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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

das rein praktischen Zwecken Dienende mit dem Belehrenden und Unterhaltenden zu verbinden wußte, davon giebt der „getreue Gefährte“ ebenfalls Kunde, – nur daß die Form in unseren Tagen etwas davon abweicht. Um nicht gegenüber den Erben des seligen Christian Gotthilf Hofmann in Waldenburg in den Geruch eines Plagiarius zu kommen, will ich, so leid es mir thut, mich nur auf die Mittheilung eines zu dem unterhaltenden Theile gehörenden kleinen Satzes beschränken, welcher die Überschrift trägt: „Besondere Thürme“. „Der Ulmer Münsterthurm ist 234 Fuß hoch, das Fundament ist 464 Schuhe tief, dabei 69 Schuhe breit. Zu Meißen ist ein bis zum Knopf ausgehauener. Zu München ist einer, so oben und unten spitzig. Zu Bingen im Rhein ist der Mäusethurm. Zu Jena der berühmte Fuchsthurm. Zu Schartsfeld will das Gespenst kein Dach darauf leiden. Zu Grein ist der Teufelsthurm.“ –

Den wenigen Exemplaren, welche ich von dem „getreuen Gefährten“ auftreiben konnte, war merkwürdiger Weise jedesmal als Schluß noch ein aus ein paar Blättern bestehendes Büchlein besonders beigebunden, wie man dasselbe ganz in derselben Art und Form heute noch auf den Jahrmärkten zu kaufen bekommt, – ein sogenanntes Punktirbüchlein. So hätten wir denn in unmittelbarer Nähe christliche Erbauung und Punktirerei nebeneinander. Unwillkürlich wird man an die fratzenhaften Gestalten des Teufels an den Kirchen des Mittelalters erinnert. Allein die tiefsinnige Idee der deutschen Baumeister hatte sich bei unserem Waldenburger in eine Speculation der Neuzeit umgewandelt. Er ließ jedem Exemplare seines „Gefährten“ das Punktirbüchlein beibinden, um jenen um einen Groschen theurer verkaufen zu können. Es ist wahr, in Ladestädten oder auf Stapelplätzen, wo viele Kärrner zusammenkamen, hat sich junges Fuhrmannsvolk zuweilen mit Punktiren einen Scherz erlaubt. Das Fuhrmannswesen selbst aber stand in keiner Beziehung zum Punktiren. Der Sinn des Kärrners war viel zu nüchtern und zu verständig, um der Punktirkunst Glauben zu schenken. Damit soll freilich nicht gesagt sein, als ob nicht auch im Kärrner und spätern Fuhrmann ein Stück Aberglauben gesteckt habe. War der Kärrner im Begriff, die Reise anzutreten, und war er, wie jeder „richtige Fuhrmann“ heute noch thut, mit den Worten: „Mit Gott!“ unter einem einmaligen Schnalzen oder Klatschen mit der Peitsche abgefahren, dann sah man es gern, wenn das Erste, was über die Straße kam, ein Mannsbild war; denn das bedeutete Glück und Segen. Kam aber eine schwarze Katze über den Weg gelaufen oder – ein Frauensbild und namentlich ein Weib, welches mit einer Butte Wasser vom Brunnen zurückkehrte, so verfinsterte sich das Gesicht des Kärrners; denn nun war’s unabwendbar, daß die Reise nicht zum Wohle gedeihen konnte. Wie man beim Abfahren wohl schnell nach einem Stein griff, um der vorüberlaufenden Katze den Weg abzuschneiden, so geschah dies auch draußen im Freien, wenn der unschuldige Lampe über den Weg setzte. Ja, es wurde selbst von einem gewissen Peitschenrechte gemunkelt, vermöge dessen der Kärrner oder Fuhrmann eine Frauensperson, die dicht vor dem Geschirre beim Abfahren den Weg überschreiten wollte, etwas handgreiflich zurückweisen durfte. Doch gab es auch Personen, welche „Verstand“ genug halten, so lange mit der Überschreitung des Weges zu warten, bis der Karren oder der Wagen vorüber war. –

Es ist bekannt, daß diejenigen Seeleute, welche zum ersten Male die Linie Passiren, unter gewissen Ceremonien in die Geheimnisse Neptuns eingeweiht werden und daß dabei der alte Satz gilt: Auf ein Leid folgt ein’ Freud’. Für die Kärrner wie für die späteren Fuhrleute Deutschlands war die Linie „Nürnberg“. Hier, in dieser allen Metropole des Fuhrmannswesens, wo Schwank und Scherz in derber Weise seit alter Zeit im Flor waren, wurde an dem jungen Fuhrmann, der zum ersten Male durch die Thore der alten Reichsstadt seine „Rößlein“ führte, der Ritterschlag vollzogen. Auch geht jetzt noch in alten Fuhrmannsorten die Sage, daß nach Vollzug der uralten Ceremonien ein weidliches Tournier stattgefunden habe, bei welchen gar mancher Kumpan in den Sand gestreckt worden sei. Die Sache selbst aber verhielt sich also:

Wer zum ersten Male als Fuhrmann nach Nürnberg kam, gleichviel ob er im schwarzen Krug oder im weißen Roß, im Engel oder im Schlüssel, im Sternhof oder im grauen Wolf oder in einem anderen der vielen Fuhrmannsgasthöfe ausspannte, mußte, altem Herkommen gemäß, sobald das gemeinschaftliche Abendessen für die Fuhrleute aufgetragen war, den untersten, nach der Stubenthür zugekehrten Stuhl an der Tafel einnehmen. War das Essen so ziemlich zu Ende, so legten sich um den Hals des schüchternen Neulings urplötzlich zwei hölzerne Ringe in der Form eines Halseisens, die sich als die vorderen Glieder einer mehrere Ellen langen hölzernen Zange erwiesen, welche der Wirth oder in Ermangelung desselben ein junger adretter Fuhrmann, der sich hinter dem Delinquenten verstohlener Weise aufgestellt hatte, unter schallendem Gelächter der bis dahin ernsten und stummen Fuhrleute gewandt zu handhaben wußte. Hierauf wurde dem Gefangenen in wohlgesetzten Worten zu verstehen gegeben, daß man sich freue, ihn in Nürnberg zu sehen, wo bis jetzt jeder richtige Fuhrmann durch die Taufe in die Geheimnisse des Fuhrmannswesens eingeführt worden sei. Es stehe auch, so wurde weiter fortgefahrenn soweit nichts im Wege, auch an ihm, den Umhalsten, die Taufe zu vollziehen und ihm besagte Vortheile zuzuwenden, und es komme nur auf ihn an, ob er nach altem Brauche einen Kindtaufsschmaus ausrichten und derohalben sich Pathen erwählen wolle. Unterstützt von seinen Landsleuten, unter denen sich wohl selbst der Vater und auch Brüder und Vettern befanden, bat der noch Uneingeweihte um Aufnahme in die große Brüder- und Cameradschaft deutscher Kärrner und Fuhrleute und erwählte sich unter den anwesenden Gästen drei Pathen, von denen ein jeder ihm zu immerwährendem Andenken einen auf seinen Beruf bezüglichen Spruch ertheilte, welcher, wenn er von älteren Fuhrleuten ausging, meist ernsteren Inhaltes war, während jüngere Pathen unter Beobachtung ernster Gesichtszüge gern eine Zweideutigkeit mit unterlaufen ließen. Nunmehr verkündigte der immer noch in der Zange Gehaltene, wie viel Flaschen Wein er zum Besten geben wolle, und lud seine sämmtlichen „Pathen und Collegen“ zu seinem Ehrentage ein. Nachdem die Pathen hierauf der Reihe nach ihre Pathengeschenke, in so und so viel Flaschen Wein bestehend, ebenfalls den Versammelten bekannt gegeben hatten, löste sich das Halseisen der Zange und gab dem jungen Fuhrmann seine Freiheit wieder. Deshalb sagte man: „Er muß sich lösen.“

(Schluß folgt.)




Der Kaisersoldat.


Die Alpe ragt schweigend hinauf in die Nacht,
In der Hütte unten das Leben noch wacht,
Es knistert und sprüht der Feuerbrand,
Die Dirnen spinnen mit emsiger Hand.
Nur Eine säumt das schneeige Linnen
In traumverlor’nem bräutlichem Sinnen;
Der Alte in grauem Haar und Bart
Schnitzt ein Gebilde kunstfert’ger Art,
An seinen Händen, an seinem Munde
Hängt staunend und lachend der Kinder Runde.
Dazwischen ertönt der Cither-Klang,
Bald fröhlich rauschend, bald schwermuthbang.
Da schleicht die Mutter still aus dem Kreis
Hinweg an’s Fenster und betet leis
Für einen so Lieben und, ach! so Fernen
Hinauf zu den ewigen funkelnden Sternen.
Da schwellt und hebt es den Busen der Braut,
Und Tropfen auf Tropfen hernieder thaut;
Da funkelt des Alten Auge voll Glanz,
Vom treuen Hofer, vom Kaiser Franz
Anstimmt er markig die heimische Weise,
Doch leiser wird sie, und leise, leise
Erstirbt sie in Thränen und Schluchzen wohl –
Ade, mein treues Land Tirol!
Ade, mein Land Tirol!“.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_268.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)