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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

eigentlichsten Bezeichnung des Wortes der „alte Kunst“, der zu mir eintrat. Abends in seiner Rolle Percival in Grifeldis fiel er total durch, und das Publicum verhöhnte den kokett geschminkten und gleich einem Seiltänzer herausgeputzten verfallenen Komödianten, der nicht eine Spur der einstmaligen Herrlichkeit, ja nicht einmal den Wortlaut seiner oft gespielten Rolle behalten hatte. Das Herz wendete sich mir im Leibe um, als ich, im Zuschauerraume anwesend, das harte Urtheil der jüngeren und rücksichtslosen Theatergänger anhören und dasselbe gerecht finden mußte. Auf die Vorwürfe, warum ich Kunst überhaupt spielen ließe, hatte ich nur ausweichende Antworten. Ich konnte den Fragenden ja nicht auseinander setzen, daß ich den Mann gekannt habe in der Blüthe seines Ruhmes, in Glanz und Reichthum, mit Jubel empfangen und aufgenommen von den verwöhntesten Kennern der Residenz, ein hochwillkommener Gast für den stolzesten Intendanten der stolzesten Hofbühne.

Nach der Vorstellung begab ich mich zagend in die Garderobe meines Gastes und fand denselben am Tische sitzend; einzelne bittere Thränen rollten ihm über die geschminkten Wangen herab. „Warum hat mich mein Vater keinen Bauer werden lassen!“ rief er mir, die Hand reichend, schluchzend entgegen. Einer kleinen Gesellschaft, die ich ihm und der Vergangenheit zu Ehren einige Tage darauf zu mir gebeten hatte, war er die unerquicklichste Erscheinung, die man sich denken konnte: – er selbst im abgetragenen schwarzen, zu eng gewordenen Leibrock in die Sophaecke gedrückt; meine Gäste in Verlegenheit, welches Gesprächsthema sie mit der verfallenen Größe anschlagen sollten; ich wohl der Befangenste unter Allen.

Als der wohlwollende und gutmüthige Dr. M. Ring, der die Leistungen Kunst’s in schonendster Weise besprochen hatte, aber aus Schwarz eben nicht Weiß machen konnte, in’s Zimmer trat, wollte er diesen durchaus zur Rede stellen, ja ich mußte Alles aufbieten, um eine für alle Theile ärgerliche Scene zu vermeiden.

Noch zwei Mal unternahm ich das Wagniß, den Gast dem Berliner Publicum vorzuführen, und dann beschloß ich, mich für die noch zu gebenden Rollen mit Auszahlung des Honorars abzufinden. Es war überflüssige Angst von mir, daß er mir dies übel deuten könne; die Hast, mit welcher er das versiegelte Paquet entgegennahm, die Bereitwilligkeit, mit welcher er um diesen Preis auf jedes fernere Auftreten verzichtete, bewiesen mir nur zu deutlich, daß der Mann bereits gewohnt war, Almosen und Unterstützungen als etwas Selbstverständliches hinzunehmen. Er reiste „sans adieu“ ab; ich habe ihn nie wieder gesehen!

Eine Zeit lang zog Kunst mit einem bildschönen Knaben herum, den er Sohn nannte und welcher später in Braunschweig, dann in Amerika als mittelmäßiger Schauspieler auftauchte. Die Mutter dieses Knaben blieb auch für die näheren Freunde Kunst’s ein Geheimniß, da man – mit Ausnahme seiner nach wenig Tagen wieder getrennten Ehe mit der gefeierten Sophie Schröder – nie von irgend einem Liebesverhältniß desselben erfahren hatte. Eine glückliche zufriedene Ehe, die Sorge für eine geliebte Familie hätte den Ruhelosen vielleicht in ein dauerndes Verhältniß festgebannt und zum Heile geführt; so aber wanderte er von Ort zu Ort, stets dieselben Rollen spielend, ohne Studium, ohne geistigen Fortschritt, bis ihm allmählich die glänzenden Naturmittel, auf welchen seine Erfolge basirten, versagten, seine Fehler immer greller an’s Licht traten, seine Vorzüge schwanden, sein Gedächtniß ihn verließ und er selbst vielleicht eines Morgens schaudernd die Entdeckung machte, daß seine Laufbahn zu Ende sei, die Rosen verblüht und sein künftiger Lebensweg nur mühselig durch wirres Dornengestrüpp sich winden werde.

Vor dem Abschluß dieser Laufbahn, als er schon mit einem einspännigen kleinen Wägelchen die Städte der für das Theater so unergiebigen Schweiz bereiste, um überall, wo es thunlich, von den letzten Resten seines Ruhmes spärliche Nachlese zu halten, traf ihn in Bern das erschütternde Unglück, daß der Begleiter, den er bei sich hatte, unter den Hufen seines eigenen wildgewordenen Pferdes zertreten, ja in gräßlicher Weise zerstampft wurde, ehe ihm irgend Jemand zu Hülfe eilen konnte. Dieser schreckliche Todesfall machte einen entsetzlichen Eindruck auf den alternden Künstler und ihm einige Zeit die Ausübung seines Berufes unmöglich. Von hier ab verschwindet der dramatische Ahasver – ein dem bereits kränkelnden alten Mimen von Nestroy 1855 aus Mitleid bewilligtes erfolglos vorübergehendes Gastspiel in Wien ausgenommen – nach und nach gänzlich aus der Theaterwelt, bis er im Juni 1859 wieder in den elendesten Umständen, krank, geistig und körperlich gebrochen, ein Bild des Jammers, in Wien eintraf und seitdem von milden Gaben seiner Collegen lebte, die ihm reichlich genug zuflossen, um seine letzten Tage vor Mangel zu schützen.

Wir finden ihn am 17. November 1859 als „stillen Mann“ wieder in einem kleinen verfallenen Hause der Josephstadt, in einem kleinen schmucklosen Stübchen, zu welchem der Weg über einen verfallenen morschen Gang führt. An dem einfachen Sarge hielt der Superintendent Pauer eine ergreifende Rede. „Erschüttert und bewegt,“ begann er, „stehen wir am Sarge eines Mannes, der in seinem Leben selbst so viele Herzen erschüttert und bewegt hat.“ Im Verlauf der Gedächtnißfeier fuhr Pauer fort, das vielbewegte Leben des Verstorbenen zu schildern, „dessen Heimath überall gewesen, wo er gewirkt, der viel gefehlt und gesündigt hat, der aber auch immer der Erste war, der sich selbst anklagte; darum werfe Niemand einen Stein auf ihn!“

Nach der Rede sang das Chorpersonal des Josephstädter Theaters ein Trauerlied von Gläser, dann bewegte sich der Zug hinter dem einfachen Sarge dem Kirchhof zu. Es war eine trübe Leichenfeier. Ein kalter schneidender Wind durchkältete das kleine Häuflein getreuer Collegen, die dem Dahingeschiedenen die letzte Ehre erwiesen. Schnee und Nebel senkten sich auf das offene Grab, um welches der eisige Nordsturm die entlaubten Blätter gepeitscht hatte. Die düstern Accorde eines Trauergesanges von Suppé mischten sich als letzte Scheidegrüße mit dem unheimlichen Gepolter der Erdschollen auf das einsame Grab, welches die Nummer 39 trägt.

So endete der größte Naturalist, den die deutsche Schaubühne je aufzuweisen halte. Es ist ein charakteristisches Zeichen, daß es dem Verfasser dieser Zeilen erst nach den angestrengtesten Mühen und mit Hülfe aller seiner Verbindungen in der Theaterwelt gelungen ist, eines der zahlreichen Costümbilder aufzutreiben, welche Kunst’s Darstellungen illustrirt hatten. Fast alle Andenken an seine Leistungen sind verschollen und vergessen, wie das Original, das wir mit all’ seinen Fehlern und seinen großen Vorzügen zu zeichnen versucht haben, als warnendes Beispiel, daß die glänzendsten Gaben der Natur nicht dauernd zu wirken im Stande sind ohne Verein mit der bildenden und veredelnden Kunst! – Friede seiner Asche!




Ein österreichisches Soldatenbild.

Lassen wir uns das Mannesbild, das wir unseren Lesern vorführen, nicht durch den Hintergrund beschatten, aus dem es sich hervorhebt. Weder der Krieg, in welchem unser Held seine ausgezeichnete Rolle spielt, noch die Politik des Staates, dem er dienstbar ist, sollen mit unserem Bilde Etwas zu schaffen haben; weder die Politik eines Rechberg noch die eines Bismarck ist eine solche, mit der ein deutscher Ehrenmann sich einverstanden erklären kann; am wenigsten soll jedoch unsere Skizze einen Schatten auf die Kampfgenossen werfen, deren einköpfiger Adler diesmal dem zweiköpfigen die Bahnen vorzuzeichnen hat. Also: ein österreichisches Soldatenbild der Gegenwart ohne Seitenblicke und Nebenbedeutung, als ein solches steht vor uns der Freiherr Ludwig von Gablenz, k. k. Feldmarschalllieutenant und Armee-Commandant im Kriege der deutschen Großmächte gegen Dänemark.

Das österreichische Heer ist das eigenthümlichste der Welt. Nur die Kriegerschaaren des alten Römerreichs boten eine ähnliche Erscheinung, und zwar die der Zusammensetzung aus den verschiedenartigsten Völkerschaften und der festen Gliederung und des Zusammenhaltes derselben durch ein geistiges Band. Auch Napoleon I. hat vielerlei Völker unter seine Fahnen vereinigt, von denen einzelne sogar mit Begeisterung für ihn kämpften, ja, es schien sogar, als ob eine Erneuerung des Römerreichs durch ihn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_170.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)