeiten boten seinem wackern, ganz nach ihm gearteten Schiffsvolk die herrlichste Gelegenheit zu allerlei frohen Lustbarkeiten, zu Spiel und selbst zu ausgelassenen Maskeraden auf den umliegenden Eisfeldern – zum Ersatz für so manche gefahrvolle Stunde, in der der Sturmwind die mit mächtigen Eisschollen übersäeten Meereswogen an die Wände der Schiffe geworfen, Untergang und Verderben drohend.

Die von Roß entdeckte Küste dehnt sich von Nord nach Süd an 160 deutsche Meilen bis zum 78° südl. Breite aus. Hinter ihr liegen kolossale Gebirgszüge, die an Höhe den Alpen gleichkommen. Vom Scheitel bis zum Fuße mit einer ewigen Schnee- und Eisdecke überzogen, erscheinen diese himmelanstrebenden Bergriesen um so höher, da sie sich in ganz geringer Entfernung von der Küste erheben; Roß nennt uns Höhen von zwölf-, vierzehn-, ja von fünfzehntausend Fuß, und wir können an der Angabe eines so erfahrenen Polarfahrers nicht zweifeln. Von ganz besonderem Interesse sind die gewaltigen Vulcane, welche am südlichen Ende der Victoriaküste – da, wo jene schon oben erwähnte undurchdringliche Eiswand ihren Anfang nahm – gesehen wurden: gewaltig hohe, schneeweiße Kegel, in ihren äußeren Umrissen dem Riesenleibe des Aetna vergleichbar, aus denen stoßweise über tausend Fuß hohe und an dreihundert Fuß breite Flammen- und Rauchsäulen emporstiegen, deren Gehalt an Wasser sich in der endlosen klaren Höhe zu Dampf verdichtete und als Schnee und Nebel herniederstieg und allmählich verschwand. Ein großartigerer Contrast, als er in diesem Bilde enthalten, ist kaum denkbar; mitten aus der starren, leblosen Eiswelt lodert ein glühender Feuerstrahl hoch auf, als wollte er der Natur um ihn her Trotz bieten – doch ohnmächtig sinkt er besiegt zurück, und alle seine erzürnten Nachfolger erreicht dasselbe Geschick.

Unsere Abbildung stellt den 12.367 engl. Fuß hohen Vulcan Erebus dar. Ob diesem Aetna des fernen Südens je ein zweiter Sartorius von Waltershausen erstehen wird, um ihn in einer geistvollen und erschöpfenden Monographie zu verherrlichen? Der praktische Mann ist der Ansicht, daß dabei „wenig herausspringen“ wird. – Aber auch Denen, die überall nach dem materiellen Nutzen fragen, haben die Roß’schen Entdeckungen genug gethan.

Noch südlich vom 71° südl. Breite gewahrte Roß große Massen von Walfischen, oft wurden von ihm dreißig auf einmal in verschiedenen Richtungen gezählt; er glaubt, den Handelsunternehmungen eine neue Quelle des Reichthums eröffnet zu haben, die, mit Kühnheit und Ausdauer verfolgt, nothwendig reichlich productiv werden müsse. Fast von noch größerem Interesse ist das Vorkommen von Guano[2] in den Südpolargegenden. Von den Possession-Inseln, deren Lage auf unserer Karte ersichtlich, erzählt Roß u. A.: „Wir sahen nicht die geringste Spur von Vegetation, aber unbegreifliche Mengen von Fettgänsen (Pinguinen) bedeckten vollkommen und dicht die gesammte Oberfläche der Insel an den Rändern der Felsenwände und selbst bis zu den Gipfeln der Hügel; sie griffen uns heftig an, als wir durch ihre Reihen hindurchwateten, und hackten mit ihren scharfen Schnäbeln nach uns; … der unerträgliche Geruch des tiefen Guanolagers, das seit Jahrhunderten sich hier gebildet hat und einst den Ackerbauern der australischen Colonien werthvoll werden kann, ließ uns nicht lange hier verweilen.“

Die Pinguinen gehörten zur größten Art und waren meist 60–70 Pfund schwer; ein solches Thier wog sogar 78 Pfund. Sie zeigten sich furchtbar dumm und täppisch, und die Jagd auf sie – namentlich auf glatten Eisflächen, wo sie unbehülflich ausrutschten – bot der Schiffsmannschaft ein ganz besonderes Vergnügen. – Seitdem Roß alle diese Beobachtungen gemacht, sind über zwanzig Jahre verflossen. Thatsache ist, daß seitdem seine sicherlich werthvollen Winke unbeachtet geblieben sind.

Es erübrigt noch, einige Andeutungen über die allgemeine physische Beschaffenheit des Südpolargebiets zu geben.

Die nächste Frage ist nach der Temperatur. Von dem Grade der Wärme hängt alles organische Leben, der Zustand des festen Bodens wie der Meere ab; umgekehrt, wenn auch in zweiter Linie, wirkt dann die natürliche Beschaffenheit der Erdoberfläche wiederum auf den Temperaturzustand ein. Große Landflächen sind den größten Wärmeunterschieden ausgesetzt, große Wassermassen gleichen dieselben aus. Unser Gebiet nun hat von Haus aus eine sehr niedrige Temperatur, eben so niedrig wie die Nordpolarzone; wie hier, so entsendet auch dort die Sonne, wenig über den Horizont sich erhebend, selbst im Sommer nur matte Strahlen. Gleichwohl sind die Temperaturverhältnisse beider Zonen sehr von einander verschieden. Am Nordpol sind die Sommer warm, die Winter streng, am Südpol umgekehrt die Sommer verhältnißmäßig kühl und die Winter mild.[3] Die Erklärung dieser auffallenden Erscheinung finden wir in dem vorwiegend oceanischen Charakter der Südpolargegenden und den damit verbundenen Eisbildungen. Jene schon oben erwähnten Packeiswände und -Felder, Eisberge und Inseln, die ihren Hauptzuwachs im Winter erhalten, treten im Sommer von den südlichen Breiten aus ihre Wanderungen nach Norden an und kühlen die benachbarten Meere bedeutend ab, bis sie, zu immer kleineren Schollen zusammengeschmolzen, in wärmeren Breiten endlich ganz flüssig werden. Die bisherigen Beobachtungen haben ergeben, daß das wandernde Polareis in Form von ausgedehnten Packeisfeldern meist nur südlich vom 60° südl. Breite, in Form von losem Treibeis aber (namentlich im Atlantischen Oceane weit gegen den Aequator hin vorkommt; die nördliche Grenze desselben findet sich auf unserer Karte verzeichnet. Daher kommt es, daß die antarktischen Meere im Winter am meisten, im Sommer am wenigsten frei von Eis sind, und es ist sehr wahrscheinlich, daß ein Versuch, im Winter nach dem Südpol vorzudringen, viel leichter gelingt, als im Sommer, der Jahreszeit, in welche alle bisher gemachten Versuche der Art fallen.

Alle Anzeichen weisen darauf hin, daß sich südlich von den bis jetzt von Weddell und Roß erreichten Punkten noch weite Wasserflächen ausdehnen, und daß es mit Zuhülfenahme der reichen Erfahrungen aller Süd- und Nordpolfahrer nicht schwer halten wird,


  1. Im Jahre 1818 begleitete er seinen Onkel John Roß auf dessen erster Expedition nach der Baffinsbai, von 1819 bis 1827 machte er die vier Polarreisen Parry’s, von 1829–33 wiederum die seines Onkels mit, von 1839–43 sehen wir ihn in den antarktischen Regionen und von 1848 bis 49 als Befehlshaber einer Expedition zur Aufsuchung Franklin’s. Admiral Sir James Clarke Roß starb am 3. April 1862.
  2. Ueber die Vorbedingungen zu dessen Güte s. unseren Aufsatz „Der Guano und seine Fundorte“, Gartenlaube 1863 S. 263.
  3. Der antarktische Winter umfaßt die Monate März bis November, der Sommer December, Januar und Februar.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_151.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)