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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Jütisches Land und jütische Leute.
1. Kolding.

Bei uns im Norden erweckt das Wort Jütland eigenthümliche Empfindungen, von denen man sich im südlichern Deutschland schwerlich eine richtige Vorstellung machen kann. Wir denken dabei an kümmerliche, schmutzige Wohnungen, an allerhand Unsauberkeit jeder Art, an Zimmer und Lagerstätten, in welchen Individuen, die das Unglück haben, mit leicht reizbarer Haut begabt zu sein, wenig Ruhe finden, und endlich kann man das Wort Jütland nicht aussprechen hören, ohne sich gleich von ganzen Stößen kohlschwarzer Töpfe umringt zu wissen, zwischen denen glotzäugige, tückisch blickende, breitköpfige Menschen sitzen, von welchen mancher ganz das Ansehen hat, als habe er seit der Taufe keinen Tropfen Wasser mehr über sich laufen lassen.

In Folge dieser Annahmen und Voraussetzungen dürfte, auch wenn sie sich späterhin nicht bewahrheiten sollten, eine Reise nach Jütland nicht zu den Genüssen des Lebens gehören. Kommt dazu noch kaltes, regnerisches Winterwetter und das wilde Getöse des Krieges mit seinen Fatiguen, seinen Schrecknissen, seinen möglichen Wechselfällen, so wird Jeder begreifen, daß unter so bewandten Umständen sich die Reiselust leicht zur Qual umgestalten kann.

Chaussee vom Süden nach Fridericia. Kolding. Hafen.
Ruine des Königsschlosses.
Originalzeichnung unsers Specialartisten E. Wolperding.

Schon in Flensburg wurde es allen dem Norden zustrebenden Reisenden einleuchtend, daß es mit der Gemüthlichkeit und Gemächlichkeit hier ein Ende habe. Straßen und Plätze waren nicht nur mit Wagen aller Art überfüllt, sondern so vollgepfropft, daß es einiger Entschlossenheit bedurfte, sich in dies Gewühl hineinzuwagen. Es gehört aber mit zu den charakteristischen Erscheinungen kriegerischer Zeitläufe, daß mehr oder weniger jeder Einzelne, sobald er den Rayon des Kriegstheaters erst überschritten hat, gleichgültiger wird und das eigene liebe Leben nicht mehr so hoch anschlägt, als daheim in der stillen, aber gesicherten Ruhe bürgerlicher Häuslichkeit. Es erklärt sich dies durch die Allgemeinheit der Gefahr, der sich Keiner ganz entziehen kann und die dem Furchtsamen oder Schüchternen weit eher auf den Leib rückt, als dem Beherzten.

Die Stunden lang währenden Durchzüge von Proviantwagen aller Art, denen im raschen Trabe eine Munitionscolonne folgte, die wie ein vorüberrauschendes Gewitter über das holprige Straßenpflaster fortpolterte, bestätigten die Behauptung, die wir allseitig aussprechen hörten, daß auf der großen, nach Norden führenden Straße für Privatpersonen nicht mehr durchzukommen sei. Jene ungeheuren metallenen Brummer, die man gezogene Vierundzwanzigpfünder nennt, waren eben unterwegs theils nach Düppel, theils nach Fridericia, und spielten der Chaussee, die vom Thauwetter aufzuweichen begann, übel mit. Wagen und Pferde in dieser Richtung waren für schweres Geld nicht aufzutreiben. Mithin blieb nur einer der Seitenwege übrig, die westlich über die Haiden der Geest laufen. Nach diesen abgelegenen Gegenden hatten sich Truppenabtheilungen der verbündeten Armeen nicht verirrt. Es wäre auch überflüssig gewesen; denn der eiligst zurückweichende Feind hatte ganz Schleswig mit Ausnahme von Düppel vollständig geräumt. Zur Aufrechthaltung der Ordnung aber bedarf es auch im Norden Schleswigs, dem jetzt noch mancher beunruhigte Diplomat so gern dänische Gesinnung einimpfen möchte, keiner bewaffneten Macht. Wir sollten alsbald erfahren, daß selbst an den idyllischen Ufern der Schlei und an der wogenumbrandeten, fast ausschließlich von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_236.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)