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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Droben aber, im Lichte, hatte sich Alles verändert. Früher war das Schloß reich, aber alterthümlich eingerichtet gewesen. Die Melancholie des Grafen lag auf den Gobelins und dunkeln Stoffen, dem Eichengetäfel und geschnitzten Geräth. Drei Monate nach seinem Begräbniß, während Stephanie in der Residenz weilte, kamen Möbelwagen, französische Arbeiter und Gärtner nach Waldenburg. Zum Entsetzen der älteren Diener und zum Erstaunen der Dorfbewohner wurde Tag und Nacht gehobelt und gehämmert, zerstört und geschaffen, verwirrt und geordnet. Als die Gräfin bald darauf selber kam, war der Charakter des ganzen Hauses umgewandelt. Die große Treppe glich einem Blumenhügel; die Gemächer, deren Holzwerk und Riesenkamine man vorläufig verschonte, enthielten nur moderne Möbel, lichte Stoffe, zierliche Blumentische und chinesische Vasen. Sogar die altdeutschen Bilder hatten trotz ihres Kunstwerths wegen ihrer schwermüthigen Probleme und schwarzen Rahmen den modernen Frère, Diaz und Guillemin weichen müssen.

An einem schönen Sommerabend befanden sich Stephanie, ihre Gesellschaftsdame und der Priester Angelo in einem dieser Gemächer. Wegen seiner blaßgelben Vorhänge und Divans hieß es das gelbe Zimmer. Die Decke sowohl, als die geräumigen Wände waren getäfelt und in entsprechende, erhaben gearbeitete Felder eingetheilt. Trat man vom Corridor in das Gemach, so führte rechts eine Thür in das Boudoir der Gräfin, das weiter keine Verbindung hatte, die Thüre links in das Zimmer der Gesellschaftsdame.

Stephanie saß am offenen Fenster, Fräulein Fanny hinter ihr, Angelo ihr gegenüber.

„Und so wollen Sie mich wirklich verlassen?“ fragte die Gräfin.

Ihre Stimme hatte einen weichen, schmeichelnden Klang.

„Ich muß,“ antwortete er. „Meine Vorgesetzten rufen mich nach Rom. Ueberdies ist mein Freund Stein, der mich vollständig ersetzen wird, bereits eingetroffen.“

„Ach, an ihn dacht’ ich längst nicht mehr. Er ist schon im Schloß, sagen Sie? Seit wann?“

„Vor einer halben Stunde trat er in mein Zimmer. Er bittet, Ihnen seine Aufwartung machen zu dürfen.“

„Er ist willkommen … Einen Augenblick! Erwähnten Sie nicht einst seine große Aehnlichkeit mit meinem seligen Gemahl?“

„Allerdings sieht er dem Theuern ähnlich, und meine Wahl fiel auch deshalb auf meinen Freund Stein.“

„Warum deshalb?“ fragte Stephanie. Ihre stahlblauen Augen sahen Angelo starr an.

„Warum, Frau Gräfin? Liebt man nicht das Bild, den Schattenriß eines verlorenen Freundes? Sie besitzen kein Portrait Ihres Gatten. Er hatte einen Widerwillen, sich im Bild zu sehen. Eines Andern Aehnlichkeit, denk’ ich, ist immerhin eine Erinnerung an das Urbild selbst.“

„Die Erinnerung an einen Verlust, an so herben, plötzlichen Verlust ist traurig.“

„Sie ist ein Trost in neuem Unglück, eine Mahnung in der Versuchung.“

„Pater!“ fuhr die Gräfin empor, aber sie zwang sich zu einem Lächeln. „Das sollte doch keine Prophezeiung sein? Nein, lassen Sie uns heiter scheiden. Nehmen Sie meinen innigsten Dank für die treue Freundschaft, die Sie meinem Heinrich bewahrten, und geben Sie mir Ihren Segen! Wenn Sie von Rom nach Deutschland heimkehren, werden Sie in Waldenburg stets der willkommenste Gast sein! – Und nun bitte ich Sie, mir Herrn Stein vorzustellen.“

Beide hatten sich unterdessen von ihren Sitzen erhoben. Angelo verließ mit einer stummen Verbeugung das Gemach. Stephanie sandte ihm einen Blick unsäglichen Hasses nach. „Endlich!“ rief sie, tiefaufathmend. „Heute erst werde ich Herrin. Dieser finstere, blasse, unheimliche Mann vergällte jede Freude, verdüsterte alle meine Gedanken. Nun, Fanny, jubeln Sie nicht mit mir? Waren Sie Angelo’s Freundin? Freilich, wie wenig wissen Sie von ihm! Sie, hätten ihn sehen sollen, als mein Mann noch lebte! Wie er des Guten Seele Tag für Tag fester bannte und in eine Nacht höchst trauriger Gedanken senkte. Dieser Angelo stahl mir Stück für Stück vom Herzen meines Mannes. Heinrich lebte noch, hätte Jener nie unsere Schwelle betreten.“

„Mir, gnädigste Gräfin,“ erwiderte das Fräulein, eine kleine, hübsche Blondine, „mir war Angelo – seinen Stand in Ehren!– immer ein Horreur. Ich wollte, sie machten ihn in Rom zum Papst, damit er in Rom bliebe. Und ich an der Frau Gräfin Stelle bedächte mich wohl, den neuen Kaplan zu nehmen, da ihn Pater Angelo empfiehlt.“

„Das kränkt mich ja,“ sprach Stephanie leise und mehr für sich, „daß ich diesem Manne nicht Nein zu sagen wage! So tief ich ihn hasse, so sehr fürcht’ ich ihn. Wozu brauche ich überhaupt einen Kaplan? Ich bin nicht von Zweifeln geplagt, wie mein armer Heinz; ich lasse Gott in Ruhe die Welt regieren. Die Bibliothek? die ließ ich nach dem Speicher schaffen, und meine Bücher möchten Herrn Stein wenig Mühe, aber viel Kopfschütteln machen. Die dummen Dörfler können Sonntags ihre Messe drüben in Wendelstein hören, und wenn ich einen Sommer lang nicht in die Kirche gehe – nun, man wird heutzutage nicht mehr in Acht und Bann gethan.“

„Das hätte ich dem Pater Angelo gründlich dargelegt.“

„Was hätten Sie?“ versetzte heftig die Gräfin. „Sie denken doch nicht muthiger zu sein als ich? Sie hätten geweint, wie Sie immer thun, wenn Sie nicht wissen, was Sie thun sollen. Sie hätten geweint und Herrn Angelo die Hand geküßt und ihm für seine zarte Fürsorge Ihre ewige Dankbarkeit versichert. Das Letztere that ich auch. Doch still, sie kommen! … Wie lange mein Cousin wieder auf sich warten läßt! Was macht die Gräfin Aßperg?“

„Sie schläft.“

„Die Glückliche!“

„Herr Stein,“ sagte Angelo, in’s Zimmer tretend. Ihm folgte ein Priester mit kahlem Haupt, doch vollem, schwärzlich-grauem Bart; seine Stirn war tief gefurcht, seine Wange blaß und hohl, seine Gestalt zum Gerippe abgemagert, aber in seinen Augen brannte zehrendes Feuer, und diese Augen ruhten jetzt auf Stephanie, heiß und schwärmerisch anbetend und verlangend, wie der Wunsch eines Jünglings. Wie blühend, wie schön auch war sie gegen ihn! Ein schwarzseidenes Kleid verhüllte, aber verbarg nicht den Oberkörper, der auf breiten Hüften schmal, gleichsam sich zusammenfassend, ansetzte und dann zur herrlichen Brust anschwoll und zum vollendeten Nacken sich wölbte. Wie ein Triumph stieg das Haupt empor, das Gesicht von edler Rundung und heller Farbe; der Mund mit leicht emporgezogenen Winkeln, lächelnd oder schmollend, Liebesworte oder Flüche sprechend, erweckte immer Sehnsucht zum Küssen, wie Venus’ ewig frische Lippen; die Augen unter dunkeln Wimpern blau, feucht, verlangend; die Stirn niedrig, aber fein geformt, und darüber eine Wucht lichtbraunen Haares – so war Stephanie jener sirenenhaften Schönen eine, mit denen man auf einem Zaubermantel im Sturmwind über die Welt hin und durch den Sternenwirbel brausen möchte.

Nach kurzer Begrüßung, die von Stein stumm erwidert wurde, begann die Gräfin: „Sie sehen auf den ersten Blick meinem seligen Mann ähnlich, allein bei längerer Betrachtung verliert sich diese Aehnlichkeit. Mein Heinrich hatte runde, weiche Züge, seine Augen waren sanft, während Ihre Augen – Vergebung, hochwürdiger Herr! – sehr streng und bedeutsam blicken.“

Angelo gab seinem Freund unbemerkt ein Zeichen, sich zu fassen. Aber dieser war unfähig, zu antworten. Stephanie, die seine Verwirrung allein der Macht ihrer Schönheit zuschrieb, lehnte sich im Fauteuil zurück und sah in dieser halbliegenden Stellung, mit verschleierten Augen und einem leichten Lächeln um den Mund, so reizend aus, daß Heinrich – denn Er war Stein – der Allgewalt des Heimwehs und der Liebe gefolgt und seinem Weib zu Füßen gestürzt wäre, hätte sich nicht plötzlich ein Hornruf aus den Bergen vernehmen lassen. Stephanie sprang rasch empor und sagte zu Fanny „Sie kommen!“ und, von Purpur übergossen, mit fliegender Brust und glänzenden Augen, beugte sie sich aus dem Fenster und winkte mit ihrem weißen Tuch. Dann sich mäßigend, wandte sie sich an Heinrich. „Vergebung, Herr Stein! Ich habe einige liebe Gäste, die soeben von der Jagd zurückkehren. Die Jagd in den Bergen aber ist so gefährlich, daß ich die glücklich Heimkehrenden jedesmal wie Gerettete begrüße … Sie sind gewiß müde, haben Dies und Jenes zu ordnen, Herr Stein? Ihre Gemächer kennen Sie bereits. Befehlen Sie dort ganz nach Ihren Herzenswünschen! … Ich hoffe, wir werden gute Freunde.“ Sie reichte ihm ihre seine Hand.

„Ich hoff’ es,“ sagte Heinrich.

Beim Klang seiner Stimme zuckte Stephanie jäh zurück und starrte mit entsetztem Blick ihn an. „Das,“ sagte sie zitternd, „das war Heinrich’s Stimme.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_211.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)