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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Chevalier Timothée d’Eon de Beaumont,
Doctor beider Rechte, französischer Dragoner-Capitain und Adjutant des Marschalls Herzog von Broglie etc. etc. etc.[1]

aber vollständig, als eines Abends der Chevalier in die Loge des Opernhauses in Weiberkleidung trat. Die Sensation war ungeheuer. Man denke sich: ein Diplomat, Soldat, Duellant, Gelehrter, Lebemann, Raucher, Spieler - plötzlich als Dame vor das scandalsüchtige Publicum tretend! Ueber 30 Jahre hatte also die Täuschung gedauert.

Tags darauf empfing die Chevalière zwei Heirathsanträge von hohen, für die Irrenanstalt reifen Lords.

Der Befehl, Weiberkleider zu tragen, war dem Chevalier vom französischen Hofe aus zugegangen. Aus welchem Grunde? weshalb nahm d’Eon diesen Befehl willig und gehorsam hin? Die Meinung Derjenigen, welche ihn nicht für ein Frauenzimmer, sondern für einen verkappten Mann hielten, war: „daß man dem Chevalier die Tracht eines Geschlechtes anbefohlen, dem man Alles verzeiht, weil man ein Duell mit Guerchy oder dessen Sohn gefürchtet habe.“ Sollte aber dafür die Regierung nicht weniger auffallende Mittel gewußt haben? Würde der leidenschaftliche d’Eon so ohne Weiteres auf die scandalöse Vermummung eingegangen sein, nur um ein Duell zu verhindern? Weshalb fügte er sich willig und nährte sogar die Zweifel? Die Verleumdung und ihr Organ, die Chronique scandaleuse, säumten denn auch nicht, recht bald einen triftigen Grund für die Verwandlung des Chevaliers herauszufinden.

„Sie wissen jetzt noch nicht,“ fragte Einer den Andern, „weshalb d’Eon Weiberkleider tragen muß?“

„Nein! Woher denn Ihre Kenntniß in der Sache?“

„Bah! Oeffentliches Geheimniß. Die Gattin Georg’s III., Sophie Charlotte, hat die zärtlichste Neigung für den Chevalier gefühlt. Der König überraschte eines Tages ein Rendez-vous, und der Leibarzt der Königin, um deren Ehre zu retten, gab vor, d’Eon sei ein Frauenzimmer. Georg III. erkundigte sich bei Ludwig XV., worauf dieser, um die Schmach seines königlichen Freundes zu verbergen, sofort die Aussage des Arztes bestätigte; damit aber der Ausspruch Ludwig’s volles Gewicht habe, mußte der Chevalier fortan Weiberkleider anziehen.“

Die Ungereimtheit dieser Behauptungen liegt auf der Hand. Ludwig XV. als Ehrenretter des englischen Hofes –! Uebrigens war die Tugend Sophie Charlotte’s stets über jeden Zweifel erhaben.

Die politischen Begebenheiten ließen den Chevalier d’Eon bald

  1. Unserer Abbildung liegt ein von Ducreux gemaltes und von Cathelin gestochenes, jetzt äußerst seltenes Portrait zu Grunde.
    D. Red. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_365.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)