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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

an, aber – wohlverstanden! – nicht hinten, sondern vorn. Haben denn oder vielmehr hatten denn die Nullen, vorn hingeschrieben, auch Bedeutung? fragt staunend der Leser – Das wird uns weiter unten klar werden; vorläufig aber wollen wir diese Frage zum Schrecken aller Arithmetiker mit einem entschiedenen „Ja“ beantworten.

Als man im zweiten Decennium dieses Jahrhunderts endlich anfing, den Wegen auf den großen Handelsstraßen hie und da einige Aufmerksamkeit zu schenken, konnte der Kärrner natürlich sich stärker befrachten. Wie sich aber die Physiognomie der Landstraßen änderte, so war naturgemäß auch das auf denselben sich bewegende Fuhrmannswesen einer Wandlung unterworfen: der Karren ging jetzt in den sogenannten Stiefelknecht, d. h. in einen vierrädrigen, mit einer Barre versehenen Wagen über, vor welchem die Pferde ebenfalls einzeln in langer Reihe im Zuge gingen. Das sogenannte „ordinäre“, d. h. regelmäßige Botenfuhrwerk behielt indessen noch längere Zeit die Karren bei, und die Salzkärrner hat erst der Zollverein verdrängt. In unserer Zeit sieht man noch einzelne Karren, welche aus Frankreich, Belgien und dem Bergischen kommen. Namentlich giebt es jetzt noch viele Kärrner in Montjoie bei Aachen, welche zum Theil auch gegenwärtig noch nach Leipzig und Breslau fahren.

Aus der Periode der Stiefelknechte verdienen die Popendieker besonderer Erwähnung. Das Fuhrmannsdorf Popendiek liegt zwischen Lüneburg und Celle. Die Fuhrleute dieses Ortes hießen schlechthin „Langspänner“ oder auch „Kuttenklepper“. Den ersten Namen führten sie davon, daß sie blos eigene Pferde (sogenannte Hauspferde) in langer Reihe im Zuge hatten, so daß sie niemals einer Vorspanne bedurften; der zweite Name aber galt mehr als Spottname, weil die Popendieker die einzigen Fuhrleute in Deutschland waren, welche ihren eigenen Hafer fütterten und sogar ihren eigenen Proviant bei sich führten. Man erzählt, daß die Popendieker in alter Zeit deshalb bei den Wirthen und den übrigen Fuhrleuten nicht in vollem Ansehen gestanden hätten.

Ehe wir zum eigentlichen großen Frachtfuhrwesen übergehen, wie es die Chausseen und in Folge davon verschiedene Regierungsverordnungen hervorriefen, sei hier nur noch der sogenannten Hudel- oder Baumwagen gedacht, die vierrädrig und mit einer Deichsel versehen waren, aber keine Leitern führten. Diese Wagen bildeten den Uebergang zum späteren großen Frachtwagen, der seit der Mitte der zwanziger Jahre immer mehr in Aufnahme kam. –

Der große Frachtfuhrwagen nimmt im Fuhrmannswesen dieselbe Stelle ein, wie das Dampfschiff im Seewesen. Ein großer Frachtfuhrwagen wog gegen sechszig Centner und hatte sechs Zoll breite Räder; eine zweite Classe von Wagen, welche bestehenden Verordnungen gemäß im Interesse der Chausseen nur 100 Centner Fracht aufnehmen durften, mußte vier Zoll breite Räder führen. Die preußische und die bairische Regierung haben die ersten dahin einschlagenden Verordnungen erlassen. Außer dem großen schweren Hemmschuhe dienten zwei Schleifzeuge als Hemmungsapparate. Im „Schiff“, welches unter dem Wagen hing, lag der aus starkem Eisenblech verfertigte und mit zwei bis drei guten Schlössern versehene Kober, in welchem der Fuhrherr Geld und Papiere verwahrte und welcher Abends dem Wirthe zum Aufheben übergeben wurde. Die Sonnerger Kober waren wegen ihrer guten Schlösser am meisten gesucht. – Ueber hohe, starke Reifen spannte sich das große, weiße Plantuch, in welchem Namen und Jahreszahl, häufig auch ein auf das Fuhrmannswesen sich beziehendes Bild eingenäht war. In Fuhrmannsgegenden nahmen die Schneider-Innungen die Anfertigung eines guten Plantuches unter die Meisterstücke auf, so daß Plantuch und Priesterrock hier in unmittelbare Nachbarschaft kamen. – Auch die „Alfelder“ verwandelte sich jetzt in die lange stolze Fuhrmannspeitsche; das Nürnberger Geschirr mit seinen vielen messingenen Ringen und Scheiben, sogenannten Rosen, kam jetzt in Flor. Ein Dachsfell prangte auf dem Handgaul, ein rothes, wollenes Tuch auf dem Sattelgaul. – Selbstverständlich wurde auch die Tracht des Fuhrmanns jetzt eine andere. An die Stelle des ehemaligen weißen Kittels trat jetzt der fein gesteppte kurze blaue Brabanter Kittel; den Kopf bedeckte ein niedriger runder Hut mit silberner oder goldener Troddel; den Hals umgab ein buntes rothes Halstuch; anstatt der Schuhe kamen die langen Fuhrmannsstiefeln, welche über die Kniee reichten, während lange gelbe Gamaschen, unter den Knieen mit rothen Bändern verziert, im Winter die Beine hoch hinauf umschlossen.

Auf der Straße selbst bildete sich nach und nach eine förmliche Fahrordnung aus, an deren Beobachtung oft bei hoher Strafe der Fuhrmann gewiesen war. In Preußen z. B. durfte der Wagen einschließlich der Ausladungen nach beiden Seiten hin bei zehn Thalern Strafe nur neun Fuß breit sein; in einem und demselben Geleis hinter einander zu fahren, war verboten; die Griffe der Hufeisen sollten nur drei Achtel Zoll stark sein etc. Da die Chausseen in ebenen Gegenden große Lasten aufzuladen gestatteten, so sah man nur noch in Gebirgsgegenden auf steil in die Höhe führenden Straßen lange Reihen von Ochsengespannen als sogenannte Vorreiter vor dem Frachtwagen im Zuge. Wer Gelegenheit gehabt hat, im Thüringer Walde einen schwer beladenen Frachtwagen, vielleicht aus dem Zoptegrunde am Wespensteine vorüber nach Reichmannsdorf bei Saalfeld, die steile Höhe hinauf arbeiten zu sehen, der wird solch malerischen und zugleich imponirenden Anblick nie vergessen, sich aber auch erinnern, daß zu einer derartigen Expedition vier bis sechs Paar Pferde und achtzehn Paar Ochsen nothwendig sind.

Wo nur immer eine Chaussee gebaut wurde, da erhoben sich schnell viele stattliche Fuhrmannsgasthäuser mit großen Höfen und geräumigen Stallungen. Die Straßen selbst waren vom Frachtfuhrwerk äußerst belebt; auf den Hauptstraßen kamen im Verlauf einer einzigen Stunde oft mehr als zwanzig Wagen vorüber, so daß die Chausseegeldeinnehmer immer in Thätigkeit waren. Abends „im Quartier“ konnte man gar oft mit Recht sagen:

„Wer kennt die Völker, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammenkamen?“

Da saßen die „Bergschen“, von denen die Elberfelder (Ostermann, Taschenmacher, Rosenthal, Lening, Becker, Backhaus etc.) je zehn bis zwanzig Wagen auf der Straße hatten. Auch Solingen (Flucht etc.) und Remscheid (die Flesche etc.) waren mit einer entsprechenden Anzahl Wagen vertreten. Die Muntschauer, wie sie vulgo hießen (aus Montjoie), hielten sich mehr an ihre Nachbarn aus Lennep (Klüte, Schulte etc.), während die vielen Gütersloher, die aus Hahn bei Schwelm, die aus dem Fuhrmannsdorf „Unter der Haube“ und die Iserlohner die westphälische Gruppe bildeten. Die Pfälzer in ihren kurzen blauen Kitteln und langen Hosen erkannte man schon von Weitem an den niedrigen Rädern der Wagen und den niedrigen Kummeten der Pferde. Auf die letzteren legten sie bei schlechtem Wetter blauleinene, mit rothem Besatz versehene Decken, die als Vorboten der späteren sogenannten Pferdedecken anzusehen sind, welche letzteren der Fuhrmann jedoch nie in Gebrauch gehabt hat. Das badische und schwäbische Fuhrwerk sah man höchstens in Frankfurt a. M.; weiter ging es nicht. In Baiern gab es außer einem großen Fuhrmannsdorfe im Fichtelgebirge – Weidengeses bei Baireuth – nur wenige Fuhrleute in Tennelohe (Klein etc.), in Erlangen (Böhm etc.) und in Bayersdorf bei Erlangen (Gebr. Resch etc.).

Unter dem Namen „Eschweger“ und „Fuldaer“ waren die Hessen und unter dem letzteren namentlich die vielen Fuhrleute aus Weidenhausen bekannt, während die hannöverschen Fuhrwerke meist als Mündener oder Popendieker (Gauß, Stude etc.) bezeichnet wurden. Die Brökelschen, in der Nähe von Celle, fuhren meist zwischen Leipzig und Frankfurt a. M. Die Seesener entlehnten ihren Namen, von dem braunschweigischen Flecken Seesen; als großes Fuhrmannsdorf war hier namentlich Münchhofen (Gebr. Röppel etc.) bekannt. Unter den Harzern nahmen die aus der Umgegend von Goslar (die Gieske etc.) und Werningerode (Becker, Pollmann etc.) den ersten Platz ein. Aus Leist, einem Dorfe bei Bremen, fuhren mehrere Hunderte von Fuhrleuten nach allen Richtungen aus (Fink, Schulz, Tapenleder etc.), ebenso aus Bernsdorf im sächsischen Voigtlande. Unter den „Oestreichern“’ verstand man die meist zwischen Magdeburg und Gera fahrenden Eisenberger. Sie sollen diesen Namen erhalten haben wegen ihrer großen Gewandtheit im Handeln (Präßler, die Krafte, Sühler etc.). Auch Langensalza stellte sein Contingent ebenso wie das benachbarte Gräfentonna (Walther, Helbig, Kaiser, Schottmann, Schein, Held, Höhl, Dänert, Lämmerhirt, Kruspe etc.), während Mühlhausen (die Walche etc.) und Stadt-Ilm (Röser) nur durch wenige, aber weitberühmte Geschirre vertreten waren. Auch das Eisenacher (Krause, Dänert, Bruder etc.), das Erfurter (Clär, Gebr. Müller, Helbig etc.) und das Ober-Weimarische Fuhrwerk (Reichard) kam weit herum.

Sehr bekannt war auch das Tambacher und Schwarzhäuser (Michel etc.) Fuhrwerk im Gothaischen, ebenso die Emlebener,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_280.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)