Seite:Die Gartenlaube (1864) 206.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Kommen und Gehen von Truppen, welche der Armee nacheilten, unterbrochen ward. Einer starken Besatzung, damit nicht etwa die öffentliche Ruhe gestört werde, bedarf keine Stadt des Herzogthums weniger, als gerade Schleswig. Die Bevölkerung ist grunddeutsch; die verhaßten dänischen Beamten wurden schon in den ersten Tagen der Befreiung in aller Ruhe entfernt, und nach ungeordneten Zuständen, welche die furchtbar bedrückten und in Folge dessen auch etwas gedrückten Schleswiger zur Genüge kennen lernten, trägt Niemand Verlangen. Mit den Oesterreichern aber, die Jeder als Befreier ehrt, die man mit der größten Zuvorkommenheit pflegt, wie dies die vielen Kranken und Verwundeten aus dem überaus blutigen Treffen von Oeversee bezeugen können, mit diesen Oesterreichern, die gar nichts Abstoßendes, nichts Gemachtes oder gar Hochfahrendes haben, steht sich Jung und Alt gut.

Es ist aber auch wirklich ein harmloses, dabei fröhliches und originelles Volk, das der Krieg aus den verschiedenen Provinzen und Kronländern der gewaltigen österreichischen Monarchie hier zusammengeführt hat. Wohl Keiner von Allen ließ es sich vor wenigen Monaten träumen, daß er eines kalten Wintertages sein Roß an den Ufern der Schlei tummeln und nach dem Takt des feurigen Radetzkymarsches durch den Lollfuß marschiren werde!

Außer dem Dienste ist der österreichische Soldat, welcher Nationalität er auch angehören mag, ein munterer Geselle, und was sehr für die österreichische Armee-Einrichtung spricht, das ist das trauliche, ja herzliche Zusammenleben der Officiere mit den Soldaten, der durchaus zwanglose Verkehr, welcher unter allen Truppengattungen herrscht, wenn nach Strapazen und schwerem Dienst die Stunde der Ruhe und Erholung schlägt. Früher mag das anders gewesen sein; auch heute noch herrscht ohne Frage die strengste Mannszucht im österreichischen Heere, aber es weht doch ein eigenthümlich belebender Geist durch diese in so vielen verschiedenen Zungen sprechenden Bataillone. Möglich, daß dieser Geist und der ungenirte Verkehr zwischen Vorgesetzten und Untergebenen eine Folge ist der heißen Kämpfe in der Lombardei im Jahre 1859. Von den französischen Truppen haben die Oesterreicher bei Magenta und Solferino jedenfalls mehr gelernt, als durch theoretische Studien, durch Märsche und Manöver in zehn Friedensjahren.

Im Schlosse Gottorp, das gegenwärtig zu Allem dienen muß, wie eben die Umstände es erheischen, hat man der geselligen Unterhaltung wegen auch eine Schenke in einem Kellerlocale errichtet. Hier nun trifft man immer militärische Gesellschaft; denn der österreichische Soldat, tapfer, unermüdlich, mit Ungestüm den Feind angreifend und dann gewöhnlich auch werfend, pflegt nach gethaner Arbeit gern der Ruhe und ist ein ebenso tapferer Trinker als leidenschaftlicher Tabakraucher und Tänzer.

Ein Bekannter, welcher in Geschäften auf Gottorp zu thun hatte, bot mir an, ich möge ihn begleiten, um zu sehen, wie es jetzt in dem alten Fürstensitze zugehe. Es war ein rauhes, wildes Winterwetter. Der Oststurm jagte Wolken von Schnee und Hagel über die Schlei, deren brandende Wellen zischend ihre hochspritzenden Schaumkämme über den Chausseedamm peitschten. Aus dem Schloßhofe aber scholl uns Gelächter, Gesang, Gläserklang und Musik entgegen ... Wie furchtbar grell stellt sich doch das Heterogenste hart neben einander im Leben! Nie aber schlimmer, schreiender, als in kriegerischen Zeitläufen ... Gott weiß, wie Viele da oben auf ihrem Schmerzenslager seufzten, wie Manchem das Herz zitterte, wie die vom Todesengel schon berührte Lippe ein letztes Gebet sprach oder einen letzten Gruß der fern lebenden Mutter oder Geliebten sendete ... Unten im Keller bei Wein, Bier und Grog forderte das Leben sein ganzes, volles Recht, und in vollen Zügen genoß es Jeder, der sich noch ungeschwächter Kraft und guter Gesundheit erfreute.

Ein sonderbares Bild, diese österreichische Militärschenke, romantisch, fesselnd, zu Ernst und Wehmuth stimmend und doch wieder unwiderstehlich mit fortreißend zu fröhlichem Genießen! .. Da saßen und standen, lehnten und hockten in dem weitgespannten bombenfesten Gewölbe etwa dreißig Soldaten zusammen, fast alle ungarischen Regimentern angehörig, mit den enganliegenden blauen Beinkleidern und den niedrigen Schnürstiefeln, und rauchten und plauderten gemüthlich mit einander, als wenn es keinen nahen Kampf und keinen vielleicht eben so nahen Tod gäbe. Im Hintergrund hatte sich die Marketenderin postirt, eine stattliche, dralle Gestalt, und bemühte sich angelegentlich, den vor ihr sitzenden Officier, einen jungen Oberlieutenant, nach besten Kräften zu unterhalten. Als wir eintraten, fragte Keiner: wer ist’s, der da kommt, ohne vorgestellt zu werden? nein, drei, vier Hände auf einmal streckten sich uns entgegen, und der bei den Oesterreichern vielgehörte Gruß, aus Ungarn stammend, ward auch uns zu Theil. „Servus, Mischko!“ so klang es von links und rechts. Dann ward Platz gemacht, hier eine Cigarre, dort eine Pfeife angezündet, angestoßen mit vollen und halbvollen Gläsern, und „Hoch lebe der Kaiser!“ „Hoch Schleswig-Holstein!“ „Teremtete “ Dänemark!“ „Eljen Magyar!“ schwirrte und summte es durcheinander, daß an ein verständliches Gespräch zuvörderst nicht zu denken war.

Später theilte wohl der Eine und Andere etwas von den persönlichen Erlebnissen der jüngst vergangenen Tage mit, nie aber in bramarbasirendem Tone. Als könne es gar nicht anders sein, so ward das Erlebte erzählt, unter Lachen und Scherzen besprochen. Es ist das Geschäft, die Pflicht des Soldaten, wenn der Befehl an ihn ergeht, sich in Kampf und Tod zu stürzen! .. Die Frage: wofür? ob sie wohl Vielen sich aufdrängt? .. Einzelnen gewiß, der Mehrzahl aber, wenigstens in den Reihen der Oesterreicher, sicherlich nicht. Sie kämpfen und sterben zunächst für ihren Kaiser, nicht für eine Idee! Und daß diese ungarischen Husaren von den Pusten der Theiß, diese dunkeläugigen Polen und Czechen die schleswig-holsteinische Frage, welche Lord Palmerston elend und langweilig nennt, weil er sie nicht verstehen will, studiren sollten, ist auch wirklich nicht zu verlangen. Es liegt einem aber nahe, diese Frage gerade an den Soldaten zu richten, der sein Blut dafür verspritzt, seine Gesundheit dafür opfert. Sollten diese herrlichen Güter des Lebens für ein leeres Nichts, für ein Phantom, für eine lockende Fata Morgana, die ein Windhauch verwehen kann, dahingegeben werden? Es warf sie jedoch Keiner auf, auch nicht die Schleswiger, welche schweigsam, lächelnd und mit Blicken des Dankes dies lustige Treiben ihrer Befreier betrachteten.

Da rief ein gelenker Jüngling, muskelkräftig, aber nur von mittler Größe, den Schnurrbart sich streichend: „Csarda!“ (Czarda!). Augenblicklich wurden die Bänke zusammengerückt und es begann einer jener charakteristischen, leidenschaftlichen, das Blut erhitzenden und alle Zuschauer elektrisirenden Nationaltänze, an denen die Ungarn reicher sind, als jede andere Nation. Bald tanzte die Hälfte der Anwesenden in dem beschränkten Raume. Der Soldat, an Bequemlichkeiten nicht gewöhnt, weiß sich in Alles zu schicken. Aber der Reiz dieser Csardase mit ihren originellen Weisen, die von den ihrer Kundigen in raschem Tempo halb gesungen, halb geträllert werden, wirkt so ansteckend, daß Tanzlustige der Aufforderung, mit von der Partie zu sein, kaum widerstehen können. –

Es dunkelte schon, als ich den Rückweg über den Dammweg antrat. Eine Drehorgel leierte die bekannte Melodie: „O Tannebohm, o Tannebohm“ etc., die zu dem winterlichen Landschaftsbilde, das an die Weihnachtszeit erinnerte, wohl paßte. Als der Drehorgelmann aber seine Stimme erhob, war’s ein plattdeutsches Lied, funkelnagelneu, das mit gutem, derbem niedersächsischen Humor die Flucht der Dänen aus Schleswig geißelt. Zum Ergötzen vieler Ihrer Leser mögen die bezeichnendsten Verse dieses holsteinischen Volksliedes, dessen Verfasser sich bezeichnend Peter Klooksnuut nennt, diese Skizze schließen.

O Hannemann, Du Hampelmann, wat hest Du veel to seggen,
Denn Schleswig-Holstein büst Du quitt, dat mußt Du überleggen;
Denn ohne dat da büst Du nix, se bind die bannig op de Büx;
O Hannemann, Du Hampelmann, wat hast Du veel to seggen.

O Hannemann, Du Hampelmann, Du dacht’st noch veel to kriegen,
Nu sünd de Bundestruppen da, de Rest vor di is swiegen;
Denn Schleswig Holstein smekt so nett, un maakt di ook ganz bannig fett.
O Hannemann, Du Hampelmann, Du dacht’st noch veel to kriegen,

O Hannemann, Du Hampelmann, un gift dat smale Happen (Bissen),
De Magen, glöf mi, ward di bald, as wie de Tüffeln (Pantoffeln) klappen:
Mien gode Jung, lop Du man to na Dänemark op holten Schoh (Holzschuh);
O Hannemann, Du Hampelmann, un gift dat smale Happen.

O Hannemann, Du Hampelmann, un büst Du bald im Buddel,
Du schreest un blaarst as wie een Göhr (Kind) bie düssen Kuddelmuddel.
Drum kratz man unt, man höger rep (höher hinauf) un hol di jo un jo nich op.
O Hannemann, Du Hampelmann, nu büst Du bald im Buddel.
O Hannemann, Du Hampelmann, nu büst Du bald imE. W.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_206.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)