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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Ah, ah, Emilie,“ sagte Herr Milden vergnügt, „ich wußte, daß Dein feiner Verstand das Richtige finden würde. Ich konnte es nicht. Mein Emchen ist eine ausgezeichnete Frau! Ausgezeichnet durch ihre Schönheit, durch ihr Herz, durch ihren Verstand. Wie stolz bin ich auf Dich! Was wirst Du ihnen sagen, Emilie?“

„Ich werde es ja sehen,“ antwortete die Frau mit einem Seufzer. Aber sie seufzte leise; der Mann, der so stolz auf sie war, hörte es nicht.

Sie gingen zu dem Winkel der Veranda, in dem die blasse junge Frau allein gesessen und mit den schönen dunklen Augen so traurig durch den rothen Flieder und das bunte Geisblatt nach den Bergen jenseits des Thales und nach den Mauern und Zinnen und Thürmen der fernen Bergfestung geblickt hatte.

In dem Winkel hatte sich unterdeß Folgendes begeben. Die blasse Frau war tief erschrocken, als auf einmal ihr Blick dem ihres Mannes begegnet war. Der Mann war mit seinem finsteren, unheimlichen Gesichte zu ihr geschritten.

„Warum hast Du Dich in diesen Winkel zurückgezogen?“

„Es ist hier so heimlich still und einsam,“ erwiderte die Frau schüchtern.

„Still, einsam! Warum suchst Du immer die Einsamkeit auf?“

„Ich liebe nun einmal das laute Geräusch nicht.“

„Und warum liebst Du es nicht?“

„Ich habe es nie geliebt.“

„Ich will Dir sagen, warum Du die Einsamkeit aufsuchst, Dich vor den Menschen zurückziehst, sie fliehest. Du fühlst Dich unglücklich, Du bist unglücklich bei mir, und Du willst den Leuten zeigen, daß Du es bist.“

„Emil, warum immer diese ungerechten Vorwürfe?“

„Vorwürfe? Ja, ja, jedes Wort, das ich zu Dir spreche, ist in Deinen Augen ein Vorwurf, eine Ungerechtigkeit. Mit Allem, was ich thue, bist Du unzufrieden. Nichts kann ich Dir recht machen! Aber Du liebst mich nicht!“

„Emil, drehest Du nicht geradezu Thatsachen und Verhältnisse um?“

„Auch das noch! Ich liebe Dich also wohl nicht? Und Du liebst mich!“

Er sprach immer hart, mit finsterer Stirn, die dichten schwarzen Augenbrauen über dem drohenden Blick der Augen zusammengezogen. Die Frau hatte mit ihrer sanften, weichen Stimme nur bittend gesprochen. Nicht der leiseste Ton eines Vorwurfes war über ihre Lippen gekommen. Seine letzten Worte schienen doch in ihrem Innern das Bewußtsein der Würde der Frau geweckt zu haben.

„Emil,“ sagte sie mit ruhiger und sicherer Stimme, „zeigen die immerwährenden Vorwürfe, die Du nur für mich hast, eine Liebe Deines Herzens zu mir? Und habe ich Dir je ein anderes Gefühl gezeigt, als das der treuesten und hingebendsten Zuneigung der Gattin?“

„Ha, da warst Du aufrichtig!“ fuhr der finstere Mann auf. „Das Wort Liebe, Deiner Liebe, wagtest Du nicht auszusprechen. Zuneigung! Zuneigung –“ Er war laut geworden.

„Laß uns das Gespräch abbrechen,“ bat ihn die Frau. „Man sieht auf uns.“

Der Mann bemerkte es. Er zog die Brauen tiefer über die zornigen Augen. Noch ein paar Worte mußte er leise sprechen: „Ja, man sieht auf uns! Du wirst mich zum Gespötte der Menschen machen. In meiner Stellung!“

Die Frau antwortete nicht. Sie wandte das blasse Gesicht zur Seite, damit die Menschen in der Veranda es nicht mehr beobachten sollten, nach den Blüthen des Flieders, des Geisblattes. Auch der Mann schwieg. Auch er sah durch das Geländer der Veranda. Aber nicht zu den bunten Blumen; sein finsterer, unruhiger Blick mußte weiter schweifen, in das Thal zu den Füßen des Hügels, über den Strom, der es durchschnitt, auf die Berge jenseits, in die Ferne. Plötzlich zuckte er heftig auf. „Ha!“ rief er. Seine Augen starrten nach einem Punkte, hinten links in die Ferne hinein, nach dem Felsenvorsprung des Gebirges, nach den Mauern und Zinnen und Thürmen der Festung darauf. Eine dunkle Röthe zog sich durch sein fahles Gesicht; dann war es von tiefer Blässe bedeckt. Er sah sich um nach der Gesellschaft in der Veranda, ob er beobachtet werde. Er sah die Blicke nicht mehr auf sich gerichtet, wandte sich zu der Frau und sprach mit gedämpfter, bebender Stimme:

„Ha, darum hattest Du diesen heimlich stillen und einsamen Platz ausgesucht! Dorthin, dorthin konnten in diesem verborgener Winkel Deine Augen unbeachtet und ungestört Deine Gedanken und Dein Herz tragen, und dorthin auch Deine Liebe, die Liebe, die Du dem Gatten entziehst, für den Du nur kalte, ergebene Zuneigung hast. Zuneigung noch? Bin ich Dir nicht sein Mörder? Ja, ja, ich bin es. Denn er ist ein Todter! Und er wird es bleiben, für Dich, für alle Welt. Deine Wünsche, Deine Thränen, Deine Gebete, sie werden ihn nicht wieder unter die Lebenden bringen; nie! Harre nicht vergebens darauf. Er bleibt dort in seinem Grabe. Auch die Pforten dieses Grabes werden sich nicht öffnen; er wird sie nicht sprengen. Ich schwöre es Dir. Und nun fort von hier! Woran hatte ich gedacht, als ich mich hierher verlocken ließ? Ich Thor! Fort! Keinen Augenblick länger hier! – Doch, noch drei Minuten, damit ich, damit Du Dich sammeln kannst, damit wir, damit ich nicht doch noch zum Gespött der Welt werde. Ich wäre verloren. Uns kennt zwar Niemand hier. Aber man würde nach uns fragen, man würde meinen Namen erfahren –“

Er schwieg und starrte in stiller Wuth vor sich hin. Die Frau hatte sich nicht erst sammeln müssen. Sie hatte mit dem Bewußtsein ihres reinen Herzens, mit der Größe ihrer edlen Seele ruhig die Vorwürfe des finsteren, leidenschaftlichen, wild leidenschaftlichen Mannes anhören können. Aber erwidern mußte sie ihm etwas darauf, und wenn es auch mehr war, als sie gern sprach. Eben ihr reines Herz, ihre edle Seele forderten es.

„Emil,“ sagte sie eben so würdig, wie sie ruhig war, „Niemand hat Dich hierher gelockt, am allerwenigsten ich. Du kannst die Veranlassung und den Zweck unserer Reise nicht vergessen haben Ich kränkelte schon seit längerer Zeit, Du bedurftest des Ausruhens von mühvoller und angreifender Arbeit. So sollte die Zerstreuung einer kleinen Erholungsreise in das schöne Gebirge uns Beiden zu Gute kommen. Du schlugst die Reise vor; ich war Dir dankbar dafür, was meinen Theil anging. Ich dachte auch, das Herausreißen aus Deinen Arbeiten, der Verkehr mit anderen Menschen, das Einathmen der frischen Luft, die Schönheiten der Natur, das Alles würde Dich frischer und heiterer stimmen und freundlicher und liebevoller gegen mich. So reisten wir und kamen hierher, ohne mein Zuthun. Ich folgte lediglich Dir. Ob Du zu dem Punkte, auf dem wir uns gerade in diesem Augenblicke befinden, jener Familie, mit der wir gestern zusammentrafen, und der auch ich mich gern anschloß, gefolgt bist, das weiß ich nicht. Ich habe mich nicht darum gekümmert. Ich folgte nur Dir. Damit wäre die eine falsche Beschuldigung abgemacht, die Du auf mich werfen wolltest. Was dann den Vorwurf betrifft, daß ich einen Mörder in Dir sähe, so ist davon kein Gedanke in meine Seele und kein Wort über meine Lippen gekommen. Es konnte auch nicht anders sein. Ich habe kein Urtheil über das, was Du zu thun oder nicht zu thun hast; Deine Pflicht und Dein Gewissen sind darüber Deine einzigen Richter. Wenn Du mir endlich vorwirfst, daß ich den Wunsch hätte, jenes Grab möge sich öffnen, – ja, Emil, den Wunsch habe ich; ich habe ihn als Christin, ich habe ihn in meinem Herzen, das Mitleid mit jedem leidenden Menschen fühlt, ich habe ihn selbst für Dich, denn das meine ich, daß Deine Pflicht, sei sie eine noch so streng gebotene, Dir eine schwere, drückendn sein müsse. – Und nun bin ich bereit, mit Dir zu gehen. Dir zu folgen, wohin Du auch jetzt wieder mich führen wirst. Gehen wir, Du siehst, ich bin vollkommen ruhig.“

Sie war es, aber sie gingen dennoch nicht. Der finstere Mann war desto unruhiger geworden. Ihre Worte, ihre Ruhe, ihre Würde hatten die Gluth in seinem Innern doppelt angefacht. Er war in großer Aufregung, und mußte alle seine Kraft aufbieten, um sie vor den Anwesenden zu verbergen. Er hätte sich nicht erheben können, ohne sie durch jede seiner Mienen zu verrathen. Er konnte sie dennoch nicht ganz verbergen. Er warf tödtlich feindliche Blicke auf seine Frau; die tödtlichen Blicke flogen in der Veranda umher, ob man sie beobachte, ob man sie sehe.

Einen dieser Blicke hatte Herr Milden bemerkt. Der gutmüthige kleine dicke Herr hatte sich heftig erschreckt. Er hatte seine Frau nach dem Winkel, zu den beiden unglücklichen Ehegatten gezogen und kam mit ihr bei diesen an.

„Ah, ah!“ begann Herr Milden.

Er hatte nicht gewußt, was er den Beiden sagen solle. Seine Frau hatte ihn deshalb begleiten müssen, damit sie spreche. Er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_355.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)