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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Auch für ihn nicht, Ida; aber für meinen braven Onkel. Er war der reichste junge Mann in der reichen Handelsstadt; er hatte von der Liebe Deiner Tante und des jungen armen Baron Eckardsberg gehört, und wie sie freiwillig sich getrennt hatten, und der junge Mann in fremde, ferne Kriegsdienste gegangen war, Deine Tante aber Unterricht gab, um sich und ihrer alten, kranken Mutter das Leben zu fristen. Da drängte es ihn, sie kennen zu lernen. Er suchte sie auf, lernte sie schätzen, hochachten, lieben. Er bot ihr seine Hand an und verlangte keine Liebe von ihr; er sagte es ihr, wie er wisse, daß ihr Herz einem Anderen gehöre. Sie wurden Eheleute und sind die liebevollsten Gatten geblieben bis auf den heutigen Tag. Mein Onkel ist zugleich in dem Besitze seiner Gattin der glücklichste Mann von der Welt, und Deine Tante hat die glücklichste, hat die wahre Ruhe des Herzens gefunden. Und dabei darf ich nicht verschweigen, wie sehr mein Onkel, was Verstand und Bildung betrifft, unter Deiner Tante steht; als er sich um ihre Hand bewarb, verstand er nicht viel mehr, als seine kaufmännische Correspondenz und die doppelte Buchhaltung. Er wußte es auch, wie sehr er unter ihr stand, und er ordnete sich ihr gern unter. Aber freilich, da muß ich doch für Deine Tante sprechen, nie hat sie sich über ihn gestellt.“

„Das ist brav von Dir, Gustav, daß Du das von der Tante anerkennst, obwohl darin auch wohl eine gute und gar biblische Lehre für mich liegen soll. Da muß ich denn auch noch ein paar Worte zum Lobe Deines braven Onkels hinzufügen. Er kennt jenes Verhältniß der Tante zu dem Domherrn. Hast Du in diesen drei Tagen nur den leisesten Schatten von Eifersucht an ihm bemerkt? Hast Du, seitdem der Domherr bei uns ist – er selbst lud ihn ein, mit uns zu reisen – nur die geringste Veränderung in seinem Benehmen wahrgenommen? in seiner guten Laune, in seiner Unbefangenheit, in seiner Freundlichkeit, in seiner Liebe und Zärtlichkeit gegen die Tante?“

„Hm, Ida, wenn das ein Stich gegen mich sein soll, so bitte ich Dich, doch auch zu gestehen, daß Deine Tante ihm auch nicht den leisesten Anlaß zur Eifersucht gegeben hat. Hast Du an ihr irgend eine Veränderung in diesen drei Tagen wahrgenommen? Selbst in dem Augenblicke, als sie plötzlich, unerwartet, ohne jegliche Ahnung, den Domherrn wiedersah? Ich vergesse das nie. Wir standen oben auf der Kuppe des Berges und bewunderten die wundervolle Aussicht. Ein einzelner Herr kam herauf, stellte sich neben uns, war ebenfalls in die herrliche Aussicht verloren, hatte auf uns nicht geachtet, wie wir nicht auf ihn geachtet hatten. Auf einmal wendet die Tante sich um, sieht den Fremden; er sieht sie, und sie erkennen sich. Seit den achtzehn Jahren hatten sie nichts von einander gehört; sie hatten sich wohl Tausende von Meilen von einander entfernt geglaubt. Da standen sie auf einmal beisammen, kaum drei Schritt von einander entfernt, mit aller ihrer alten, treuen Liebe in den Herzen, und sie sahen, daß die Herzen sich treu geblieben waren. Seine Brust trug das geistliche Domherrenkreuz, und neben der Tante stand – hm, mein kleiner, dicker Onkel. Und kein Schreck zog durch ihre Gesichter, und kein Unglück drückte sich darin aus. Ein Schmerz mochte wohl darin aufzucken; aber ehe man ihn sah, waren sie seiner schon wieder Herr geworden. Sie konnten sich die Hände reichen, ernst zwar, aber frei, ruhig, klar. Und dann konnte die Tante stolz, ja mit dem edelsten Stolze ihres edlen Herzens, ihn zu ihrem Manne führen, und den schönen Mann, der neben dem geistlichen Kreuze auch die anderen Orden, die Zeugen seiner Tapferkeit als Soldat, trug, und den braven kleinen dicken Onkel mit einander bekannt machen. Und wie schön, wie erhaben, wie unendlich schön war sie dabei!“

Der junge Mann hatte mit Feuer gesprochen, das Mädchen ihm mit Thränen in den Augen zugehört.

„Gustav,“ rief sie, „ich möchte Dich küssen vor allen den Leuten. Es schickt sich nur nicht. Aber alle Deine Eifersucht will ich Dir verzeihen, vergangene und zukünftige, und damit ich es schon gleich für die Zukunft kann – es giebt ja nichts Edleres, als Verzeihen – ah, sich Dich einmal um, Gustav.“

Das Brautpaar stand am Ende der Veranda, dort, wo man aus dieser hinausgehen mußte, um zu dem Leiterwagen zu kommen, der unterhalb hielt. Sie standen dort zwischen den Zweigen der gelben Akazien und der rothen und weißen Fliederbäume. Die Zweige verbargen sie halb vor der Gesellschaft in der Veranda, gestatteten ihnen aber einen vollen Blick auf diese.

„Sieh Dich um, Gustav, sieh dort!“ versetzte die Braut.

Der junge Mann sah hin, wohin sie zeigte.

„Der Student mit seiner rothen Mütze, Ida.“

„Ja, und die Mütze ist so schön.“

„Und was soll das?“

„Und er blickt so sehnsüchtig nach uns, und so zärtlich nach mir.“

„Ida!“

„Und es ist so süß, zu verzeihen. – Gustav!“

„Was willst Du, Ida?“

„Er muß mit. Du darfst mir nicht böse werden. Oder vielmehr, Du sollst mir böse werden, damit ich Dir verzeihen kann.“

„Aber, Ida!“

„Nicht wahr, Du thust mir den Gefallen? Ich bitte den Onkel. Platz im Wagen ist noch da. Und der Onkel braucht dann auch nicht bei dem Kutscher zu sitzen. Denn er ist galant und so gar nicht eifersüchtig, und er würde die Tante und den Domherrn beisammen sitzen lassen. Und wir könnten uns dann Alle so herrlich, so reizend arrangiren. Der finstere Herr und seine arme Frau blieben beisammen, das geht nun einmal nicht anders. Die zweite Bank nähmen die Tante und der Domherr ein, die dritte Du und der Onkel, und die vierte –“

Da fuhr der junge Mann doch auf; wie erstarrt hatte er schon lange gestanden.

„Und auf der vierten willst Du wohl mit dem Studenten sitzen?“

„Ja, Gustav, auf der vierten und letzten. Ihr Andern sitzt Alle vor uns.“

Der junge Mann machte Miene, sich die Haare auszureißen.

Das Mädchen wurde ernsthaft, es wurde sehr ernst.

„Gustav, Du sprachst vor einigen Minuten mit so innigem Gefühle, mit so voller Ueberzeugung von dem edlen Herzen meiner Tante, von dem braven Gemüthe, von dem hochherzigen Vertrauen Deines Onkels. Willst Du so viel, so weit weniger sein, als Dein Onkel? Willst Du mich so sehr tief unter meine Tante stellen, mich für geradezu schlecht halten?“

„Ida –“ wollte der junge Mann sie unterbrechen.

„Laß mich ausreden, Gustav! Du hast seit zwei Tagen jenes unglückliche Paar vor Augen, so tief unglücklich durch die eben so unbändige, wie unbegründete Eifersucht des Mannes. Willst Du werden, wie er? sollen wir werden, wie sie? Die Leidenschaft fängt klein an, sie wächst bis zu jener Unbändigkeit. Willst Du Dich und mich so vernichten, wie jener Mann, in dem der Onkel nur einen Mörder erblicken, den Niemand ohne Entsetzen sehen kann? Willst Du? Sprich, Gustav. Jetzt kannst Du es. Aber sieh mich dabei an; sieh mir klar in die Augen.“

Der junge Mann konnte dem Mädchen nicht nur nicht klar, er konnte ihm gar nicht in die Augen sehen. Er sah zur Erde nieder und mußte erwidern: „Deine Tante giebt auch dem Onkel keine Veranlassung zur Eifersucht.“

„Auch jene arme blasse Frau ihrem Manne nicht!“ rief das Mädchen.

„Auch sie nicht.“

„Aber ich? ich Dir?“ rief sie mit flammenden Augen, mit geröthetem Gesicht.

Der junge Mann antwortete nicht.

„Ich Dir?“ rief sie noch einmal.

Der junge Mann mußte zu ihr aufblicken. Er sah die gerötheten Wangen. Er mußte höher blicken, endlich in ihre Augen; er sah sie flammen; er sah aber auch, wie treu sie waren.

„Kannst Du mir vergeben, Ida?“ sagte er.

Er hielt ihr seine Hand hin. Sie nahm sie nicht.

„Gab ich Dir Veranlassung zur Eifersucht?“

„Nein, Ida.“

Sie nahm seine Hand.

„Das Wort gab Dir Gott.“ Dann sagte sie: „Komm, laß uns hinter den Wagen gehen, daß mich die Leute nicht sehen.“

Sie gingen hinter den Leiterwagen. Dort stürzten die hellen Thränen aus den Augen.

„Ida, Ida!“ rief der junge Mann erschrocken.

Sie mußte sich ausweinen.

„Und auch ich habe Dich um Verzeihung zu bitten, Gustav,“ sagte sie unter dem Weinen. „Ich sah Deine Anlage zur Eifersucht. Ich wollte Dich heilen, durch Scherz. Es war nicht recht von mir.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_370.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)