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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

11. Was Katharine dazu sagte.

Hans hatte Recht gehabt. Die vier Tage Fasten paßten nicht zu seinem Körper, und als er einen großen Teller kräftige Fleischbrühe aufgegessen, fühlte er sich besser, legte sich auf die andere Seite und schlief sanft und ruhig bis zum andern Morgen.

Nach Sonnenaufgang lugte der Vater in’s Zimmer hinein und fand den Sohn schon munter und wohl in seinem Bette aufsitzen.

„Bleibt’s beim Alten?“ frug er nur; Hans nickte, und der alte Barthold ging hinunter, setzte sich auf den Braunen und ritt hinüber nach Wetzlau. Hans aber, durch den herrlichen Schlaf neu gestärkt, ließ sich von der Mutter seine Kleider geben, die Sonntagskleider, mit denen er zuletzt drüben in der Traube gewesen war, dann setzte er sich in den Lehnstuhl. Das Ankleiden hatte ihn doch ein Bischen mitgenommen, und er sah wieder etwas blaß aus und sagte, als die Mutter bald darauf in’s Zimmer schaute und frug, ob er noch ’was brauche:

„Mutter, ich möcht’ gern einmal die Kathrine sprechen.“

„Kann ich’s nicht auch besorgen, Hans?“

„Nein, Mutter, Ihr nicht. Die Kathrine kann wohl einmal heraufkommen; die hat noch junge Beine – sie hat mir so noch nicht guten Morgen gesagt – und kann mir auch gleich den Kaffee mit herausbringen.“

Die Mutter schüttelte mit dem Kopf, that ’aber des Sohnes Willen, und eine kleine Weile später kam Katharine mit dem Verlangten, setzte das kleine Kaffeebret auf den Tisch, ging dann zu Hans, reichte ihm die Hand und sagte: „Guten Morgen, Hans; Gott sei ewig gedankt, daß Du wieder aufsitzen kannst und so gut und wohl dabei aussiehst.“

„Guten Morgen, Kathrin’,“ erwiderte Hans, ließ aber die Hand noch nicht sogleich wieder los, die sie ihm geboten, „freut’s Dich wirklich, daß ich wieder gesund bin?“

„Aber Hans, wie kannst nur so was fragen? Glaubst Du’s nicht?“

„Doch, Kathrine,“ sagte Hans, „gewiß glaub’ ich’s und gern noch obendrein.“

„Und das Lieschen wird erst eine Freud’ haben. Der Vater ist heute Morgen hinüber und bringt’s vielleicht gleich mit. Die ist gar krank geworden vor lauter Sorge, die arme Maid.“

„Meinst, Kathrine, daß sie wegen meiner krank geworden ist?“

„Aber was Du mir heut für sonderbare Fragen thust, Hans! Wegen wessen denn sonst?“

„Ja, ich weiß nicht,“ sagte Hans und schaute still und sinnend vor sich hin, er wußte aber doch, wegen wessen. Kathrine hatte indessen ihre Hand wieder frei gemacht, schenkte ihm den Kaffee ein und rückte ihm dann den kleinen Tisch zu dem Lehnstuhl, damit er die Tasse leicht erreichen konnte. Sie hätte es ihm gern noch bequemer gemacht, wenn es nur möglich gewesen wäre.

„Der Kaffee wird kalt, Hans, wenn Du nicht trinkst,“ sagte sie, „er ist ohnehin ein Bischen dünn, aber die Mutter wollte nicht, daß ich ihn Dir stark kochen sollte, weil er Dir sonst schaden könnte, wie sie meinte. Trink ihn nur wenigstens, so lang er noch heiß ist.“

Hans hörte gar nicht, was sie ihm von dem Kaffee erzählte, denn ihm gingen andere Dinge im Kopf herum.

„Heut’ in drei Wochen soll die Hochzeit sein, Kathrine,“ meinte er endlich, und sah das Mädchen fest und forschend dabei an.

„Ja, ich weiß schon,“ sagte Katharine, aber viel leiser, als sie vorher gesprochen, „das Papier ist endlich gekommen.“

„Hast Du nichts dagegen, Kathrine?“

„Ich? Aber Hans, wie Du nur heut’ bist! Was kann denn ich dagegen haben? und weshalb?“ setzte sie noch viel leiser hinzu.

„Ja, Du wärst aber doch eigentlich die Hauptperson,“ meinte Hans; „die Braut hat doch das Meiste dabei zu sagen.“

„Hans, das ist schlecht von Dir, daß Du einen solchen Scherz mit mir machst,“ sagte Katharine. Sie war leichenblaß dabei geworden und es war, als ob die blauen Augen ein paar Glasdeckel bekommen hätten, so lagen ihr zwei große schwere Thränen darin und füllten sie bis zum Rande aus.

„Und wenn’s nun kein Scherz wäre, Kathrine?“ sagte Hans und streckte die Hand nach ihr aus, wenn nun das Lieschen falsch gegen mich gewesen und der Vater heute hinübergeritten wäre, um dem Traubenwirth die Heirath aufzusagen? Wenn ich Dir nun von Herzen gut wäre, Kathrine, und gestern auch gehört hätte, was Du an meinem Bett gebetet, und keine Andere weiter auf der Welt möcht’, als Dich, und Dich von Herzen bäte, daß Du das Kind im Hause bleibe, und nur dazu noch mein Weib, mein liebes Weib werden wolltest, Kathrine?“

„Hans!“

„’s ist mein Ernst, Kathrine,“ sagte Hans treuherzig, indem er ihr nochmals die Hand entgegenstreckte. „Das Lieschen hält’s mit dem Stadtherrn. Ich hab’s selber gehört, wenn sie auch nicht wußte, daß ich dabei stand, daß sie ihn von Herzen lieb hat. Sie hat’s ihm selber gesagt und ist ihm dabei auch um den Hals gefallen. Da war’s aus mit uns Beiden, und blind und taub bin ich gewesen, daß ich nicht schon lange eingesehen habe, daß wir Zwei hier doch am besten zusammen passen. Wenn Du mich haben willst, schlag ein, Kathrine, und ich will Dir gut sein mein ganzes Leben lang.“

Und Katharine sagte gar nichts dazu, aber neben dem kranken Hans kniete sie nieder und lachte und weinte und war so glücklich, daß ihr das Herz hätte zerspringen mögen in der Brust.

Und wie der Kaffee dabei eisig kalt wurde, kam die Mutter herein und blieb vor Erstaunen auf der Schwelle stehen und schlug die Hände zusammen. Als sie aber hörte, was hier vorgefallen und wie es des Traubenwirths Tochter drüben getrieben und wie falsch sie gewesen und wie gut Hans der Katharine sei und Katharine dem Hans, da setzte sie sich mit hin und weinte und lachte, gerade wie Katharine. Und jetzt kam’s auch heraus, daß das ihr heißester Seelenwunsch gewesen und sie sich vor der Zeit eigentlich gefürchtet hätte, wo Lieschen als Schwiegertochter in das Haus gezogen wäre, eben weil sie immer so vornehm und gar nicht wie ein Bauermädchen war. Aber sie hatte trotzdem nichts sagen mögen, weil man bei solchen Dingen – worüber aber die Meinungen verschieden sind – eigentlich keinem anderen Menschen zureden müsse.

Gegen Mittag kam der Vater zurück. Drüben in Wetzlau war’s heiß hergegangen. Der Traubenwirth hatte noch von nichts gewußt, und Lieschen war vor ihm auf die Kniee gefallen und hatte ihm gestanden, daß sie den fremden Herrn liebe und daß er sie heirathen wolle. Und der Traubenwirth war außer sich gewesen und hatte seine Tochter von sich gestoßen und sie allerhand schreckliche Namen genannt, und das hatte der alle Barthold endlich nicht länger mehr mit anhören kennen und war wieder fortgeritten nach Dreiberg.

Und an dem Mittwoch über drei Wochen war wirklich Hochzeit und der katholische Pfarrer dazu aus der Stadt herausgekommen. Wie aber die beiden jungen Leute eingesegnet waren und Hans sein glückliches freudeglühendes Weibchen im Arme hielt, da meinte der alle Barthold: „Hans, erinnerst Du Dich wohl noch dran, was Du damals sagtest, als uns der Heimathschein ausblieb und Du Dich für den unglücklichsten Menschen in der Welt hieltest, weil Du das Lieschen nicht gleich Knall und Fall heirathen konntest? Ich glaube, es war: ‚ich wollte, ich wär’ todt und begraben‘ und ‚kein Mensch in der ganzen Welt hat mehr Unglück, als ich.‘ War’s nicht so?“

Hans ließ beschämt den Kopf hängen.

„Siehst Du nun,“ fuhr der Vater fort, „wie wohl und weise es der allgütige Gott da oben einrichtet, wenn wir armen Sterblichen hier unten auch manchmal nicht gleich einsehen können, wozu das oder das wohl gut sein könnte? Am Ende führt er doch immer Alles zum Besten hinaus, und wir Alle arbeiten nur in seinem Dienste und dienen nur zu seinen Werkzeugen – selbst die langsamen Behörden da drinnen in der Stadt,“ setzte er lächelnd hinzu. „Aber jetzt mag das Vergangene vergessen sein, und nun segne Euch Beide Gott und seid glücklich miteinander.“

Und Hans und Katharine waren glücklich, und die Eltern sollten nie im Leben bereuen, daß sie die kleine Waise damals an Kindesstatt angenommen und sich ein wirklich Kind daraus erzogen halten.

An dem nämlichen Abend aber, an dem Hans und Katharine mitsammen Hochzeit machten, lief des Traubenwirths Tochter mit ihrem Schatz heimlich davon, und man hat nie wieder von ihnen gehört, denn sie gingen miteinander nach Amerika. Der Traubenwirth aber überlebte die Schande nicht lange, die ihm sein Kind angethan. Er kränkelte von da an, und wie das Jahr um war, trugen sie ihn still hinaus in sein letztes Kämmerlein.



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