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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

folgenden Tage war er schon bei guter Zeit wieder im Garten und nahm wie vorher oben auf dem Raubvogelgebauer Platz, aber auch an diesem Tage entging er allen Nachstellungen. Der dritte Tag erst brachte ihn in unsere Gewalt. Die rauhe Fremde draußen mochte ihn unwürdig empfangen und ihm das Wichtigste, die Nahrung, versagt haben. Durch seinen langen Aufenthalt im Käfig verwöhnt oder vielleicht nicht einmal von seinen Eltern gehörig unterrichtet, verstand es der Arme nicht, nach Art anderer Räuber das tägliche Brod sich zu erbeuten. Er dachte sicherlich mit Sehnsucht an die Fleischtöpfe Aegyptens, als er das erste Mal sich anschickte, zu seinem alten Wohnsitze zurückzukehren. Der Hunger war es auch, welcher den Verlust seiner Freiheit herbeiführte. Lange Zeit und sehnsüchtig hatte er durch die Gitter nach den Fleischstückchen und bereits abgenagten Knochen gespäht, da kam ihm die leckere Lockspeise zu Gesicht, unbedacht versuchte er sich derselben zu bemächtigen und war im nächsten Augenblick mit einer unbehaglichen Halskrause geziert. Der achtsame Wärter befreite ihn so rasch wie möglich aus der Falle und brachte ihn wieder nach dem Gesellschaftskäfig, in welchem er heute noch lebt, scheinbar sehr zufrieden mit sich und der Welt.

Auf die anderen Bewohner des Käfigs hatte der Vorfall offenbar einen großen Eindruck gemacht. Sie alle waren mit Theilnahme dem frei in den Lüften umherfliegenden Cameraden gefolgt; sie hatten ihn jubelnd begrüßt, als er sich wieder zeigte, und wahrscheinlich eingeladen, zu ihnen herabzukommen. Als er oben auf der Höhe des Käfigs saß, waren Aller Augen nach ihm gerichtet, und jede seiner Bewegungen wurde theilnehmend verfolgt. So wurde denn auch das Gelingen der tückischen Menschenlist von sämmtlichen Raubvögeln wahrgenommen. Sie hatten gesehen, daß das Aufnehmen des Fleisches unter Umständen gefährlich werden konnte, und dies war ihnen genug. Mißtrauisch schauten sie das ihnen bald darauf vorgeworfene Futter an, und Keiner wollte, nachdem, was er soeben erfahren, seinen Hals wagen. Sie sahen mit lüsternen Blicken hernieder, blieben aber hartnäckig in der Höhe des Gebauers. Endlich konnte einer der Geier seine Begierden nicht länger zähmen, er flog herab, nahte sich vorsichtig dem Fleischhaufen, betrachtete ihn aufmerksam prüfend von allen Seiten, versuchte schüchtern ein Bröckchen zu nehmen, erfuhr, daß dies mit durchaus keiner Gefahr verknüpft war, und begann dann auch sofort eifrig zu fressen. Solch Beispiel verfehlte seine Wirkung nicht: wenige Minuten später hatte sich um das Fleisch das gewöhnliche Gewühl und Gewimmel gebildet.




Eines Bühnenhelden Glück und Ende.

Von Franz Wallner.

Im Frühling 1833 war’s, als alle Knospen sprangen und die Sehnsucht alles Lebende in’s Freie trieb. Wilhelm Kunst, der beliebteste Schauspieler Wiens, hatte mit der Aufführung des gerne gesehenen Stückes: „Das Irrenhaus zu Dijon“ ein brillantes Benefiz gemacht, und Director Carl, in dankbarer Anerkennung der Summen, die ihm das Talent des Künstlers eingebracht, hatte außer dem klingenden Ertrage dieser Einnahme noch einem Lieblingswunsche Kunst’s in großmüthigster Weise Rechnung getragen und diesem ein prachtvolles Reitpferd zum Geschenk gemacht. Zum Danke für diese bei Carl sehr seltne Generosität benutzte Kunst das Thier zu einem Probe- und Spazierritt von Wien nach – Hamburg, und „Roß und Reiter sah Carl niemals wieder.“

Die ganze künstlerische Laufbahn Kunst’s bestand in einem fortwährenden Abschiednehmen „sans adieu“, mit mehr oder weniger Eclat, bis sich am Ende die verschiedenen Bühnenleiter um sein Kommen so wenig kümmerten, als um sein Gehen; und der Mann, welcher während seines bewegten Lebenslaufes Summen verdient hatte, ausreichend zur sorgenfreien Existenz von zehn Familien, starb in der Nacht zum 17. November 1859 in einem verfallenen, unscheinbaren Hause in der Josephstadt, in einer winzigen Kammer; er, dem keine Wohnung reich und kostbar genug möblirt gewesen, fand seine letzte Ruhestätte in einem einfachen Armensarg, zu welchem die vier Wachskerzen, die denselben umstanden, von der Milde der Collegen bezahlt werden mußten, welche auch die letzten Lebenstage des Heimgegangenen vor dem bittersten Mangel geschützt und das Grab des „alten Cameraden“ mit einem Denkstein schmückte! –

Welch’ ein gewaltiger Contrast taucht in meiner Erinnerung an einen Abend auf, den ich als junger Mann in den Prunkgemächern der Kunst’schen Wohnung verlebte! Alle seine Collegen hatte der Gefeierte zu einer Soiree zu sich gebeten; was der raffinirteste Luxus an Naturalverpflegung erfinden konnte, war aufgeboten, um die Gaumen der Geladenen zu kitzeln, die Räume der Wohnung im Spielmann’schen Hause am Graben glänzten in einem Meere von Lichtern. Natürlich erhitzten sich auch die Köpfe der größtentheils aus jungen Leuten bestehenden Versammlung; immer toller, wüster und lärmender wurde das Gelage; einer der Anwesenden setzte sich an das Clavier, welches an der Thüre der an Kunst’s Wohnung stoßenden Zimmer aufgestellt war, die an seinen Nachbar, einen Graf M. von der spanischen Gesandtschaft, vermiethet waren. Wie ein Rasender ließ der tolle Gast seine Finger über die lärmenden Tasten fliegen, und entlockte diesen ein Charivari, welches nichts weniger als angenehm zu hören war, besonders um 2 Uhr Morgens und für einen jungen heißblütigen Spanier, der bei diesem nervenaufregenden Spectakel vergebens zu schlafen versuchte. Gewaltige Schläge an die benachbarte Thüre deuteten, auf allerdings sehr derbe Art das Verlangen nach Ruhe an, Schläge welche das übermüthige Künstlervolk seinerseits mit Wucher an derselben Thüre zurückgab.

Dieses Hin- und Hergeklopfe, von einer Seite immer unwilliger, auf der anderen immer toller und muthwilliger, hatte bereits eine Weile gedauert, als der anwesende, bereits sehr exaltirte Schauspieler Würth erklärte, er wolle diese „Ungezogenheit“ nicht länger dulden und den „Friedenstörer“ zur Rede stellen. Niemand achtete auf diese Renommage, als nach kurzer Panse Würth wieder mit dem Ausruf: „Ich bin getödtet!“ in’s Zimmer stürzte; aus der rechten Backe sprudelten zwei Blutströme fontainenartig heraus. Mit einem scharfen zweischneidigen Instrument war derselbe derartig verwundet worden, daß die Spitze sichtlich auf einer Seite der Backe hinein- und auf der anderen herausgestoßen worden sein mußte.

Man denke sich das Entsetzen der erst so tollfröhlichen Gesellschaft! Mit Mühe brachte man aus dem Verwundeten heraus, daß er sich in der Absicht, den Lärmer zur Rede zu stellen, in die Nebenwohnung verfügt habe, wo ein junger Mann ohne Weiteres auf ihn losgegangen sei und ihn mit einem Dolch in’s Gesicht gestoßen habe. Man denke sich die Verwirrung in den Kunst’schen Räumen! Während ein Theil der Anwesenden sich mit dem furchtbar blutenden Würth beschäftigte, riß Kunst, in sehr theatralischer Stellung, ein Schwert von der Wand und schrie fortwährend wuthentbrannt: „Laßt mich, laßt mich, ich muß den Hund tödten!“ Dies „laßt mich, laßt mich“ war eigentlich sehr überflüssig, denn es dachte eben so wenig irgend einer von uns daran, Kunst zu halten, als dieser Lust zu haben schien, wirklich sich in des gereizten Löwen Nähe zu begeben. Vor seiner Wohnung aber, unter der Eingangsthür am Flur lehnte in Nachtkleidern, die mit Blut überströmt waren, ein bleicher junger Mann, das bildschöne Gesicht, in dem unheimlich ein paar glühende Auge funkelten, umrahmt von einem tief-schwarzen Vollbart, die herabhängende Faust mit einem blitzenden Dolch bewaffnet. So bildete der spanische Gesandtschaftsattaché Graf W., in seiner lautlosen, entschlossenen Haltung, den schärfsten Contrast zu der andrängenden lärmenden Menge. Ich muß zu meinem Bedauern eingestehen, daß ich mehr Bewunderung für die classisch-schöne Erscheinung des wilden Fremdlings fühlte, als Mitleid mit meinem verwundeten Collegen, der noch immer winselnd unter den Händen des rasch herbeigeholten Wundarztes lag, welcher die Verletzung zwar für schmerzlich, aber nicht gefährlich erklärte.

Später ließ sich Würth für die Summe von ein paar tausend Thalern beruhigen und unterließ es, durch Vermittlung der Gesandtschaft eine Klage gegen den Graf M. anzustrengen. Die Narbe aber, die ihn an jene verhängnißvolle Nacht erinnerte, nahm Würth mit in’s Grab. Mit den ihm so unverhofft zugefallenen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_168.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)