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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Erforderniß. Namentlich der mittelste, mit welchem die durchaus wahrheitsgetreue Zeichnung unseres Leutemann den Leser bekannt macht, ist ein prächtiger Bau von 25 Fuß Tiefe, 30 Fuß Breite und 36 Fuß Höhe, an welchen sich nach hinten ein bedeckter kammerartiger Raum anschließt, dazu bestimmt, den Vögeln bei sehr rauhem und unangenehmem Wetter zum Rückzug zu dienen. Zwei Eichbäume und ein künstlicher Felshaufen gewähren ihnen innerhalb des Gebauers die nöthigen Ruheplätze, ein großes seichtes Wasserbecken bietet ihnen Gelegenheit zu dem Allen unumgänglich nothwendigen Bade, und der geräumige, mit reinlichem Kies bedeckte Fußboden endlich ein von Allen ersehntes Lager zur behaglichen Ruhe. So können sie sich nach Belieben bewegen; sie können laufen, fliegen, sich reinigen, miteinander kämpfen und endlich sich gemüthlich hinstrecken, um sich im Strahle der Sonne zu wärmen. Ihr Leben fließt deshalb verhältnißmäßig sehr angenehm dahin, und es will fast scheinen, als hätten sie alle Sehnsucht nach der goldenen Freiheit verloren.

Die Geräumigkeit eines solchen Gebauers bietet aber noch andere Vortheile. Sie ermöglicht, verschiedene Raubvogelarten zusammenzuhalten. Es will mir scheinen, als wage man in den meisten Thiergärten nicht, dies zu thun; ich bin aber von allem Anfang an meinen eigenen Grundsätzen gefolgt, weil ich mich immer bemüht habe, das Freileben der Thiere als für das Gefangenleben maßgebend zu betrachten. So sind denn vom Anfang an sehr verschiedene Raubvogelarten in dem großen Käfig zusammengesperrt worden, selbstverständlich aber mit sorgfältigster Berücksichtigung der Eigenthümlichkeiten dieser Arten. Meine früheren Beobachtungen der freilebenden Thiere haben mich die Gesellschaft kennen gelehrt, welche zusammen paßt, d. h. einfach die, welche sich verträgt oder wenigstens erfolglos befehdet. Daß diese Gesellschaft eine sehr gewählte sein muß, wird Jeder glauben, der Raubvogel kennen lernte, und weiß, daß diese mit einem nicht zu ihnen gehörigen Thiere nicht viele Umstände zu machen, sondern es ohne Gewissensbisse zu überfallen und aufzufressen pflegen. Das Letztere haben auch unsere Raubvögel gethan, als ich, natürlich mit werthlosen Thieren, weitere Versuche machen wollte, für deren Gelingen mir die im Freien gesammelten Beobachtungen fehlten, während sich dagegen herausstellte, daß alle diejenigen, welche in der Wüste z. B. an einem Geiermahle theilnahmen, auch im Käfig zusammengehalten werden dürfen.

Gegenwärtig beherbergt der Mittelraum des Raubvogelgebauers einige zwanzig Vögel, welche sieben verschiedenen Arten angehören und sich als ebenbürtig betrachten. Daß damit keineswegs gesagt sein soll, diese Ebenbürtigen lebten fortwährend im tiefsten Frieden zusammen, beweist unsere Abbildung schlagender, als ich dies mit Worten ausführen könnte. Ohne Kampf und Streit geht es nun einmal im Räuberleben nicht ab, ja, Kampf und Streit ist gewissermaßen die Würze desselben.

Die beiden edeln Recken, welche sich soeben auf unserm Bilde zu einem Zweikampfe anschicken, gehören zwei verschiedenen Familien an: der schwebende ist ein Adler und zwar der Seeadler, der stehende ein Geier und zwar der größte altweltliche, der Ohrengeier. Zwischen ihnen streckt der schöne Sperbergeier, welchen ich wissenschaftlich zu Ehren Rüppel’s benamst habe, ein Afrikaner, seinen Hals vor, rechts davon beschäftigt sich ein gewöhnlicher Gänsegeier eifrig mit den glücklich eroberten Knochen, während ein Mönchsgeier, unbekümmert um den losbrechenden Kampf, die günstige Gelegenheit wahrnimmt, den Zankapfel der beiden Streitenden für sich auszunutzen. Die Stein- und Goldadler, welche denselben Raum bewohnen, sind auf diesem Bilde nicht sichtbar.

Mit Ausnahme des Sperber- und des Ohrengeiers sind die hier gezeichneten Raubvögel wahrscheinlich alle Bekannte meiner Leser. Der eine oder der andere wird von den reisenden Thierkundigen von Messe zu Messe, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt geschleppt und hier dem lernbegierigen Beschauer gebührend vorgestellt. Da ist zunächst der Mönchsgeier, ein Bewohner Südeuropa’s, von dunkelbrauner Farbe, mit ziemlich befiedertem Kopfe, ein gutmüthiges, fast harmloses Geschöpf, welches sich ausschließlich von Aas nährt: ihm liegt es ob, als „Vogel Greif“ sein Publicum zu fesseln. Der Gänsegeier, ein etwas bissigerer, aber im Ganzen auch sehr unschuldiger Geselle, an seinem nackten Hals und der bräunlichen Färbung kenntlich, ist der verrufene „Lämmergeier“ der Thierschausteller, derselbe, welchem auf den mehr oder minder gelungenen, immer aber romantischen Menageriebildern die schwere Aufgabe zufällt, Ziegen, Schafe, Rinder und andere gewichtige Beutestücke durch die Lüfte zu tragen, mit furchtbar bewaffneten Jägern ingrimmig zu kämpfen und andere Schandthaten auszuüben, von denen sein Herz sich Nichts träumen läßt. Der Seeadler endlich, ebenfalls ein gewöhnliches Schaustück der Herren wandernden Naturforscher, weil er, als der häufigste deutsche Adler, für wenig Geld erworben werden kann, ist der in Wahrheit zu fürchtende Adler, welcher unter Umständen an einem kleinen Kinde oder einer kleinen Ziege sich vergreifen kann. Ohren- und Sperbergeier bekommt man in den Schaubuden nicht zu sehen: sie sind zu selten und zu theuer. Hinsichtlich des Letzteren ist dies nicht zu bedauern, weil er nur den Kundigen besonders anzieht, der Ohrengeier dagegen verdient wohl von jenen phantasiereichen Thierbeschreibern verherrlicht zu werden. Er ist mindestens so groß, wie der Kondor, von der Schnabel- bis zur Schwanzspitze fast 4 Fuß lang und von einer ausgebreiteten Schwinge zur andern 101/2 Fuß breit (wonach, beiläufig bemerkt, die Angaben über Länge und Breite eines Kondors zu berichtigen sind), besitzt einen gewaltigen Kopf und einen wahrhaft furchtbaren Schnabel, welcher im Stande ist, mit einem Bisse die stärkste Lederhaut eines Thieres zu zerreißen, hat eine ganz bedeutende Kraft und erhebt sich fliegend in ungeheure Höhen, bietet also Stoff genug zu ausführlicher Schilderung. Zählen wir den genannten nun noch Gold- und Steinadler, die edelsten Gestalten ihrer Familie, zu, so ersehen wir, daß wir es wirklich mit einer sehr theilnahmswerthen Gesellschaft zu thun haben.

Die meisten Besucher unseres Thiergartens werden von den Raubvogeln nicht in dem Grade gefesselt, als man erwarten sollte. Es ist dies einfach auf Mangel an Kenntniß des Lebens und Treibens dieser Thiere zurückzuführen. Auch in dem großen Raume bleibt der gefangene Geier oder Adler immer ein Gefangener, welcher nicht im Stande ist, sich in seiner vollen Schönheit zu zeigen. Den größten Theil des Tages über sitzt er still und ruhig mit lässig getragenem Gefieder auf dem einmal gewählten Platze so hoch als möglich, dem Wind und Wetter oft rücksichtslos, d. h. ganz ohne Noth, preisgegeben. Im Freileben widmet er seinem Flugspiele einen großen Theil des Tages. Er kreist oft zwecklos umher, beschreibt wundervolle Schraubenlinien, erhebt sich zu Höhen, daß er dem menschlichen Auge verschwindet, schwebt langsam wieder herab und zieht hin und her, so recht im Vollgefühl seiner gestählten Kraft. Ermüdet von diesen Spazierflügen sucht er sich eine Felszacke oder hohen Baum, läßt sich hier nieder und verfällt in einen träumerischen Halbschlummer, wobei er gelegentlich, gleichsam unbewußt, in seinem Federwamse nestelt. Unter günstigen Verhältnissen beansprucht seine Nahrung nur einen kleinen Theil des Tages. Dem scharfen Auge entgeht eine sich bietende Beute nicht, und wenn diese hinreichend groß ist, genügt sie nicht blos für einen, sondern oft für mehrere Tage. Da bleibt also viel Zeit zum Spielen und viel Zeit zur Ruhe übrig, und zwischen diesem Beiden wechselt der Tageslauf. Anders gestaltet sich das Leben des Raubvogels während der Brutzeit. Die Ernährung der wenigen Jungen verursacht viel bedeutendere Anstrengungen und gewährt wenig Zeit zu den Spielen, obwohl gerade diese während der Fortpflanzungszeit am lebhaftesten betrieben werden; denn vor der Paarung kreisen die beiden Gatten viel länger als sonst in der Nähe des gewählten Nistplatzes umher, und während das Weibchen brütet, unterhält es das Männchen, welches für Jenes Ernährung zu sorgen hat, in der ihm bleibenden freien Zeit durch prächtige Flugspiele. Dann beginnt die Lehre und der Unterricht der Jungen, und auch dies verlangt eine angestrengte Thätigkeit der Alten. Der gleichmäßige Tageslauf fängt also erst nach der Brutzeit an. In heißen Gegenden oder im Sommer wird sonst noch ein Theil des Tages der gründlichen Reinigung des Gefieders, d. h. dem Baden, gewidmet und hierauf ein halbes Stündchen in träger Ruhe verbracht.

Ein solches Freileben vermag der gefangene Raubvogel natürlich nicht zu führen, und eben deshalb erscheint er langweiliger, als er in Wahrheit ist. Der regelmäßige Beobachter aber überzeugt sich bald, daß das stolze Thier auch in der Gefangenschaft der Beachtung würdig ist. Die scheinbare Ruhe der ganzen Gesellschaft eines derartigen Gebauers, wie wir es vor uns sehen, wird augenblicklich unterbrochen, wenn sich Gelegenheit zum Handeln bietet. Namentlich in den Frühstunden um die Futterzeit geht es oft sehr lebhaft in unserem Gehege her, noch viel lebhafter, als man nach

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_166.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)