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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

durch eine abermalige Expedition das antarktische Problem endlich glücklich zu lösen. Neuerdings hat besonders der bekannte Geograph A. Petermann durch eine gründliche Zusammenstellung aller bisherigen Beobachtungen zur Klärung der Südpolarfrage beigetragen. Seine „Südpolarkarte“, auf der sich die Routen sämmtlicher Expeditionen von Cook bis Roß und alle von diesen beobachteten Eiserscheinungen finden, hat auch unserem Blatte als Vorbild gedient. Petermann erwartet namentlich von den aufblühenden Coloniereichen in Australien und Neuseeland, daß sie sich der weiteren Erforschung der antarktischen Regionen baldigst annehmen werden. Von Sydney und Melbourne sind die reichen Guanolager auf den Possessioninseln (zu Dampfschiff) in neun Tagen zu erreichen, und von da ist der Südpol – falls der Fahrt keine Hindernisse entgegentreten – nur vier Tagereisen weiter.

G. Hirth. 




All-Macht der polnischen Nationalregierung.[1]

Es war kurz nach dem Frieden von Villafranca, wo sich die Handelswelt von Neuem zu beleben begann, als auf dem Dampfer, der gen Bacharach zu Berg fuhr, ein junger deutscher Kaufmann, dessen Vater einem nicht unbedeutenden Fabrikgeschäft in Oberschlesien vorstand, die Bekanntschaft eines Polen von fast demselben Alter machte, der auf einer Reise über Straßburg nach Paris begriffen war. Die gleiche politische Anschauung der jungen Männer, ihr Bildungsgrad brachte sie bald näher an einander. Man tauschte die beiderseitigen Ansichten über die damalige Weltlage aus, und mit Befriedigung erkannte der Deutsche, den wir Alfred nennen wollen, in seinem Begleiter zwar den Sarmaten, der mit all’ der innern Gluth, wie sie dem Polen eigen ist, an seinem Vaterlande hing, doch zugleich sich den klaren, ruhigen Blick zu bewahren verstand, die Verhältnisse mit möglichster Leidenschaftlosigkeit zu überschauen.

„Das Unglück meines Volks,“ sagte er unter Anderm, „liegt hauptsächlich darin, daß es sich, in seiner Liebe zum Vaterlande zu leicht von Illusionen blenden und bei dem geringsten Schimmer eines politischen Erfolgs zu übereilten Schritten hinreißen läßt. Es scheut dann selbst die schwersten Opfer nicht, um leider nur zu bald einzusehen, wie es sich und seiner Sache nur geschadet hat.“

„Sollten aber,“ versetzte hier der Deutsche, „eine siebzigjährige Erfahrung und siebzigjährige Prüfungen Ihre Landsleute nicht endlich weiser gemacht haben?“

„Glauben Sie das nicht,“ antwortete der Andre, „die erste scheinbar günstige Gelegenheit ist hinreichend, den fort und fort glimmenden Funken immer von Neuem zu Flammen anzufachen.“

Die Blicke des Polen ruhten auf dem dunkeln Nußlaub von Sanct Goar, wo man soeben vorüberfuhr, und mit schmerzlichem Lächeln fügte er hinzu: „Sagt nicht einer Ihrer großen Dichter: „„Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen““? Die Liebe des Polen zu seinem Lande gleicht nicht der abgeklärten Liebe des Gatten zu seiner Gattin, sondern der feurigen des Liebenden zu der Geliebten, wo in der Regel der Verstand mit dem Herzen davonläuft. Die Besonnenern unter uns müssen dann mit, sie mögen wollen oder nicht, selbst wenn sie den unglücklichen Ausgang vor Augen sehen.“

Die beiden jungen Männer fanden sich zu einander hingezogen und beschlossen auch ihre weitere Reise gemeinschaftlich zu machen. So erreichten sie Straßburg, und da der Pole daselbst einige Tage zu verweilen gedachte und die Geschäfte Alfred’s gleichfalls einen mehrtägigen Aufenthalt erforderten, kam man noch unterschiedliche Male zusammen, zumal sie im nämlichen Hotel ihr Quartier aufgeschlagen hatten.

Eines Tags besichtigte man auch die reichen Arsenäle der Festung. Mit Verwunderung betrachteten die beiden Fremden die imponirende Anzahl der hier aufgehäuften Feuerschlünde. Mit ernstem Sinnen frug der Pole: „Ob wohl eine Zeit kommen wird, wo diese dunkeln Mündungen ihre Stimmen für das Recht und die Freiheit erheben?“

„Gewiß,“ erwiderte Alfred, „da ich an einen sittlichen Geist der Geschichte und dessen endlichen Sieg glaube. Freilich,“ fügte er mit trübem Lächeln hinzu, „ob wir Beide diese Zeit erleben werden, ist die andre Frage. Wir müssen uns hier mit den zahlreichen Geschlechtern trösten, die ebenfalls auf ein politisches Canaan gehofft und dafür gekämpft und gelitten haben, ohne es je zu sehen zu bekommen. Die Freiheit wie die Wahrheit können warten, sagt ein Sprüchwort, beide sind unsterblich, und was zählt im Laufe der Geschichte ein Menschenalter!“

„Das ist auch mein Trost,“ versetzte der Andre, seinem Begleiter die Hand reichend und drückend, „die Freiheit kann warten, sie bleibt unverloren. Das soll uns aber nicht abhalten, daß Jeder nach seinen Kräften beitrage, dem ersehnten Ziele näher und näher zu kommen; sei es auch nur ein Tropfen in’s Weltmeer.“

Kurz darauf trennten sich die beiden Reisenden, nachdem sie sich gegenseitig einander achten und schätzen gelernt. Der Pole reiste nach Paris, Alfred durch Süddeutschland nach seiner Heimath zurück.


Vier Jahre nach dem obigen Zusammentreffen trat eines Nachmittags der Vater Alfred’s zu ungewohnter Stunde in das Zimmer seiner Gattin. Sein Gesicht war sehr ernst und drückte die lebhafteste Besorgniß aus.

„Ich habe schlechte Nachrichten empfangen, liebe Frau,“ begann er. „Die neuesten Briefe aus Warschau lassen mich für meine dortigen Außenstände das Aergste befürchten. Die durch die immer weiter um sich greifende Insurrection herbeigeführte Stockung der Geschäfte stellt den Fall von Häusern in Aussicht, der uns auf das Empfindlichste berühren würde. Namentlich ist mir’s um eine Baarzahlung meines Hauptschuldners zu thun, die bereits vor vier Wochen gefällig und deren schleunige Beschaffung für mein Fabrikgeschäft täglich dringender wird. Ich wollte Dir darum blos die Mittheilung machen, daß ich den Alfred nach Warschau schicken werde.“

Als die Gattin von der Sendung ihres Sohnes nach Warschau hörte, entfärbte sie sich.

„Bester Mann,“ bat sie, „bedenke die jetzigen gräßlichen Zustände daselbst. Man spricht selbst von einem bevorstehenden Bombardement der Stadt.“

„Die Gerüchte darüber sind übertrieben,“ beruhigte der Kaufmann. „Ich sprach noch gestern mit Geschäftsfreunden, die von dort kommen. Zudem ist Alfred mit Pässen und guten Empfehlungen hinreichend versehen und sein Aufenthalt nur auf ein paar Tage beschränkt. Aber ich muß durchaus wissen, wie es mit meinem Hauptschuldner steht und wie ich überhaupt mit ihm daran bin.“

Nur mit schwerem Herzen ergab sich die Gattin in das Unvermeidliche, und bereits den nächsten Tag reiste Alfred nach Warschau ab, das er auch glücklich erreichte, da die durch die Aufständischen eine Zeit lang unterbrochene Communication wieder hergestellt war.


Bereits am Spätnachmittage des zweiten Tages nach seiner Ankunft sehen wir den Sohn des schlesischen Kaufmannes in dem noch leeren Speisesaale des Hotels, wo er abgestiegen war, in stiller Verzweiflung auf und ab gehen. Der Zweck seiner Sendung war verunglückt. Der Hauptschuldner seines Vaters hatte ihn zwar mit aller Höflichkeit aufgenommen, aber zugleich mit großer Zungengeläufigkeit die Unmöglichkeit auseinandergesetzt, unter gegenwärtigen Zeitverhältnissen seinen Verbindlichkeiten nachzukommen. Das Schlimmste aber war, daß es dem erfahrenen und einsichtsvollen jungen Kaufmanne nicht entging, wie es dem Schuldner mehr an gutem Willen fehlte, als an Zahlungskraft. Welche Verluste auch der Pole namhaft machte, die ihn in Folge des Aufstandes und der dadurch entstandenen allgemeinen Handelscalamität betroffen, sie konnten bei dem Umfange seines Geschäfts nicht so tiefeingreifend sein, um einen haltbaren Grund zur Zahlungsverweigerung abzugeben.

Nach langem unfruchtbaren und unerquicklichen Hin- und Wiederreden, und als endlich Alfred mit Klagbarwerdung drohte, erwiderte kaltblütig der Gegner: „Thun Sie das, wenn Sie glauben, damit besser weg zu kommen. Ich muß mir es gefallen lassen;


  1. Nachstehende Mittheilung ist dem Referate eines schlesischen Kaufmanns entnommen.
    Der Verfasser 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_152.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2021)