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Die ersten Statuten über die zweckmäßige Bebauung ihrer Weinberge erließen die geistlichen Stifte der Stadt im Laufe des vierzehnten Jahrhunderts. Der Leisten erhielt seine jetzige Bedeutung aber erst durch die Erweiterung der Festungswerke in der zweiten Hälfte des siebzehnten und zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Durch die hohen Mauern, mit welchen der Weingarten auf der Ost- und Westseite eingeschlossen wurde, bekam er Schutz gegen die schädlichen Ost- und Nordwinde, und nun erst trug er das feine Gewächs, dessen Arom uns heute entzückt. Wie alt übrigens der Namen „Leisten“ ist und woher er entstanden, läßt sich nicht mehr angeben. Man vermuthet, daß die Trauben früher wegen der Steilheit des Bergs hier an Leisten gezogen wurden und daher der Name entstanden sei. Die eigentliche und wahre Cultur des Leistenweins beginnt aber erst zu Anfang des vorigen Jahrhunderts durch den Hofkammerrath Klarens, und die jetzige Epoche der hohen Vollkommenheit des Leistenweins datirt sogar erst von 1782, wo der um die Bodencultur Frankens hochverdiente Landkammerrath Stoll den Leisten großentheils roden und statt der unedlen Rebsorten fremde edle Trauben, wie Burgunder, Riesling, Traminer etc. pflanzen ließ. Dadurch wurde die hohe Blüthe vorbereitet, zu welcher der Weinbau des Leisten in der neuesten Zeit gebracht worden ist. Man hat es sogar ermöglicht, dem felsigen und zum Theil abschüssigen Berghang noch einige Morgen Boden für die Reben abzugewinnen.

Die ganze Pflanzung, welche früher nur fünfzig und einige Morgen betrug, hat jetzt eine Ausdehnung von ohngefähr siebzig Morgen Terrain. Die neuere Zeit ist in dieser Beziehung noch umsichtiger verfahren; durch stete zweckmäßige Umrodung, resp. Legung des Bodens und Befleckung mit den edelsten Sorten, so wie durch vortheilhafte Mauerführung hat man endlich die jetzige Ausdehnung des Weingartens und die hohe Vortrefflichkeit des Products erzielt. Man hat das Naturgesetz entdeckt und befolgt, daß zur Gewinnung des Edelsten und Besten das Veraltete, Schlechte entfernt und das Neue, Gute an seine Stelle gebracht werden muß. Seit man in Franken den Grundsatz befolgt, die alten Rebstöcke in’s Feuer zu werfen, den Boden umzuroden, zu düngen und mit neuen jungen edlen Reben zu belegen, erzielt man den trefflichen Wein unserer Tage. Aber dieses Naturgesetz gilt ebenso gut für das geistige Leben, für den Weinberg des Herrn. Und da stehen denn hier immer noch die alten Rebstöcke mit den sauern Trauben, deren Ertrag in Hinblick auf den immer edlern und süßern Wein des übrigen Deutschlands von Jahr zu Jahr kümmerlicher wird, wenn man auch bemüht ist, das Gegentheil zu behaupten.

Daß der Leistenwein dem Johannisberger gleichgeschätzt wird, beweist schon sein hoher Preis. Von guten Jahrgängen kostet die Flasche 4 bis 6 Gulden und Strohwein sogar 8 Gulden. Bei den üblichen Weinversteigerungen wird er in der Regel zu enormen Preisen abgegeben. Sein edles Wesen kann man freilich mit Worten nicht wiedergeben; denn was nützt die Bezeichnung, daß er durch eine große Zartheit des Geschmacks, durch das feinste Arom, durch ein ungemein lieblich duftendes Bouquet sich hervorthut! Man bekömmt davon keine Vorstellung; um ihn kennen zu lernen, muß man ihn – trinken, aber mit Verstand, Sammlung und Feierlichkeit, soll sein Genuß auf der einen Seite seinem idealen Werthe und auf der andern der Menschenwürde, die einander angemessen sind, entsprechen.

Unbegreiflich ist mir, daß der Leisten und der Stein, so wie überhaupt die edlen Frankenweine, die ja doch unverkennbar von Jahr zu Jahr edler und besser gerathen, von den vaterländischen Dichtern noch nicht in der Art verherrlicht worden sind, wie die edlen Rheinweine. Freilich hat Würzburg seit seinem großen Walther von der Vogelweide keinen bedeutenden Dichter mehr gehabt, und die drei großen Frankendichter der Neuzeit, Richter, Rückert und Platen, haben den Leisten und Stein nicht besungen, wahrscheinlich nicht besingen wollen, aus den angedeuteten Gründen. Denn die Dichter sind eben das edelste Product im Weinberge des Herr und bringen das materielle mit dem ideellen Leben in stete Beziehung. Die Poesie ist die reichste Blüthe der wahren Menschheit-Religion. –

Auch am Stein, an der Harfe und am Schalksberge hat der Staat bedeutende Besitzungen. Man pflegt wohl das Product des ganzen kleinen Bergzugs Steinwein zu nennen, doch sind auch die besondern Namen Schalksberger und Gressenberger (der Saft der Harfentraube) berühmt. Die kleine Bergkette, die von Alters ein so herrlicher Weinträger ist, besteht ebenfalls aus Kalkfelsen, der am eigentlichen Stein steil zu Tage tritt, so daß die tragbare Erde der Weingärten meist durch hohe Mauern und Pfeiler gestützt wird, was dem Berge ein malerisches Ansehen giebt.

Der Bergzug des Stein hat auch das mit dem Leisten gemein, daß er durch einen engen Thalgrund von einem höhern und größern Gebirgsstock getrennt ist und einen fast scharfen Kamm bildet. Vielleicht beruht auf dieser Eigenthümlichkeit ein Theil der edlen Zeugungskraft beider Berge. Ueber den Kamm führt ein bequemer Weg von einem Ende bis zum andern mit köstlichem Einblick südlich auf die Stadt, die Festung, das Käppele, Nicolausberg, Heidingsfeld, Randersacker und seine Weinberge; nördlich auf das nette Dörfchen Unterdürrbach, malerisch im engen Grunde gelegen, auf den entgegengesetzten ebenfalls mit gutem Wein weithin bepflanzten Bergzug, auf dem der stattlich hohe und schlanke Thurm einer Burgruine, „das Schenkenschloß“, emporragt und, stark an den „Fuchsthurm“ bei Jena erinnernd, die Gegend weit umher beherrscht. Rechts und links winkt hie und da von den Bergstirnen ein wenig Wald verstohlen herüber und belebt das liebliche Landschaftsbild noch mehr. Noch im vorigen Jahrhundert ist auch der Scheitel des Stein mit Wald bestanden gewesen; jetzt hat die Rebe ihn hier überall verdrängt; ihre Pflanzungen reichen zumeist bis an den Kamm hinauf, ja so edel ist dieser Boden, daß selbst auf der Nordseite des Bergs nach Dürrbach zu nicht unbedeutende Weinberge sich hinabziehen.

Welcher praktische Liebhaber guten deutschen Weins kennt nicht die eigenthümliche freundliche Form der Glasflaschen, die sich der Steinwein in stolzer Abgeschlossenheit erwählt hat, und wer weiß nicht, daß diese kleinen allerliebsten Bausbäckchen oder Dickwänstchen Bocksbeutel genannt werden? Niemand kann sagen, wie alt diese Flaschenform und ihr Name ist, und in welchen geheimnißvollen Beziehungen derselbe zur Stadt oder wohl zunächst zu den Hauptbesitzern dieser unschätzbaren Weingärten, den geistlichen Stiften, stand. Daß in dieser Richtung die Bocksbeutelei am stärksten vertreten war, erhellt bis zum Verdruß aus der Geschichte; aber ich glaube, sie geht auch hier ihrem Aussterben rasch entgegen. Turner, Sänger, Schützen, jugendliche Demokraten brechen ihr den Hals mit Vergnügen, wie den Bocksbeuteln, in deren Namen sich das Andenken an den alten Zopf noch lange erhalten mag. Der Steinwein soll all seine Zecher zu dem lebhaften Toast begeistern: „Vivat der Bocksbeutel! Pereat die Bocksbeutelei!“

Die ganze dreibergige Weinpflanzung enthält über 400 Morgen, davon gehören 107 Morgen dem Staatsärar. Auch hier hat in der Neuzeit zweckmäßige Rodung und Bepflanzung mit neuen edlen Sorten Wunder bewirkt. Erst jetzt weiß man, welch edles Gut der Stein zu erzeugen vermag. Das haben die Altvordern nicht geahnt. Man sagte mir, es hätten sich viele Leute der Umrodung und Neubestockung der Berge lebhaft widersetzt und daraus den Ruin der Würzburger Weinproduction geweissagt. Weise Propheten! Ganz wie im Weinberge des Herrn, wo auch jeder heilsamen Neuerung das Gespenst des Weltuntergangs als drohende Prophezeiung entgegengehalten wird.

Wenn die Leiste den edelsten, feinsten und bouquetreichsten Wein erzeugt, so liefert der Stein den gehaltvollsten aller Frankenweine, worin Feuer und Kraft sich mit dem lieblichsten Arom zum Entzücken aller Weinzungen im vollsten Maße und auf’s Innigste verbinden.

Ob der Leisten oder der Stein die ältere Weinanlage ist, läßt sich aus Mangel urkundlicher Nachrichten nicht angeben. In einer urkundlichen Beschreibung der Markung Würzburgs vom Jahre 779 wird bereits am rechten Mainufer ein Weingarten genannt (also am Stein), doch machte der Weinbau bis zum 10. Jahrhundert wenig Fortschritte. Dann treten allmählich die Mönche als Besitzer und Winzer dieser Weinberge auf, und nun kommen sie in immer höhere Cultur. Alle geistlichen Korporationen hatten hier bedeutende Weingärten, und im vorigen Jahrhundert vorzüglich die Jesuiten, deren desfallsiges Besitzthum an die Universität überging und von dieser später an Privaten verkauft wurde. Heute sind besonders das große Juliushospital und das Bürgerhospital am Stein und Schalksberg stark begütert.

Der Klerus brachte viel heiteres Leben in das Weinwesen und erfüllte damit dessen eigentliche Bestimmung. Sobald die Trauben bis zur Lese reif waren, hielt der erste Prälat des Domcapitels, der Dompropst, mit einem großen und stattlichen Gefolge seinen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_186.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)