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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

allgemeine Festtaumel fortreißt, bunt durcheinander im fröhlichen Reigen, und es schadet der Lust nicht, daß in der Regel eine einsame Ziehharmonika das ganze Orchester ausmacht.

„Diese heitere Schlußscene unserer Hopfenernte ist der sogenannte ‚Niederfall‘. Am Morgen darauf stäubt das fremde Arbeitervolk wieder in alle vier Winde auseinander; viele ziehen nach dem Main und Rhein, wo ihre Hände bei der Weinlese willkommen sind, ein kleines Häuflein langjähriger Stammgäste bleibt auch wohl bei uns, um uns noch die Kartoffeln mit einheimsen zu helfen. – Nun, heut’ Abend wollen wir uns einmal das Blatten beschauen in einem Häuschen ein Stück weiter oben im Thale. ’s ist eine herzige biedere Familie, der ich schon seit Jahren ihr kleines Ernteerträgniß abkaufe, eine noch vom alten Schlage, welche der Crinoline den Eingang gewehrt hat und die schmucke Tracht des Pegnitzgaues beharrlich in Ehren hält. Du brauchst nicht die Achseln darüber zu zucken, wir schauen sonst nicht sehnsüchtig rückwärts in die ‚gute alte Zeit‘; die ist bei uns schon lange gründlich überwunden und für Riehl’sche Gesellschaftsschrullen und Familientheorien am allerwenigsten bei uns der Boden. Wir sind vielmehr sammt und sonders rüstige ‚Fortschrittler‘ und haben’s bewiesen, – so weit es der Hopfen gestattet; denn der ist unser Regent und Tyrann. Jetzt aber laß uns heimeilen; die Suppe wird unser warten.“

Wachgerufene Erinnerungen an eine gemeinschaftliche Schulzeit und an einen lieben Geschiedenen, der nach den stürmischen Nürnberger Revolutionstagen im Hause meines Freundes ein sicheres Versteck gefunden hatte, bis dem Flüchtlinge der Paß frei wurde nach der Schweiz, belebten den in süddeutscher Weise reichlich besetzten Mittagstisch, welchem die gelassen heitere Hausfrau und eine Schaar frischer, von Leben und Gesundheit strotzender Kinder den schönsten Reiz verliehen. Durch das ganze Haus ging jener warme leichtlebige Hauch, jenes zutraulich aufgeschlossene Wesen, wie man’s erst mittagwärts vom Main antrifft, wo man sich in Stunden näher rückt, als bei uns in Monaten.

Der Nachmittag ward in der Kühle des Baumgartens verdämmert, der hinter dem Hause in Treppenabsätzen den Fuß des Berges anstieg. Wir hatten uns Tisch und Stühle herausgeschafft unter das schattende Dach eines Nußbaumnestors und Kaffee und Cigarren dazu. Schon säumte die Abendsonne die Gipfel der Hügel ringsum, flammte auf den Spitzen der Thürme und glühte in den Fenstern des vor uns ausgebreiteten Städtchens, und noch immer plauderten wir von Zeiten, die längst verrauscht, und hätten Hopfen und Pflücken und Blatten schier vergessen, wäre nicht mit dem sinkenden Abende draußen auf der Landstraße in immer ununterbrochenerer Folge der Erntesegen an uns vorübergetragen und gefahren worden. Es war ein unaufhörliches Gehen und Kommen, Singen und Klingen, Grüßen und Jauchzen, und gar prächtig sah es aus, wie die kräftigen sonngebräunten Männergestalten mit den mächtigen Laubbündeln auf dem Kopfe und über den hochgehobenen Stützen der Arme so straff und stramm einherschritten und die schmucken Dirnen von den aufgebäumten Erntewagen herab nach rechts und links ihre schelmischen Augen spielen ließen.

„Abgemacht also,“ sagte mein Gastfreund, indem er, sich erhebend, den Stuhl mit energischem Rucke bei Seite schob und eine frische Cigarre ansteckt?, „abgemacht, Du bleibst die Woche bei uns, und nächsten Sonntag, wenn der Himmel nicht widerwillig dreinschaut, bummeln wir selbander ein Stück Wegs in unsere Schweiz hinein, wenigstens bis auf Ruprechtstegen. Das ist ein gar lieblich gelegenes Dörflein, und das neue Hotel, das dort mein Nürnberger Landsmann, Ludwig Jegel, im Gebirgsstyle errichtet, spendet die erquicklichste Verpflegung. Und Forellen wollen wir da schmausen, wie sie den Molkenvergnügten drüben in Streitberg lange nicht so zart und lecker auf die Curtafel kommen. Ja, ja, es kann sich sehen lassen, unser Pegnitzthal, und ’s ist noch ein leidlich jungfräuliches Feld für Euch blasirte Touristen, eine neu erschlossene Domäne für Euch unersättliche Stoffjäger,“ fuhr er lächelnd fort. „Denn beichte nur, Du bist nicht so von ungefähr in unsere zahmen Gebreite verschlagen worden, und Deine Hopfenstudien wandern wohl Schwarz auf Weiß spornstreichs nach Leipzig in’s Redactionsbureau der Gartenlaube? Am Ende komme ich und ganz Hersbruck in leibhaftigem Conterfei auch mit hinein. Getroffen, nicht wahr? Nun, meinetwegen, hab’ nichts dawider, und Euere Leser hören sicher gern, wie man das baut und pflückt, einheimst und in die Welt schickt, was Millionen Tag aus Tag ein den schäumenden Lieblingstrank erst zum wahren Labetrunke macht. Doch jetzt komm noch zu einem raschen Gange durch den Berg, ehe es völlig Feierabend wird, und dann zum Blatten.“

(Schluß folgt.)




Aerztliche Strafpredigt.
Für die erwachsene Menschheit, insbesondere für den Geschäftsmann.

Die jetzige Menschheit steckt, trotz aller Fortschritte in der Cultur, doch immer noch so tief im Aberglauben und Unverstande, zumal in Bezug auf ihr körperliches und geistiges Wohl, daß man die meisten, auch sogenannte gebildete Menschen, gerade in solchen Beziehungen, wo sie recht sehr vernünftig sein sollten und könnten, vorzugsweise aber in gesundheitlicher Hinsicht geradezu für unvernünftig und einer höheren Freiheit, sowie eines behaglichen Wohlbefindens noch für durchaus unwerth erklären muß.

Das brauchte aber gar nicht so zu sein. Denn wenn durch die Erziehung in der Jugend – aber freilich nicht erst in der Schule, sondern schon in den ersten 4 bis 6 Lebensjahren – dem Menschengehirne anstatt naturwidrigen Aberglaubens ein auf die göttlichen, in der Natur herrschenden Gesetze gestütztes Wissen und Können so eingepflanzt würde, daß es darin für das ganze Leben festgewurzelt bliebe, dann könnte aus jedem Menschen ein vernünftiges und achtungswerthes Geschöpf ohne die sogenannten „menschlichen Schwächen“, d. h. ohne eingelebte schlechte Angewohnheiten, wie Genuß- und Habsucht, Eitelkeit, Ehr- und Herrschsucht, abergläubische Furcht und unverständige Glaubsucht etc., erzogen werden.

Wie aber zur Zeit die Erziehung des Menschen, und zwar hauptsächlich von Seiten der Eltern, in den ersten Lebensjahren bestellt ist (s. Gartenlaube 1862 Nr. 5), da werden, trotz aller Arten von Vereinen, aus erwachsenen Menschen, weil sie aus ihrer Jugend alle möglichen Untugenden, Schwächen, Schrullen, Vorurtheile und Aberglauben in das reifere Lebensalter mitbrachten, fast nie mehr wirklich vernünftige Geschöpfe zu bilden sein. Nur wo’s die Erwerbung irdischer Güter für ein behagliches Leben gilt, da allenfalls nimmt auch die erwachsene Menschheit noch Lehre an.

Und auch da nicht einmal. Denn selbst der wirklich gute Rath, welcher dem Laien zur Erhaltung seiner Gesundheit, also zur Erreichung des Nothwendigsten, was ihn für seine irdischen Güter erst genußfähig macht, gegeben wird, bleibt von den Allermeisten unbeachtet. Und wenn er Jahre lang auf die unverständigste, leichtsinnigste und frivolste Weise seine Gesundheit ruinirt hat, dann jammert und wehklagt der Feigling über seine Krankheit wie über ein unverschuldetes Unglück und klammert sich aus Angst vor dem Tode an jedes, auch dem Menschenverstande Hohn sprechende Heilverfahren.

Deshalb kann denn auch die Hoffnung, welche man auf die Wirksamkeit der zur Aufklärung der erwachsenen Menschheit gegründeten Vereine, sowie auf belehrende Vorträge und Schriften setzt, nur eine sehr schwache sein. Alle Vereine, sie mögen heißen und bezwecken was immer sie wollen, können niemals im Erwachsenen Das nachholen und ausbessern, was in der Jugend vernachlässigt und schlecht gemacht wurde. Der jetzige Mensch wird aber schon von Geburt an verhunzt.

Nochmals sei’s darum gesagt: nur erst dann, wenn eine richtige, schon von frühester Jugend an erworbene Kenntniß der Naturgesetze auf das Denken und Thun des erwachsenen Menschen den gehörigen Einfluß ausüben wird, nur erst dann werden die Zustände auf dem physischen, geistigen und sittlichen Gebiete in der Menschheit erfreulicher sein als jetzt, wo bei den meisten Menschen kindische Anschauungen zu bekämpfen und Wahn, Despotismus und Rohheit die Resultate der naturwidrigen Erziehung sind.

Und was soll nun mit dieser Klage erstrebt werden? Zuvörderst nichts Anderes, als daß die Leser dieser Zeilen ihre ganze Aufmerksamkeit auf die große Wichtigkeit einer richtigen physischen und psychischen Erziehung in den ersten Lebensjahren lenken (siehe Gartenlaube 1862 Nr. 5) und daß sie, um dem Fortschritte in Vervollkommnung und Veredelung der Menschheit auch wirklich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_328.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)