Seite:Die Gartenlaube (1864) 383.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Samariter noch unter dem Feuer der Dänen und bergen Freund und Feind mit gleicher Aufopferung.

Furchtbar sind die Verluste des Feindes: 119 Geschütze, viele Danebrogs, Munition und Kriegsgeräthe wurden erbeutet, 106 Officiere und 5400 Mann wurden theils gefangen, theils getödtet, darunter General du Plat, die Obersten Lasson und Bernstorff, Oberstlieutenants Dreyer, Falkenskjold, Tersling, Scholten, die Majore Heyn, Schack, Sperling, Schau und Rosen. Aber auch die Verluste der Preußen sind bedeutend: 16 Officiere und über fünfhundert Soldaten theils todt, theils verwundet, unter den ersteren der General von Raven, Major von Beer und viele andere tüchtige Officiere.

Ein wahres Bild der Verwüstung boten die eroberten Schanzen dar. Die preußische Artillerie hatte fürchterlich vorgearbeitet: die Blockhäuser aus vierzölligen Balken waren völlig zertrümmert, und nur noch Holzstumpfe, Breter und Erdhaufen bezeichneten ihre Stelle. Die Böschungen waren zerrissen und die Scharten demontirt. Das Bild der gräßlichsten Verheerung aber bot die Schanze Nr. 2, von der wir unsern Lesern eine noch am Nachmittage des Sturmes aufgenommene in allen Einzelheiten getreue Skizze bieten. Es war dies bekanntlich eine der stärksten Schanzen dieser festen Dänenstellung, die nun wie die andern, hoffentlich für immer, in Trümmern liegt. Nur das gemauerte Pulvermagazin darin ist noch erhalten; in demselben hatte der tapfere Ancker seine Wohnung aufgeschlagen, und über seinem Tisch hing das Bild seiner jungen und schönen Frau, unter dem Tisch und rings im engen Raume verstreut aber lagen vertraulich neben offenen Pulvertonnen – ausgebrannte Cigarrenenden.

Wir haben es an anderer Stelle (Gartenl. Nr. 19) schon ausgesprochen: der Tag von Düppel bleibt ein unverlöschliches Ruhmesblatt in der Geschichte Preußens und Deutschlands; wir wagen jetzt auch zu hoffen, daß er die ersehnten Früchte tragen, daß die Tausende und Abertausende von Opfern, die ihm fallen mußten, der gerechten Sache, der Freiheit und dem Vaterlande, nicht einem volksfeindlichen Systeme und exklusiven Militär- und Junkertendenzen, zu Gute kommen werden.

Ja, wir hoffen es und wollen unsere Darstellung mit Erzählung einer und der andern Einzelscene schließen, die wir aus der Fülle von Thaten persönlichen Heldenmuths und begeisterter Opferfreudigkeit, welche die heißen Kampfstunden des 18. April gebaren, in bunter Reihe herausgreifen.

Schanze 6 leistete trotz ihrer Größe den schwächsten Widerstand und wurde im ersten Anlauf genommen, trotzdem die Sturmcolonnen bis zu ihr den weitesten Weg zu durchlaufen hatten. Lieutenant Nübler und Unterofficier Müller der 4. Artillerie-Brigade waren die Ersten auf der Brustwehr. Sie stürzten sich so plötzlich auf das im ausspringenden Winkel aufgestellte Geschütz, daß die feindlichen Kanoniere vertrieben wurden, ehe sie noch zum Schuß kamen. Eben so schnell wurde das Geschütz herumgedreht und schleuderte nun den bereits eingesetzten Kartätschschuß vernichtend in die Reihen der fliehenden Dänen.

Der Hauptmann Cranach vom 13. Infanterie-Regiment (Westphalen) warf sich an der Spitze seiner Truppen auf einen Theil des Brückenkopfes unter dem mörderischen Feuer des Feindes. In dem Augenblicke, als der tapfere Officier seinen Truppen zurief: „Kinder, hier sind wir die Ersten!“ trafen ihn zwei tödtliche Kugeln – aber über seine Leiche hinweg stürmte seine Compagnie den Brückenkopf.

Schanze 2 wurde, wie die Leser wissen, von dem rühmlich bekannten Premier-Lieutenant Ancker energisch vertheidigt. Als die 35er sie nach blutigen Verlusten mit dem Bajonnete nahmen, waren in ihr außer dem Commandeur nur noch 20 Mann am Leben. Diese erhielten, nachdem sie sich mit tiefem Grimme ergeben hatten, den Befehl, nach der dritten Parallele als Gefangene zurückzugehen. Im nämlichen Augenblicke aber bekamen sie von rückwärts her Unterstützung, und der Kampf entbrannte von Neuem um die Schanze, doch behaupteten die Preußen das Feld und nahmen nun, statt zwanzig, fünfzig Mann gefangen. Obgleich nun mit diesem Verfahren Premier-Lieutenant Ancker wider die üblichen Kriegsgebräuche verstieß, so ehrte man in ihm doch den tapfern Feind, und es wurde ihm wegen seiner Bravour der Degen gelassen. Als Ancker aber bat, noch einmal nach der Pulverkammer gehen zu dürfen, wo er etwas vergessen haben wollte, hielt ihm der preußische Officier den Degen vor und erwiderte: „Keinen Schritt, Herr Camerad, oder Sie sind des Todes!“ Grimmig erwiderte Ancker: „Nun, dann bezeugen Sie mir wenigstens, daß es meine Absicht war, mich mit der Schanze in die Luft zu sprengen!“ und verließ das Werk. In demselben Momente bemerkte einer der den Sturmcolonnen zugetheilten Artilleristen einen dänischen Soldaten, der hurtig der Pulverkammer zulief. Mit möglichster Geschwindigkeit eilt ihm der Kanonier nach und sieht, wie der Däne im Begriff steht mit Stein und Stahl Feuer anzuschlagen, um eine Lunte zu entzünden, welche er in der Hand hält. Trotz des warnenden Zurufs fährt der Däne in seiner Verrichtung fort, so daß das Faschinenmesser des Preußen ihn unschädlich machen mußte. Ueberhaupt verdient die Tapferkeit der dänischen Kanoniere das größte Lob. Als die Preußen die Schanzen stürmten, mußten sie erst alle noch nicht kampfunfähigen Geschützbedienungen niederstrecken, ehe sie sich der Werke bemächtigen konnten, denn bis auf den letzten Mann vertheidigten sich die Kanoniere, und unter den Gefangenen befanden sich fast gar keine Artilleristen.

Zwischen den Schanzen und dem Brückenkopfe, wo die dänischen Reserven in den Kampf eingriffen, war dieser besonders mörderisch, namentlich da die stürmenden Preußen fast nur mit dem Bajonnet kämpften und durch die Perfidie der Dänen zur größten Erbitterung getrieben waren. Diese gaben nämlich auf fünf Schritte noch eine Salve, warfen dann ihre Gewehre fort, fielen auf die Kniee und riefen ihr „Pardun!“ Nahe an 400 Dänen liegen daher in einer einzigen Grube neben der Sonderburger Chaussee bestattet.

Nach entsetzlichem Blutbad ist Schanze Nr. 4 genommen. Im Nu haben die Artilleristen die Geschütze umgekehrt und eröffnen ein mörderisches Feuer gegen die Abziehenden. Da bemerkt der Premier-Lieutenant Stöphasius einen dänischen Unterofficier, der sich um einen Querwall herumschleicht und dort verschwindet. Nichts Gutes ahnend ruft er einen Pionier-Unterofficier zu sich heran und setzt mit diesem kurz entschlossen dem Dänen nach. Er findet ihn dicht vor der Pulverkammer, im Begriff sich in dieselbe zu begeben – ein brennendes Licht und ein Stück Lunte sind auf einem Tische bereit gelegt, vierundzwanzig offene Pulverfässer stehen daneben – schon greift der Däne nach der Lunte, da stürzt Stöphasius auf ihn los, reißt ihm die Lunte aus der Hand und verlöscht das Licht – in demselben Augenblicke, als die Kugel aus dem Carabiner des Pionier-Unterofficiers dem Dänen das Hirn zerschmettert. Tausenden hatte Stöphasius durch diese entschlossene That das Leben gerettet.

Nachdem die Brigaden Canstein und Raven die Schanzen 8, 9 und 10 genommen hatten und die Communicationen passirbar gemacht worden waren, rückte die vierpfündige Garde-Batterie unter dem Hauptmann von Ribbentrop so heftig dem weichenden Feinde nach, daß sie sich plötzlich von demselben theilweise umzingelt sah. Die Mannschaften und Officiere wehrten sich jedoch mit dem größten Heldenmuthe, und auf eine Aufforderung sich zu ergeben antwortete der brave Capitän durch einen kräftigen Säbelhieb und die Worte: „Eher lassen wir uns Alle in Stücke hauen – nicht wahr, Leute?“ Im nächsten Augenblick kam preußische Infanterie der Batterie zu Hülfe und vertrieb die Dänen, die nun, von der Batterie kräftig beschossen, in fluchtähnlicher Weise abziehen mußten.

Während des ganzen Sturmes spielten die Musiker vom vierten Regiment, unter Leitung des Kapellmeisters Pieseke, in der ersten Parallele den Sturmmarsch. Mehrmals wurden dieselben durch feindliche Granaten mit Erde überschüttet. Der muthige Kapellmeister aber stand im dichtesten Kugelregen oben auf der Brustwehr und dirigirte, ohne sich um die einschlagenden Geschosse zu kümmern.

Mit ganz besonderin Ruhm aber sei, zum Ende, aller Krankenträger-Compagnien ohne Ausnahme gedacht. Mitten im stärksten feindlichen Feuer wetteiferten diese „stillen Helden der Menschenliebe“, die Verwundeten nach den in einiger Entfernung aufgefahrenen, den Weitertransport nach den Verbandplätzen vermittelnden Krankenwagen zu tragen, von denen die erste Illustration unserer heutigen Nummer dem Leser ein genaues Bild giebt, so daß gar viele der wackern Männer zu den Opfern des blutigen Tages zählen.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_383.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)