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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

eigentlichen Schauplatz seiner gedeihlichen Wirksamkeit führen zu können, „hast Du Dir die Männer und Weiber betrachtet, die ringsum in den Pflanzungen beschäftigt sind? Der bei Weitem kleinste Theil dieser Arbeiter und Arbeiterinnen ist aus unserer Gegend. Sieh nur die mannigfaltigen Trachten, welche die Frauen namentlich schmücken oder verunzieren! Unsere Ernte pflegt in der Regel im letzten Viertel des August zu beginnen, und sobald St. Bartholomäi, der 24., vorüber, so kommt’s bei uns eingeströmt von allen Seiten. Da rücken aus Ober- und Unterfranken, aus der Oberpfalz und selbst aus Böhmen herüber Schaaren von Arbeitern beiderlei Geschlechts mit Kind und Kegel ein, uns beim Pflücken und Blatten zu helfen. Der gute Tagelohn, den wir zahlen, die bessere und reichlichere Kost, die sie hier finden, aber auch das lustige Leben, das sie erwartet, zieht die Leute an. Denn man muß schon ein Auge zudrücken, wenn’s dann und wann dabei etwas ‚locker und lose‘ zugeht, und kann es schwer verhüten, daß sich so mancher nichtsnutzige Vagabund und manche leichtfertige Dirne in der großen Einwanderungsfluth mit einschleichen. Wir brauchen eben helfende Hände; denn Schnelligkeit ist bei unserer Ernte die Hauptsache. Dennoch werden wir vor Ende September nie damit fertig; häufig dauert es gar bis tief in den October hinein, je nachdem Wetter und Erträgniß sind.“

Mittlerweile hatten wir, weiterschreitend, den Saum der Pflanzung erreicht. Ein paar Schritte davon lag der Felsenkeller, dem wir zustrebten. Es war ein gar lauschiges, schattiges Plätzchen; unter den alten Linden, die seinen Eingang behüten, standen Tische und Bänke aufgeschlagen, von denen man das ganze saubere Städtchen im Blicke hatte. Schon saß da und dort eine Gruppe ehrsamer Hersbrucker beim sogenannten „Appetitschoppen“ oder der „Frühmesse“, wie man in Süddeutschland diesen Morgentrank auch wohl nennt. Die Discussion war bereits in flottem Gange, als wir Platz nahmen. Natürlich gab’s hier nur das eine Interesse, das Alle beherrschte. „Schon viel auf der Trockne?“ „Noch nicht mit Pflücken fertig?“ „Wie weit mit dem Blatten?“ frug man herüber und hinüber.

„Da hast Du’s,“ lächelte mein Freund. „Was nicht Hopfen heißt und Hopfen angeht, das existirt jetzt für uns Hersbrucker nicht mehr. Und wir treiben’s noch eine gute Weile so fort. Denn nun nimmt erst das eigentliche Geschäft, die Speculation mit unserem Erzeugnisse, das Makeln und Handeln den Anfang. Du mußt nämlich wissen, der Hopfen gehört zu den bedeutendsten Ausfuhrartikeln des Landes und findet mit jedem Jahre immer weitere Abzugsquellen. Vom Juni an kreuzen sich schon briefliche und telegraphische Mittheilungen aus England und Frankreich, aus Belgien und Nordamerika, aus Böhmen und Baiern und einigen andern deutschen Hopfengebieten über den Stand der Pflanze, und jetzt, wo es über die Ernte und ihr Erträgniß, über Preis und Kauf und Verkauf zu berichten giebt, wächst dieser Verkehr noch um das Doppelte und Dreifache. Noch haben wir unsere Ernte nicht beendet und schon ist in allen den Kreisen, die sich mit unserem Nesselproducte befassen – Du weißt doch, daß der Hopfen dem Nesselgeschlechte angehört? – die Aufregung zum wahren Fieberparoxysmus gestiegen. Besonders aber ist dies der Fall, wenn in England der Hopfen nicht gerathen ist und darum ein großer Export dahin stattfindet; denn England braucht für seine Ale- und Porterbrauereien jährlich mehr als eine halbe Million Centner Hopfen. Welchen Geldwerth dieser Bedarf repräsentirt, kannst Du Dir berechnen, wenn ich Dir sage, daß der Durchschnittspreis eines Centners nicht niedriger als 60 Gulden veranschlagt werden darf! Früher war unser Geschäft höchst einfach: der Erzeuger war zugleich immer der Händler und der Consument der directe Käufer. Heutzutage hat der Vertrieb in dieser Weise nur noch selten statt. Heut sitzt der speculirende Großhändler auf seinem Comptoir und sinnt und calculirt und wagt, während eine Menge von Maklern und Zwischenhändlern das Land auf- und abjagen, um an den Vortheilen der Speculation auch ihr Theil zu erhaschen, und eine Schaar von Musterreitern die Brauer in der ganzen Welt mit Anerbietungen bestürmt.

„Derart dauert der Taumel ein paar Monate fort. ’s ist ein wahrer Taumel, eine unaufhörliche Angst; in wenigen Wochen schwanken die Preise oft um hundert, ja um zweihundert Procent, und kein Mensch weiß, was eigentlich der Grund des Steigens oder Fallens ist. Ja, ja, mein alter Junge, Ihr braucht uns geplagte Hopfenproducenten und Hopfenhändler wahrhaftig nicht zu beneiden, wir können uns auf keinem rosenbestreuten Lotterbette pflegen, wir schweben beständig zwischen Rausch und Katzenjammer! Heut jauchzen wir himmelhoch, morgen sind wir zum Tode betrübt, und auf unserer Börse, der offenen Carolinenstraße in Nürnberg, da wirbelt’s und schwirrt’s von den Hunderten christlicher und jüdischer Speculanten oft wild und toll genug durcheinander; mit einem Male kommt eine unbegreifliche Hausse, dann wieder eine ebenso räthselhafte ‚Panique‘, ganz wie auf dem Parquet und hinter den Coulissen der Pariser Börse. Weil uns jeder sichere statistische Anhalt fehlt, weil man weder das Erträgniß der einzelnen Bezirke, noch den Bedarf der Consumenten genau kennt, so ist die Hopfenspeculation weit weniger das Resultat scharfsinniger Combination, als ein blindes Tappen im Nebel, ein echter Börsenschwindel, ein waghalsiges Hazardspiel, dessen Aufregung alle Nerven spannt und alle Pulse klopfen macht. Und das dauert fort bis tief in den Winter hinein; dann allenfalls kommt eine kurze Periode verhältnismäßiger Ruhe, bis zeitig im Frühjahre der Rundlauf unserer Aengste und Sorgen von Neuem seinen Anfang nimmt, die –“

„Die Euch und Euerem hübschen Hersbruck indeß gar nicht so übel zu gedeihen scheinen,“ fiel ich dem Freunde lächelnd in’s Wort.

Er schmunzelte, barg aber, einen tüchtigen Zug thuend, sein Gesicht hinter dem Deckel seines Maßkruges, als wolle er mir nicht zeigen, wie sehr ihm meine Bemerkung geschmeichelt hatte. Dann fuhr er, seiner Unterhaltung eine etwas andere Wendung gebend, fort: „Bis jetzt kennst Du nur den einen Theil unserer Hopfenernte, den mindest interessanten; die andere Hauptarbeit derselben geschieht nicht im Freien der Pflanzungen, sondern in den Häusern selbst. Es ist das sogenannte ‚Blatten‘, das Abzupfen oder Abschneiden der das Hopfenmehl, das Lupulin, enthaltenden Blüthendolden oder Zäpfchen, gewissermaßen dem Ausdrusch Euerer Fruchternte zu vergleichen, nur daß bei uns beide Operationen nicht nacheinander, sondern immer gleichzeitig vorgenommen werden. Jeden Tag schafft man die von den Pflanzen gebrochenen, zu großen Bündeln zusammengeschnürten Blätter herein, und sofort geht es darüber her, sie der würzhaltigen Dolden zu entledigen. Da sitzt nun die ganze Familie, Männer und Weiber, Alte und Kinder, vom frühen Morgen bis zum späten Abend in den Stuben zusammen um einen großen Behälter, einen weiten Korb oder ein sonstiges räumiges Gefäß, und mit ihnen die fremden Helferinnen, um mit den Fingern oder mit der Scheere die Hopfenzapfen von den Blätterbüscheln zu trennen und sorgsam in Wanne oder Trog hinabgleiten zu lassen. Und stundenweit in der Runde, thalauf und thalab, wirst Du jetzt selten ein Haus finden, wo sich nicht wochenlang dieselbe Scene wiederholte, oft ein allerliebstes Genrebild, fix und fertig, so daß ein Maler auch keinen Strich ab-, keine Linie anzufügen brauchte, um seine Leinwand mit einer reizenden Composition zu bedecken. Eine gar lustige Arbeit ist’s ohnedem, dies Blatten, auf das sich Alles, Alt und Jung, Groß und Klein schon den ganzen Sommer über freut, so lustig, wie nur das ‚Wimmeln‘ (das Reblesen) drüben am Rhein sein kann, wenn wir unserer Lust auch nicht mit Böllerschüssen und Raketensprühen Luft machen oder gar über die Flammen springen, wie’s in Schwaben und am Bodensee Brauch ist beim ‚Herbsten‘. Die Alten erzählen und das junge Volk singt, und da magst Du manche alte Mär hören, welche Dir längst entschlummerte süße Erinnerungen aus Kinderstube und Mutterhaus wachruft, und manche naive treuherzige Volksweise vernehmen, die draußen in der Welt vergessen ist und nur noch da und dort in einer Liedersammlung auftaucht, aber auch manch neckisches ‚Gesätzle‘ und den allerneuesten Gassenhauer oder das modernste Operncouplet. Jeder und Jede spenden freigebig von ihrem Reichthume, und der Kurzweil und des Scherzes ist kein Ende, wenn auch den Dirnen hin und wieder einmal das Blut in die Wangen getrieben und vielerlei Neckerei verübt wird. Doch bös ist’s nimmer gemeint, und überzimperlich sind wir hier im Pegnitzgaue auch nicht gerade. Und kommt nun endlich der letzte Erntewagen herein, dann beginnt erst der rechte Jubel. Hoch auf der schwellenden Ladung thronen junge Burschen und hübsche Mädchen, das Haar mit Hopfengerank umwunden, und im Triumphzug geht’s nach Hause. Am Abende aber, wenn kein Büschel mehr zu ‚blatten‘, wenn der ganze Segen abgezupft und in Korb und Wanne geborgen ist, dann wird das Arbeitsgeräth, werden Tische und Stühle hurtig bei Seite geräumt, und bald dreht sich Alles, auch mancher Weißkopf und manch altes Mütterchen, welche der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_327.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)