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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

sie dem Holztransporte durch die fürstlich Schwarzenberg’schen Schwemmcanäle und die Floß- und Schwemmbarmachung der Moldau und ihrer Nebenflüsse Hauptadern eröffneten.

Die kühne Idee, die Moldau mit der Donau durch einen Canal zu verbinden, stammt schon aus einer Zeit, wo es noch nicht so viele Heizmittel gab, wie jetzt, und wo dem Weitersehenden die ungeheure Bedeutung des Böhmerwaldes als Holzproducenten aufgehen mußte. Diese sieben Meilen lange künstliche Wasserstraße für die Holzschwemme ist aber um so merkwürdiger, als sie zum ersten Tunnelbaue führte, den Böhmen besaß, viele Jahrzehnte vor den kleinen Tunnelbauten der das Land nun durchziehenden Schienenwege errichtet. Der durch den Fels getriebene Tunnel ist acht Schuh breit und acht Schuh hoch, ihn durchfurcht eine mächtige Wasserriefe. Ein Forstingenieur, Namens Rosenauer, hat diesen Bau bewerkstelligt und damit im Jahre 1789 begonnen. Bereits als Jägerbursche hatte er den kühnen Plan erfaßt und später dem Fürsten Schwarzenberg vorgelegt, welcher die Mittel zur Ausführung bewilligte. Wien wird schon jahrelang mit dem Scheitholze des Böhmerwaldes beschickt. Auf dem Schwarzenberg’schen Canale allein werden jährlich einige 20.000 Klaftern verflößt. Welche Ausbeute aber manche Besitzungen ihren Eigenthümern gewähren, zeigt, daß blos die jetzige Herrschaft Krumau jährlich gegen 75.000 Klaftern Holz in den Handel liefert.

Kein geringeres Verdienst für die Verwerthung des Böhmerwaldes in die fernsten Gegenden hat einer von Böhmens bedeutendsten Industriellen, Adalbert Lanna, der „Moldaukönig“, wie die Menge den bescheidenen Mann nennt. Schon als Knabe trieb er auf einem Flosse von Budweis nach Hamburg. Das Project der Schiffbarmachung der untern Moldau ließ den jungen Mann nicht ruhen, der, obgleich schon wohlhabend, wie der letzte Diener seines Vaters, eines Schiffmeisters in Budweis, das Ruder in seine kräftige Hand nahm und dessen kühner Geist die Fahrbarmachung der Moldau sich zur Lebensaufgabe stellte. Seine Energie bewirkte in einem geringen Zeitraum, daß die Moldau schon in ihren ersten Anfängen sogar an Stellen flößbar gemacht worden war, welche dieser Absicht durch ihre Klemmen und Klippen die unübersteiglichsten Hemmnisse in den Weg warfen. Nun das Böhmerwaldholz in den Holzhöfen von Prag und weiter hinab in denen an der Elbe zu jeder Stunde berghoch aufgeschichtet steht, blickt man nach dem überwundenen Werke der Flößung wie nach einem Kinderspiele zurück.

Im Böhmerwalde selbst aber haben sich mit der Zeit einige Holz-Industrien herausgebildet, welche zum Theil überall da emporblühen, wo große Waldgebiete eigenthümliche Lebensweise und Beschäftigung bedingen, zum Theil aber auch in der besonderen Beschaffenheit mancher erzeugten Holzsorten ihren Ursprung haben. Ein mit den Bäumen im Böhmerwalde gewachsenes Gewerbe ist die Holzschnitzerei. Sie beschickt die Märkte mit dem gewöhnlichsten Hausbedürfniß, wie mit der zierlichsten Luxusarbeit. Jedes Zündhölzchen, das in Westböhmen weitum seine Dienste leistet, ist aus dem Holze des Böhmerwaldes geschnitten. Siebreife, Stoß- und Falzschindeln, Holzschuhe, Pantoffeln, dann allerhand Küchengeräthe (unter dem Sammelnamen „Waldwaare“ begriffen) werden ebenso hier erzeugt, wie die reichornamentirten Spiegelrahmen, die wir in den Schlössern der Schwarzenberg’s und Bouguri’s gewahren und die ohne Weiteres in das Fach der Kunst eingereiht werden können.

Auf eine noch ganz andere und zwar auf die kostbarste Weise verwerthet man aber seit vielen Jahren, zum Theil in bedeutenden Etablissements, wie das von Strunz in Außergefield und das der Bienerts in den Maderhäusern und in Tusset, das feinste Holz, indem man es zu Instrumentholz, für Resonanzböden und Streichinstrumente verarbeitet. Das Resonanzbodenholz wird aus den am regelmäßigsten gewachsenen Stämmen gewonnen. Die Bäume müssen langsam gewachsen sein, damit die Elasticität der Fasern überall gleich groß ist. Man hat auf einem Stamme, dessen Durchmesser nur 17 Zoll war, 375 Jahresringe gezählt. Die Lagen sind dann nicht stärker als feines Papier. Oft findet sich das schönste Resonanzholz in gestürzten und von der Oberfläche herein bereits vermoderten Stämmen, sogenannten Rannen oder Rohnen, die wohl hundert Jahre schon am Boden liegen. Wenn auch die Oberfläche schon ganz mürbe und zerfallen ist, so daß starke Bäume von 70–80 Jahren darauf gewachsen sind, das Innere ist noch ganz gesund und dann wunderschön weiß und dicht.

Die jüngsten Jahre haben den Holztransport auf eine weitaus andere Basis gestellt. Durch eine Reihe von Jahren ging das Holz zwar schon an den Rhein und nach den Niederlanden – nach manchen beschwerlichen Unterbrechungen durch die Achse – auf der Wasserstraße. Die böhmische Westbahn und die mit ihr fast gleichzeitig in’s Leben getretene Strecke der baierischen Ostbahn von Schwandorf nach Fürth aber haben dem Böhmerwaldsholze andere raschere Straßen, andere Stapelplätze eröffnet und hierdurch einen bedeutenden Umschwung des Holzgeschäftes herbeigeführt. Mit dem gesteigerten Absatz und dem raschen Transport ist die Gewinnung des Holzes plötzlich eine andere geworden. Unglaublich rasch hat sich auch die Dampfbretsäge in den waldeinsamen Gebirgen eingestellt.

Früher wurden die schönsten Fichten des Hochwaldes bei Bischofteinitz zu Kohlenmeilern geschichtet und zur Holzkohle umgewandelt. Diese letztere wanderte wieder nach den Eisenwerken der benachbarten Oberpfalz. Jetzt erhebt die stattliche Friedrichs-Dampfsäge ihre Rauchsäule hoch in die Luft und verscheucht mit ihrem Gepuste die niedrigen Geister einer jämmerlichen localen Industrie. Unzählige prachtvolle Stämme gingen ehedem als ein durch Surrogate kaum zu ersetzender Brennstoff lediglich in die vielen Spiegelglashütten, die als Colonien längs des Böhmerwaldes verbreitet liegen, und wenn auch seit zwanzig Jahren im Böhmerwalde bereits Floßbreter geschnitten werden, so mußten sie doch einen weit beschwerlicheren Weg auf der Achse bis an die Ufer des Main zurücklegen. Alle jene altgewohnte Verwerthung des Holzes ist nun untergeordnet gegen die Consumtion nach den fernsten Ländern in der Ausdehnung, wie sie eben jetzt Platz greift.

Ein interessantes nationalökonomisches Moment ist die durch den gesteigerten Absatz herbeigeführte Umwandlung der Holzpreise. Noch vor zehn Jahren standen diese so niedrig, daß mancher schöne Forst in seinem Erträgniß nicht viel Höheres bot, als was Grundsteuer und Waldwirthschaft wieder verschlangen. Nun haben sich die Preise auf das Fünffache gesteigert, und der Arbeitslohn ging um das Doppelte in die Höhe. Der arme Gebirgsbauer, der sonst freudig lächelte, wenn man ihm im Winter mit seinem Ochsengespann im Tage einen Gulden zu verdienen gab, schüttelt jetzt bedenklich oder gar verdrießlich den Kopf, wenn er nicht mit demselben Gespann mindestens drei Gulden erwirbt. Diese Umwandlung bereiteten zum größten Theile jene Bretsägen, denen man in neuester Zeit die Flügel des Dampfes aufgesetzt. Die dies zuerst mit Glück unternahmen, sind die Gebrüder Kröber aus der Rheinpfalz. Sie übernahmen die erste Dampfbretsäge, von einem Großbesitzer 1859 errichtet, und bauten eine neue, die erwähnte Friedrichsdampfsäge in Hochwald. Solche Colonien zu gründen, ist übrigens auch im Böhmerwalde nicht allzuleicht. Die Baulichkeiten, insbesondere die Arbeiten des Maurers, waren in der Waldeinsamkeit theuer und schwer zu erzielen. Unsere Colonisten überwanden indeß manche Schwierigkeit rasch und fast spielend. Der Wald wurde schnell umgelegt, der Bauplatz geräumt, und schnell wuchsen die Gebäulichkeiten in die Höhe. Maschinen von dreißig Pferdekraft setzen mittelst Transmission und Riemen vier Gattern zu je sechs Sägen und nebstdem zwei Kreissägen in unaufhörliche Bewegung, welche durchschnittlich des Tags 800–1000 Wiener Kubikfuß Holz zu Bretern schneiden. Die Sägespäne und Rinden, durch die Sägen zerrieben, müssen ihren Quälern bald dienstbar werden, indem man sie als Heizmaterial für die Dampfkessel wieder verwendet. Was früher das Verfolgte, wird nun, obgleich scheinbar noch dienstbar, das Verfolgende. Was ist also aus den geheimnißvollen Stellen dieser heiligen Wildniß geworden? – Scheu wirft der Edelhirsch seine verwunderten Blicke auf das neue, geräuschvolle Werk, mit welchem sich der Mensch in sein unbestrittenes Revier gedrängt, und ihr mächtighohen Baumgreise, zittert vor eurem baldigen Untergang! Sonst kämpftet ihr auf verlassener Höhe mit den Elementargewalten, jetzt mit den Elementen der erwachten Industrie. Wenn ihr eure 150 Jahre einmal auf dem Rücken habt und euer Nacken von der Last des Schnees so vieler Winter gebeugt ist, verfallt ihr nun erst unbarmherzig dem Wuthschnauben des Dampfes und dem knirschenden Zahne der Säge.

So ist das alte „tempora mutantur et nos mutamur in illis“ auch auf die Baumpatriarchen des Böhmerwalds anwendbar, von denen wir uns mit diesem Epitaphium für jetzt verabschieden wollen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_359.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)