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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Staats- und Kirchenbeamte; bald aber folgten auch friedliche Colonisten, Arbeiter und Kaufleute. Nicht lange, so wurde Amerika die Zuflucht aller, welche Freiheit suchten, zuerst in religiösen, dann in politischen Dingen. Und die Freiheit wurzelte dort drüben zeitiger als im alten Lande ein, und kam von dort als Rückfracht zurück. Bis heute hat jeder Schritt, den Amerika zu seiner Befreiung gethan, einen Rückschlag auf entsprechende Theile Europas ausgeübt: Nordamerika auf England, Frankreich, selbst Deutschland, Südamerika auf Spanien und Portugal. „Mit dem Bekanntwerden Amerikas beginnt wirklich eine neue Periode der Menschen-, Völker- und Staatengeschichte. Denn wie der enge Wohnkreis wurde auch der menschliche Gedankenkreis dadurch zu einer höheren Stufe der Ideenwelt erhoben. Nun erst wurde Gesammtentwicklung aller Kräfte und Anlagen des Menschengeschlechtes durch die vollständige Kenntniß seines ganzen Erziehungshauses, des Erdballs, möglich,“ so schreibt Carl Ritter in seiner allgemeinen Erdkunde.

Am merkwürdigsten aber ist es, daß der oben geschilderte Columbus’sche Geist in den Amerikanern, wenigstens in den Bürgern der Vereinigten Staaten Nordamerikas, vollständig verkörpert, zu Fleisch und Blut geworden ist. Dies ist der den echten Yankee überall kennzeichnende Grundsatz des „go ahead“, des Drauflosgehens. Wo der Europäer, und vor Allem der gute Deutsche, sich erst noch lange, lange bedenkt und das Für oder Wider einer Sache grübelnd abwägt: da hat sie der echte Amerikaner schon längst angepackt und in’s Werk gesetzt; denn Probiren geht ihm über Studiren, und Zeit gewonnen heißt ihm Geld gewonnen. Neue Erfindungen, halbreife Pläne, bloße Einfälle ergreift der echte Yankee mit einer Raschheit und führt sie mit einer Entschiedenheit aus, wobei einem ehrlichen Deutschen ganz schwindelig zu Muthe wird. So kommt es freilich zu vielen Fehlschlägen; aber „dabei lernt man was!“ So geschieht es aber auch andrerseits, daß keine Nation der Erde in gleich kurzer Zeit gleich viele große und schwierige Werke durchgeführt, gleich viele Erfindungen und Entdeckungen verwirklicht, gleich viele und bedeutende Verbesserungen in allen sachlichen und technischen Zweigen vollbracht hat, wie das energische und fortschrittstüchtige Volk der nordamerikanischen Freistaaten.

Und wenn dieses kühne Volk einst, hoffentlich bald, seine jetzige, mit derselben go-ahead-Manier ergriffene Aufgabe beendet haben wird, dem Sclavenhalterthnum ein Ende zu machen und den Schandfleck der Leibeigenschaft und Sclavenzüchterei von der Union abzuwaschen; wenn die Sterne Uncle Sam’s, wieder alle auf einem Banner vereinigt, stolzer als jetzt in die alte Welt herüber leuchten werden: dann möge sich Amerika desjenigen Mannes erinnern, dem es nicht nur seine Entdeckung, sondern auch seine Fortschritts principiell zu verdanken hat. Dann möge sich neben der bescheidenen Hütte zu Cogoletto ein Riesenthurm erheben, welcher, weithin über den Golf von Genua sichtbar, ein Sternenbanner flaggend, in alle Welt hinausrufe: „Hier ist das Haus des Columbus!“




Die Geschichte der deutschen Telegraphie.

C’est une idée germanique!“ sagte am 5. November 1809 Napoleon I. zu seinem Leibarzt, dem Baron Jean Dominique Larrey, als dieser ihm einen vollständigen elektrischen Telegraphen vorgelegt und dabei erklärt hatte, daß mit diesem Apparat zwischen Straßburg und Paris eine unmittelbare Verbindung möglich sei, während der optische Telegraph, bei seiner Beschränktheit auf bestimmte Entfernungen, die Wiederholung der telegraphischen Zeichen auf vielen Stationen nothwendig mache und ebendeshalb vielfachen Mißverständnissen ausgesetzt sei, der Unterbrechungen seiner Thätigkeit durch Nacht und Nebel nicht zu gedenken. „C’est une idée germanique“, wiederholte der Kaiser, indem er die Legung und Sicherung eines Verbindungsstranges von solcher Länge für viel zu schwierig erklärte, um ausgeführt zu werden, und wies damit die Erfindung als eine „deutsche Träumerei“ – denn das lag in dem wegwerfenden Ton, mit welchem er sie als „idée germanique“ bezeichnete – ohne Weiteres von sich.

Wir nehmen heute Napoleon’s Ausspruch als ein geschichtliches Zeugniß auf für die deutsche Ehre der großen Erfindung. Daß dies aber überhaupt nöthig ist, daß trotz der hohen wissenschaftlichen Stellung des deutschen Erfinders, trotz der ausführlichen Darlegung der Erfindung in deutschen akademischen Denkschriften, trotz der Empfehlung durch bedeutende Männer der Wissenschaft in Frankreich, England, Rußland und Oesterreich, ja trotz der praktischen Ausführung im Kleinen an zwei Stätten deutscher Gelehrsamkeit, daß trotz alledem die deutsche Ehre der Erfindung so ganz und gar vergessen werden konnte, daß bis heute die große Menge im guten Glauben auf die Ehrlichkeit fremder Ansprüche die Ehre der Erfindung an Namen wie Morse knüpfte, der lediglich durch Verbesserungen sich Verdienste erworben hat, das ist ein so ganz gewöhnliches Stück deutscher Erfahrung, daß man sich am Ende wundert, wie Einen über derlei immer neue Entrüstung packen mag.

Der Erfinder des elektrischen Telegraphen ist der berühmte Anatom und Physiolog Samuel Thomas von Soemmerring, und die Zeit der Erfindung das Jahr 1809. Soemmerring, ein geborener Thorner, war Professor der Anatomie in Mainz, als die Universität daselbst aufgelöst wurde. Er lebte dann als praktischer Arzt in Frankfurt am Main, ging 1804 als Mitglied der Akademie der Wissenschaften nach München und wurde 1810 königlich baierischer Geheimer Rath. Diese Notiz ist keine müßige, sie soll beweisen, daß hier das öffentliche Vorurtheil und die nationale Gleichgültigkeit nicht einen armen Forstmann, wie Ressel, den deutschen Erfinder der Schiffsschraube, oder einen armen Artillerie-Unterofficier, wie Wilhelm Bauer, den deutschen Erfinder der unterseeischen Schifffahrt, vor sich hatte, sondern einen berühmten, hochverdienten und auch im Leben hochgehaltenen Mann.

Daß dieser deutsche Gelehrte einer der größten vergleichenden Anatomen der neuern Zeit gewesen, erzählt jedes Conversations-Lexikon. Dagegen hat bis heute das Kleingewerk der deutschen Biographie meist davon geschwiegen, daß diesem Gelehrten allein auch die Ehre zukommt, um die sich noch in der neuesten Zeit Russen, Engländer und Amerikaner streiten, die Ehre der ersten Idee, den Galvanismus für Telegraphie zu benutzen. Die Veranlassung zu dieser Erfindung war folgende.

Am 5. Julius 1809 saß Soemmerring in Bogenhausen an der Tafel des Ministers Grafen Montgelas. Im Laufe der Unterhaltung äußerte der Minister gegen den von ihm sehr geschätzten Gelehrten, die Akademie würde ihn erfreuen, wenn sie ihm Vorschläge zu einem möglichst zweckmäßigen Telegraphen vorlege. Dieser Wunsch war es, der die Erfindung erzeugte, und ihr selbst war bereits auf wissenschaftlichem Wege vorgearbeitet. Soemmerring beschäftigte sich nämlich neben seinen Berufsarbeiten gern mit physikalischen, chemischen und astronomischen Studien. Sie hatten ihn schon 1801 zu Versuchen mit der Voltaischen Säule geführt und die Wirkung derselben auf das Nervensystem in ihm schon damals die Ahnung einer Analogie zwischen galvanischer Erregung und Nerventhätigkeit erweckt. Konnte ihm da der Gedanke fern sein, isolirte galvanische Drähte zu einem telegraphischen Leitungsseil zusammenzuwinden „und dadurch ein, wenn auch noch grobes Analogon eines Nervenstrangs zu construiren“ ? – Wie er nun, daran festhaltend, Versuch an Versuch reiht, bis endlich die ganze Erfindung vollendet und der erste Apparat in seiner Thätigkeit erprobt ist, dies Alles hat Soemmerring in einem Tagebuch niedergelegt, aus welchem sein Sohn, Hofrath Dr. W. Soemmerring, das Wesentlichste in einer Schrift[1] veröffentlichte, die uns für diesen Artikel als Vorlage dient.

Die hauptsächlichsten Tagebuchsätze sind: Am 8. Juli (1809). „Die ersten Versuche gemacht, die Voltaische Säule zu einem Telegraphen zu verwenden, nämlich durch Gasentbindung Buchstaben an entfernten Orten zu bezeichnen. Die Batterie hatte 15 Glieder (Brabanter Thaler, Filz mit gesättigter Kochsalz-Auflösung befeuchtet und Zinkplatten).“

Am 22. Juli. „Endlich den Telegraphen geendigt.“

Diesen ersten elektrischen Telegraphen der Erde theilen wir hier in Abbildung mit. Soemmerring hatte zu diesem „Trogapparat“ bei Mechanikus Settele in München einen Glaskasten anfertigen lassen, dessen Boden aus Kork besteht, und in welchem 27 einzelne Goldstifte befestigt und mit den Buchstaben des


  1. Der Elektrische Telegraph als deutsche Erfindung Samuel Thomas von Soemmerring’s, aus dessen Tagebüchern nachgewiesen von Hofrath Dr. W. Soemmerring. Frankfurt am Main, 1863.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_318.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)