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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Jüngling trat als Cadet in das österreichische Heer ein, um 1859, als eben creirter Lieutenant, den zweiten italienischen Feldzug mitzumachen. Am Tage von Solferino war es ihm vergönnt, einen besonders wichtigen Punkt, den Meierhof von San Martino, ohne dazu befehligt zu sein, mit Sturm zu nehmen, eine große Anzahl Gefangener zu machen und mit dieser Position den linken Flügel der Benedek’schen Truppenaufstellung vor Umgehung durch die Franzosen zu bewahren. Der sichere militärische Blick und die That des jungen Officiers blieben nicht unbeachtet; der Orden der eisernen Krone wurde sein nächster Lohn. 1863 zum Oberlieutenant befördert, sah er 1864 das heißeste Sehnen seines deutschen Herzens gestillt, als er mit seinem Regimente, demselben, welches der tapfere Herzog Wilhelm von Württemberg befehligte, in der Brigade Nostiz zum Kampfe ausziehen durfte gegen den niederträchtigen Vergewaltiger seines schönen Heimathlandes.

Im Gefechte von Oeversee, am 6. Februar, an welchem das Regiment „König von Belgien“ bekanntlich einen so ruhmvollen Antheil nahm, stand Rathlev zum ersten Male dem Landesfeinde gegenüber. Aber leider sollte seinem Thatendurst vorerst ein energisches Halt! geboten sein. Wie seinen Commandeur, den Herzog Wilhelm von Württemberg, so verwundete eine dänische Kugel auch den kühn voranstürmenden Jüngling. Sie drang in den rechten Oberschenkel ein, traf aber zum Glück das in der Hosentasche verwahrte Portemonnaie, worin sich merkwürdiger Weise ein dänischer Reichsthaler befand. An diesem prallte das Geschoß ab und verursachte somit nur eine Contusion, die freilich ziemlich schwerer Art war. Einige seiner Leute wollten ihn vom Schlachtfelde nach dem Verbandplatze tragen. „Nehmt zunächst die dort fort,“ rief Rathlev mit matter Stimme, indem er auf mehrere neben ihm hingestreckte gemeine Soldaten wies. „Seht Ihr denn nicht, daß sie schwerer blessirt sind, als ich es bin?“ Und der menschenfreundliche Officier harrte trotz der heftigsten Schmerzen ruhig aus auf dem Platze, wo er lag, bis jene armen Verwundeten in Sicherheit gebracht waren.

Erst kurz vor dem Treffen bei Veile war Rathlev wieder zu seinem Regimente gestoßen. Die sorgenden Eltern, in deren Hause er gepflegt worden war, wollten den kaum geheilten und noch nicht völlig erstarkten Sohn nicht schon wieder aus ihrer Obhut entlassen; allein die heilige Sache, der sein ganzes Denken und Trachten galt, trieb ihn unwiderstehlich fort zu neuem Strauß wider den glühend gehaßten Dänen.

Schon auf dem Marsche nach Veile scheint ihn eine bei dem Soldaten so oft sich erfüllende Todesahnung beschlichen zu haben. Einem Cameraden machte er seine Uhr zum Geschenke und einem andern trug er auf, nach der Affaire sofort seine Eltern von seinem Befinden zu unterrichten, da er selbst es wahrscheinlich nicht mehr können werde. Wahrhaft ergreifend und rührend aber war der Abschied von seinem treuen Diener. Er führte diesen hinter eine am Wege stehende Scheune, händigte ihm die ganze Baarschaft ein, die er bei sich trug, und küßte ihn mit den Worten: „Diesen Kuß bringst Du meinen geliebten Eltern und Geschwistern, wenn ich nicht mehr bin.“

An der Einnahme von Beile selbst hatte das Regiment „Belgien“ keinen Theil gehabt. Erst gegen vier Uhr Nachmittags erhielt es Befehl, durch die Stadt vorzurücken nach dem vom Feinde besetzten Nordrande des Thales. Kaum aus dem Orte, wurden die „Belgier“ von einem mörderischen Feuer empfangen. Eine offene sumpfige Wiese mußte, wie oben erwähnt, zuerst passirt werden, bevor man das Defilé erreichte, und hier, dicht am Eingange des letztern, stürzte Rathlev, immer an der Spitze seines Zuges, lautlos zu Boden. Ein Camerad bückte sich zu dem Gefallenen nieder und entdeckte, daß eine Kugel durch den Kronenorden geschlagen und diesen in die linke Brust des heldenmüthigen Officiers gebohrt hatte. Man hielt ihn, der sich nicht mehr regte, für todt und ließ ihn darum liegen, um im entsetzlichsten Kugelregen weiter zu stürmen. Nachdem aber die Abtheilung sich eine etwas gedeckte Stellung erobert hatte, liefen zwei Grenadiere – Saffran und Tschatter sind die Namen dieser Braven – aus eigenem Antriebe nach der „Hospitalwiese“ zurück, um nach ihrem geliebten Oberlieutenant zu sehen. Sie hörten sein leises Athmen und trugen ihn, mit ihren Leibern ihn deckend, durch das heftigste Feuer langsam und vorsichtig in ein unfernes Haus. Der Schwerverwundete, der, ungeachtet seiner Leiden und seines Blutverlustes, sich noch lebhaft für den Gang des Gefechtes interessirte und erst, als er von dem glücklichen Ausgange desselben vernommen, in’s Verbandhaus schaffen ließ, lebte noch bis zum Morgen des andern Tages, wo er, um neun Uhr, umstanden von treuen Waffengenossen, den letzten matten Odemzug that. – Am zehnten März wurde die theuere Leiche nach Kolding geführt, von hier aber durch zwei von Rathlev’s Brüdern nach Kiel gebracht, wo man sie am 15. März neben einem im letzten Kriege vor Friedrichsstadt gefallenen Officiere, welcher der Familie verwandt gewesen war, in ihr finstres Bett legte.

Es war ein endloser Zug, welcher dem blumengeschmückten Sarge des Tapfern folgte, den Grenadiere und Kürassiere abwechselnd zur Ruhestätte trugen. Officiere, Magistralsmitglieder, Bürgerdeputationen, die Professoren der Universität, die Liedertafel mit ihrer roth-blau-weißen Fahne, die Studenten mit ihren verschiedenen Bannern und unzählige Andere gaben, trotz des schrecklichen Sturms und Regens, dem für das Vaterland gebliebenen jungen Landsmanne das Geleite. Wohl blieb kein Auge thränenleer, als der schwarze Schrein in die dunkle Gruft gesenkt wurde, wohl ward selbst da und dort ein lautes Schluchzen vernehmbar, als die üblichen Ehrenschüsse in dreimaliger Wiederholung über das Grab knatterten, und doch will es mich dünken, ist er glücklich zu preisen, der vorzeitig dahingeraffte junge Held, daß ihm erspart bleibt, das leider kaum mehr zweifelhafte Endziel des Kampfes zu sehen, in dem er mit der vollen Begeisterung seines frischen patriotischen Herzens das Schwert geschwungen hatte, – daß er nicht, gleich uns Andern, gewahren muß, wie trotz all’ des vergossenen Blutes, trotz der Hunderte und Aberhunderte von Opfern, die sich fortan mit verstümmelten Gliedern und zerfetzten Leibern durch ein armes Leben schleppen müssen, trotz der Millionen, die aus den Taschen des Volkes für den Krieg genommen worden sind, trotz des unzweideutig und energisch genug ausgesprochenen Willens der ganzen Nation, trotz alledem vielleicht erst französische Diplomatenkünste sein urdeutsches Heimathland deutschen Mächten zum Trotz befreien müssen.




Blätter und Blüthen.

Geldmacherei. Es giebt ungeheuer viel verschiedene Arten, den Mitmenschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Einige davon, wie Straßenraub, Erpressung, Taschendiebstahl, werden im Allgemeinen für sehr unanständig gehalten; andere, wie Erbschleicherei, Abborgen und Nichtwiederbezahlen, leichtsinniger Bankerott etc., erfahren je nach der Größe der in Frage kommenden Summe eine bald mehr bald minder ungünstige Beurtheilung. Handelt es sich um fünf Thaler, so ist es die allerniederträchtigste Lumperei, die man sich denken kann, bei fünfhundert Thalern spricht man von „offenbarem Betrug“, bei fünftausend Thalern findet die öffentliche Meinung die Sache „nicht in Ordnung“, bei fünfzigtausend erstaunt sie, bei fünfmalhunderttausend bewundert sie hutziehend. Endlich giebt es gewisse Arten des Geldmachens, die, obwohl durchaus nicht besser als offenbare Beutelschneiderei, nicht nur oft genug vom Gesetz geschützt sind, sondern zum Theil sogar bei einer gewissen Classe des Publicums für anständig gelten. Spielbanken und damit zusammenhängend falsche Spieler – Institut und Zögling – sind in der sogenannten „besten“ Gesellschaft accreditirt und der Humbug aller Art blüht üppig unter der Hand der Gauner auf seinem von der Dummheit gedüngten riesengroßen Felde.

Die göttliche Freiheitsluft Amerikas ist dieser Pflanze eine kräftige Nährerin gewesen.

„Thu’ die Augen auf“ ist das erste Gebot des transatlantischen Verkehrs. Es gehören allerdings zu jeder Betrügerei, wie zur Liebe, allemal zwei, und da jeder Kauf auf einer freiwilligen Vereinbarung des Käufers und des Verkäufers beruht, so hat schließlich der Betrogene nur sich selbst anzuklagen.

Es giebt allerdings Betrügereien, vor denen sich das Publienm selbst bewahren kann und muß; andere aber wieder kann es nicht durchschauen. Wenn sich Jemand einen falschen Gulden aufhängen läßt, so ist er an seinem Verluste selber schuld, denn Jeder muß Blei von Silber zu unterscheiden wissen; ob aber ein theuer erkaufter Apparat oder ein kostspieliges Präparat die angepriesene Wirkung hat, das kann das Publicum nicht ohne Weiteres erkennen. Dazu gehören sehr häufig physikalische und chemische und mechanische und allerhand andere Kenntnisse, die nur bei Wenigen vorausgesetzt werden können. Die große Menge wird bei Allem, was ihr angeboten wird, immer auf das Probiren angewiesen sein, wenn sie nicht von sachverständiger Seite vorher belehrt, respective verwarnt wird. Und auf dies Probiren rechnen sehr häufig die ekelhaften Marktschreier auch nur. Sie wissen, daß sie für ihre angeblich neuen Erfindungen keinen dauernden Absatz erlangen werden, aber wenn ihre nichtsnutzige Waare von Tausenden und wieder von Tausenden probirt worden ist – dann haben sie ihr Schäfchen in’s Trockne und beginnen das alte Spiel mit etwas Neuem.

Sie ziehen mit ihren Reclamen wie Nomaden herum. Wenn eine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_254.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)