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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Das fränkische Weinparadies.
Von Ludwig Storch.

Zu Bacharach am Rhein,
Zu Würzburg an dem Stein,
Zu Klingenberg am Main,
Da wächst der beste deutsche Wein.

Vom Bergaltan der an der Nordseite des Nikolausberges hoch gelegenen Marienwallfahrtskirche bei Würzburg, welcher der Volksmund allgemein den abgekürzten Namen „das Käppele“ (Kapellchen) beilegt, hat man eine der reizendsten Aussichten des an Naturschönheiten so reichen Frankenlandes. Der entzückte Blick fällt hinunter auf die malerische Mainbeuge, an deren rechter Seite die alte in der Geschichte unsres Vaterlandes so hochwichtige Fürstbischofstadt die Neustadt Würzburg, die jetzt sich endlich auch allmählich verjüngende Hauptstadt von Unterfranken, an deren linker Seite die Altstadt, das Burkhardsviertel, mit der darüber thronenden Citadelle, dem Frauen- oder Marienberg, liegt. Dieses mäßig hohe Bergschloß ist die zierende Perle des prächtigen Landschaftsbildes. Die dem Beschauer zugekehrte Seite der Bergzunge, welche die alte Veste als Krone trägt, die südliche, ein schnell überblickter kleiner Berghang, von den sich herabziehenden weißen Mauern der Festung auf der West- und Ostflanke eingefaßt und unten vom schmalen Kun-, Ku- oder Kuhbachthale begrenzt, welches den Marienberg vom weit höhern und größern Nikolausberge scheidet, ist die unter dem Namen Leisten wegen ihres gewürz- und duftreichen herrlichen Erzeugnisses weltberühmte uralte Weinpflanzung. Jedermann weiß, daß der Leistenwein die Crême der Frankenweine ist, aber wie Wenigen ist es vergönnt, diese Wahrheit aus eigner süßer Erfahrung festzustellen! Denn ach! der Leisten-Weingarten ist so klein und gehört zumeist dem bairischen Staatsärar. Der Leisten ist, wie ein noch etwas vornehmerer Bruder, der Johannisberg im Rheingan, ein aristokratischer Weinberg, dessen heilsame Tinctur nur für die Mägen der vornehmsten und reichsten Leute, für die Halbgötter der Erde aus der Kelter tropft. Es wächst nicht viel Leistenwein, und die Welt hat viele vornehme und reiche Leute, die ihn gern trinken. Deshalb ist er theuer, sehr theuer.

Zur Linken weiter schweifend, fällt das Auge des auf dem Käppele-Altan stehenden Beschauers hinter dem Marienberge stromabwärts auf eine kleine mäßig hohe Bergkette, deren ihm zugekehrte südliche Wand von oben bis unten mit Rebstöcken bedeckt ist. Der Main fließt diesem Berge schnurstracks entgegen, gleichsam um ihn zu küssen (und er ist dieses Stromkusses in Permanenz wohl werth), und gleitet dann an seinem felsigen Fuße mit leichter Biegung westlich weiter. Die kleine Bergkette schließt jetzt auch gleich westlich mit einer malerisch sanft geformten Höhe ab, deren Felsenstirn sich im Maine spiegelt. Dieser Miniatur-Höhenzug besteht aus drei ebenfalls hochberühmten Weinbergen. Das westliche Haupt am Main ist der Stein, der seinen Namen von den zu Tage stehenden Kalksteinfelsenschichten hat, auf die er sich stützt, der mittlere ist die Harfe, der östliche der Schalksberg. Am Fuße dieser drei zusammenhängenden Berge läuft die Eisenbahn nach Frankfurt, und unter dem Schalksberge erhebt sich jetzt der großartige Bau des neuen Bahnhofs unmittelbar am kostbaren Rebengebiet.

Wendet man auf dem Käppele-Altan das Auge rechts dem Strome entgegen, dessen von Südost (Ochsenfurt) kommenden Lauf man etwa eine Stunde weit überschaut, so sieht man am linken Ufer in kleiner Entfernung zuerst das alte Städtchen Heidingsfeld und etwas weiter am Ende des überblickten Stromsegments das nicht minder alte berühmte Weindorf Randersacker am Fuße einiger eben so schönen als reichbepflanzten Weinberge angelehnt, die dieselbe Lage nach Süden haben, wie der Leisten und der Stein. Diese Berge sind die in der deutschen Ampelologie kaum minder berühmten Pfülben, Spielberg und Lämmerberg. Man überschaut also vom Käppele-Altan oder vom Nordhange des Nikolausberges überhaupt die berühmtesten Weinberge des Frankenlandes. Neuerdings ist östlich vom Käppele auf einem Bergvorsprung, dem Johannisberge, ein Wirthshaus erbaut, von dessen Plateau die Aussicht schier noch schöner und in so fern genußreicher ist, als man sich dieses kleine deutsche Weinparadies bei einem Glase guten Frankenweins in aller Gemüthlichkeit betrachten kann.

Der Frankenwein genoß im Mittelalter eines großen und ausgebreiteten Rufes und wurde in weit beträchtlicherer Quantität gebaut als jetzt, war dagegen in der Qualität geringer. Dieser Ruf verminderte sich im Laufe der Zeit durch schlechte Pflege und Fälschung, die übrigens schon in früher Zeit gerügt wird, ist aber neuerdings wieder so im Zunehmen, daß er daran und darauf ist, den frühern zu überbieten.

In der besten Zeit war das Reimwort „Frankenwein Krankenwein“ im Schwange, und man war der Ansicht, guter Frankenwein stärke Kranke und Genesende mehr als irgend ein andrer Wein. Die darauf bezüglichen Reimsprüchlein, welche mein Vater, ein vernünftiger Arzt, der seinen Kranken lieber ein Glas guten Wein als Arzneien verschrieb, als hochbejahrter Greis im Munde zu führen pflegte, sind mir fest im Gedächtniß geblieben:

Ein Gläschen Leisten
stärkt Kranke am meisten;
dann kommt der Stein
als Labewein.
Der Schalksberger macht frohen Muth;
aus Pfülben[1] schläft sich’s gut,
und Spielberg macht leichtes Blut.

Als ich die Umgebung der ehrwürdigen Stadt Würzburg durchstreifte, betrachtete ich die genannten hochberühmten Herren Berge mit großem Respect und es wandelte mich oft die Lust an, den Hut vor ihnen zu ziehen. Und so suchte ich mich denn mit den ehrwürdigen Weinerzeugern in der nächsten Nähe der alten Bischofstadt näher bekannt zu machen. Oft betrachtete ich von den Schanzen, von welchen die Bauern 1525 vergeblich, die Schweden 1631 mit Erfolg und die Franzosen im December 1800 ebenso den Marienberg beschossen, die so nah gegenüberliegende Citadelle mit dem Leisten, der mich mehr interessirte als die Festungswerke. Dasselbe that ich aus dem tiefer am Nikolausberge gelegnen Milchgarten „Sibirien“, wo einem der Leisten fast auf der Nase liegt. Ist es nicht originell, bei einem Glase Milch in Sibirien mit dem berühmtesten Weingarten Frankens zu liebäugeln?

Der der Stadt und dem Maine zugekehrte östliche Abhang des Marienbergs ist ebenfalls mit Reben bepflanzt und heißt der Schloßberg, und sein Product, der „Schloßberger“, ist zwar nicht von der ausgesuchten Feinheit des Leisten, aber doch auch ein echtes Sonnenkind.

Ob der wackre weinfreundliche römische Kaiser Probus im dritten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung auch den ersten Rebenanbau an den Mainbergen veranlaßt hat, wie den an den Rheinbergen; ob erst der Frankenherzog Sunno hier im fünften Jahrhundert Wein aus dem Moselthale übergesiedelt, muß unentschieden bleiben. Erst aus der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts wird die bereits in Blüthe stehende Weincultur bei Würzburg urkundlich nachgewiesen. Die Franken- und insbesondere die Würzburger Weine standen während des Mittelalters in der ganzen weintrinkenden Welt in hohem Ansehen und wurden von weltlichen und geistlichen Leuten in großen Massen getrunken. Das Frankenland und hervorragend Würzburg verdankt seinen hohen Wohlstand zumeist der Traube seiner Bergwände.

Die gelehrte heilige Hildegard, Aebtissin von Bingen in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, rühmt in ihrer Physik die Kräfte des Frankenweins vor allen andern, und Kaiser Wenzel, der ungezogne Weinschlauch, den ich in meinem Roman „der Freiknecht“ in seiner stets zechenden Gemüthlichkeit geschildert, ertrug seine Absetzung vom Throne mit Gleichmuth, wenn ihm nur jährlich vier Fuder des besten Würzburger, also Leisten und Stein, nach Prag geschickt würden. Der große Aufstand der Bürger Würzburgs und der Bund der elf bischöflichen Städte gegen den Bischof Gerhard von Schwarzburg wurde von Kaiser Wenzel begünstigt und aufgemuntert; er versprach ihnen die Anerkennung der Reichsfreiheit für guten Würzburger und kam selbst in die Stadt (1398), um sich huldigen zu lassen und satt Wein zu trinken. Da wurde Würzburg durch seine Weinberge zur freien Reichsstadt, wonach es längst gestrebt und was es thatsächlich bereits war. Der schlaue Bischof schickte dem jämmerlichen Kaiser noch bessern Wein und versprach noch mehr als die Bürger; da anerkannte und bestätigte der unersättliche Säufer wiederum des Bischofs behauptete Rechte auf die Stadt und lieferte die Bürger an das bischöfliche Rachemesser und in’s geistliche Joch. So eigenthümlich ist das Schicksal der Stadt mit ihrem Leisten- und Steinwein verflochten.

  1. Alte Form für Pfühl.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_185.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2022)