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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

dieser lebensfrohen, reizenden Weltdame denken Sie sich nun jenen melancholischen, „von des Gedankens Blässe angekränkelten“ Mann! Ich fürchte, der gute Graf hat Stephanie mit seinen gewichtigen Discussionen oft entsetzlich gelangweilt. Montigny dagegen paßt seiner Gemüthsart und – seinen Fehlern nach vollkommen zu Stephanie.“

„Sie thun ihr Unrecht!“ fuhr Heinrich empor.

„Kennen Sie denn die Gräfin schon?“ fuhr Fanny, die Schultern zuckend, fort. „Ihres Cousins Charakter mag sich wohl auf den ersten Blick errathen lassen, von Männern wenigstens. Aber sie lernt sich nicht so bald auswendig. Ihre Augen verstehen so sanft zu blicken, ihre Lippen so himmlisch zu lächeln, aber – Sie werden mein Vertrauen nicht mißbrauchen! – ich, die Dienerin, vor der man sich giebt, wie man ist, sah dieselben Augen so böse funkeln, daß ich vor ihnen zitterte. Montigny ist leichtsinnig, flatterhaft; die Gräfin ist es auch. Montigny kann aus Laune Menschen zu Thränen quälen; die Gräfin kann es auch. Heute bin ich ihre süße, liebe Fanny, morgen läßt sie mich, weil es regnet oder ihr neues Kleid nicht ankam, fünf Stunden lang eine politische Abhandlung vorlesen, von der wir Beide nichts verstehen, die uns Beide langweilt; unterbricht mich, nur um meine Aussprache zu tadeln, und quält sich, blos um mich noch mehr zu quälen, bis mir die Stimme versagt und ich halb ohnmächtig vor Brustweh werde …“

„Sie ist launisch wie ein Kind.“

„Sie kann grausam wie ein Teufel sein,“ versetzte das Mädchen mit gesteigerter Leidenschaft. „Vergebung, Herr Kaplan, daß ich solch’ böse Zunge führe, aber ich litt zu viel in diesen Kreisen, um sie zu lieben. Man machte mich zur Heuchlerin; lassen Sie mich Ihnen gegenüber wieder einmal wahr sein. Nach einem Jahre werd’ ich Sie fragen, ob ich Recht hatte; nach einem Jahre werden Sie wissen, was Zurücksetzung, Verdächtigung, Kränkung heißt – jene glatten, schmeichelnden, schönen Wesen haben ja Zeit genug, um unser Herz langsam, mit feinen Nadelstichen zu tödten! Sie werden sie fühlen, diese zierlichen Dolche, denn Sie sind bürgerlich bescheiden, still und wahrscheinlich arm …“

Heinrich betrachtete mit tiefem Mitleiden das Mädchen, das ihm vor einer Stunde noch das fröhlichste, sorglose Wesen schien. Die lang verhaltene Bitterkeit war ihr, einem entfesselten Strome gleich, entstürzt, Thränen standen in ihren Augen, und von den aufgetürmten Empfindungen, die sie einem Leidensgenossen zu bekennen wähnte, wogte noch ihre Brust. „Ach,“ dachte Heinrich, „nun verstehe ich das Lächeln dieser armen Geschöpfe, die ein unseliges Geschick an unsere Launen kettet. Weil wir ihnen nicht erlauben, Empfindungen zu äußern, halten wir sie für unempfindlich.“

Unterdessen hatten sich nach und nach alle Gäste um Stephanie versammelt. Fanny blickte hinab, trocknete sich die Augen und sagte mit flüchtigem Lächeln: „Ich ließ mich zu leidenschaftlichen Aeußerungen hinreißen, welche Sie wahrscheinlich für thöricht und grundlos halten. Es geschieht mir selten, und beinahe glaube ich nun selbst an eine besondere Gewalt Ihrer Stimme. Die Gräfin sprach davon, während sie zum Diner sich ankleiden ließ, und versicherte, Ihre Stimme klänge wie aus dem Grabe. Nun, Todte sind verschwiegen. Vergessen Sie meine Worte und lassen Sie uns dem Triumphzug der Grazie und Freude folgen. Kommen Sie! Man begiebt sich tiefer in den Park. Dort wird man sich auf dem schattigen Rasen lagern, scherzen und spielen … Wenn wir nicht selbst kommen,“ setzte sie ironisch hinzu, „einladen und holen wird man uns nicht.“

Waldenburg lehnte die Theilnahme ab. Er wolle nach der Sennhütte über der Heinrichswand. Angelo habe ihm soviel von der wilden Schönheit des Weges erzählt, daß er darnach brenne.

„Ja,“ erwiderte sie, „der Weg soll sehr schön, sehr romantisch, aber auch lebensgefährlich sein. Wenn Sie im Bergsteigen nicht sehr geübt sind, unternehmen Sie das Wagniß nicht! Ein falscher Tritt ist sicherer Tod.“

„Ich bin im Gebirge geboren. Mein Fuß geht nicht fehl.“

Fanny zuckte die Schultern. „Gott behüte Sie dann auf Ihrem Wege! Auf Wiedersehen!“ Sie eilte die Terrasse hinab, um der Gesellschaft zu folgen, welche im grünen Wirrsal des Parks langsam verschwand.




Die mondhelle Nacht lag über der Landschaft, als Heinrich von der Sennhütte, von Angelo zurückkehrte. Schon von Weitem klang ihm der Hochzeitsjubel entgegen. Als er durch die Dorfstraße ging, waren nur wenige Fenster an den Häusern erhellt, wo Kranke lagen oder altersschwache Leute wohnten. Wer gesunde Beine hatte, war im Adler, und die im hellerleuchteten Gasthaus nicht Platz fanden, drängten sich vor dem Hause oder waren auf die abgeschirrten Fuhrwerke der Gäste aus der Nachbarschaft gestiegen, eine günstige Gelegenheit abwartend, wo sie durch den dichtbesetzten Hausflur nach dem Tanzsaal schlüpfen konnten. So empfing Heinrich im Freien schon ein lustiges Gewühl. Die Dirnen gingen Arm in Arm zu Dreien und Vieren auf und nieder. Die jungen Bursche standen in Haufen beisammen, stießen sich und jodelten übermüthig in die Tanzweise hinein, die von oben durch die geöffneten Fenster rauschte. Dazwischen drängten sich Livreebediente mit Windlichtern; Equipagen kamen vom Schloß gefahren und nahmen die Herren und Damen auf, die, in Tücher eingemummt, aus dem Adler traten, um nach ihrem Gut zurückzukehren. Hoch über dem Eingang aber leuchtete aus Tannenreisig das buntfarbige Transparent mit dem flammenden Herzen, dem Myrthenkranz und dem Wahlspruch der Grafen Waldenburg.

Heinrich kannte den Weg, der zur Hinterthür des Gebäudes führte. Er ging über den Hof an den Stallungen vorüber. Durch einen kleinen Garten gelangte man dann in’s Haus.

Der angrenzende Felsen warf einen breiten Schlagschatten über die Blumenbeete. In diesem Schatten sah Heinrich ein einsames Paar stehen, Mann und Frau. Er hielt ihre Hand und flüsterte hastig, bewegt; sie schluchzte. Als Heinrich den niedrigen Gartenzaun geräuschvoll öffnete, fuhren sie scheu von einander. Sie huschte in eine nahe Laube; der Mann verschwand rasch durch die Hausthüre. Aber beim Oeffnen derselben fiel – freilich nur einen Augenblick lang – der Lichtschimmer vom Flur auf ihn, und Heinrich glaubte die Gestalt Montigny’s zu erkennen.

Der Ueberraschte zögerte; da schallten Schritte hinter ihm. Ein hochgewachsener Bauernbursche, mit einem mächtigen Blumenstrauß auf der Brust, näherte sich eilig. Mit einem flüchtigen Blick maß er den Fremden und murmelte, als er dessen Priesterkleid erkannte, einen Gruß. Dann ging er vor Heinrich rasch in den Garten, sah sich um und trat zuletzt in die Laube.

„Toni, Du bist’s?!“ sagte die Frauenstimme erschrocken.

„Ja, ich, Dein Toni, der glücklichste Bub’ heut’ auf der ganzen Welt!“ antwortete es. „Und Du hast Dich davon geschlichen, sitzest hier und – ich glaube gar, Du weinst! Afra! mein Goldherz, mein liebes, liebes Weib!“

Heinrich schauderte. Das Mädchen, das an Montigny’s Seite geweint hatte, war die Braut, war Afra, die Tochter des reichen Silberbauers, „der jetzt den Fuchs des seligen Grafen hat.“

Heinrich floh vor seinen eigenen Gedanken in das Geräusch des Festes. In der großen Wirthsstube des Erdgeschosses standen die gedeckten Tische der Hochzeitsgäste. Dort saßen am Ehrenplatz das Jubelpaar und die Eltern der Braut, in buntem Gemisch Bauern und Bäuerinnen, Bürger aus Wendelstein und Forstleute, Alle festlich geputzt, vor sich Wein und Speisen im Ueberfluß.

Draußen auf der Treppe ging’s hinauf, hinab. Die Tänzerpaare eilten zum Saal empor oder kehrten erhitzt, mit rothen Gesichtern, von dort zurück. Der Raum, in dem getanzt wurde, lag von der Treppe links. Da summten und sangen die Geigen, dröhnten die Bässe und schmetterten zu Clarinetten und Flötenläufen die Trompeten. Die Paare schwirrten und wirbelten durcheinander, schwangen und drehten sich … Rechts befand sich das geräumige, mit Tannen und Birken ausgeschmückte Gemach für den vornehmen Besuch, für die Gräfin und ihre Gäste. Heinrich, dem die zahlreichen Neugierigen vor der weitgeöffneten Thür Platz machten, trat hastig vor die Schwelle und überblickte den hellerleuchteten Raum. Um eine gedeckte Tafel mit dem silbernen Theeservice der Gräfin saß und stand man in losen Gruppen umher. Die Mehrzahl der Gäste, unter ihnen das Fürstenpaar, hatte sich bereits entfernt. Einige Herren und Damen hielten Stephanie umringt, die schön wie eine Fee aussah, und Montigny redete seiner Cousine eifrig zu. Unweit davon stand schmunzelnd der Adlerwirth. Die Gräfin blickte verlegen zur Erde und schien zu schwanken. Dann schlug sie die Augen zu Edgar auf und erhob sich tief erröthend. Die Herren klatschten in die Hände, auch die Uebrigen drängten sich fröhlich hinzu; der Adlerwirth aber rief Hurrah! und stürmte aus dem Gemach in den Tanzsaal. Dort stieß er links und rechts um sich, gewann die Mitte und schrie, seine Mütze schwenkend, zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_242.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)