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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

wie man in dem Universität-Jargon zu sagen Pflegt, einen „Schwanz“ zu lassen oder über die festgesetzte Zeit hinüber diese Vorlesungen ausdehnen zu müssen. Nun habe ich aber einen geheimen Schrecken vor Schwänzen dieser Art, zumal ich in meiner Vaterstadt Gießen einst erlebte, daß der Professor des römischen Erbrechts nicht nur einen Schwanz, sondern sogar einen „Schwanz vom Schwanz“ las, daß das Erbrecht sich wie eine ewige Krankheit bis in das dritte Semester hinüberspann und vielleicht noch heute nicht zu Ende gekommen wäre, wenn nicht die Studenten endlich mit Aufbieten jeder nur möglichen Energie erklärt hätten: „Jetzt sei es genug, und wenn die letzten Römer nicht mehr vor Ostern erben könnten, so möchten sie unbeerbt zur Hölle fahren!“ Wer selbst an zwanzig Versen der Odyssee ein halbes Jahr seines Lebens bei dem langweiligsten Gymnasiallehrer gekaut und das Unglück seiner Studienfreunde genossen hat, die bei Pfannkuchen (so hieß der Selige) ein Semester hindurch über einem einzigen Berg von Habakuk oder Jesaias schwitzen mußten, der lernt heilsame Benutzung der Zeit und geht lieber über ein Capitel weg, wie der Hahn über die heißen Kohlen, als daß er wagte, sich allzusehr in das wissenschaftliche Gestrüpp mit seinen Zuhörern zu verlieren.

Die Netzflügler, so wie sie jetzt in den meisten naturgeschichtlichen Handbüchern zusammengestellt werden, sind in der That durchaus keine natürliche Gruppe. Die Libellen (Libellula), Wasserjungfern (Agrion) und Schneider (Aeschna) haben allerdings mehr mit den Geradflüglern, als mit den übrigen Netzflüglern zu thun, zu welchen man sie gewöhnlich stellt. Denn sie haben zwar netzförmig gegitterte Flügel, aber keine vollkommene Verwandlung, obgleich ihre Larve im Wasser und das vollkommene Insect fast nur in der Luft lebt, und durch diesen Mangel des Puppenzustandes, sowie durch die Structur der Kauwerkzeuge stehen sie den Geradflüglern weit näher. Alle diese unechten Netzflügler, wie man sie genannt hat, sind kühne und flüchtige Räuber, deren Larven im Wasser von Gewürm, von andern Larven und selbst jungen Fischen leben, während die schnell und kräftig fliegenden vollkommenen Insecten Fliegen, Mücken, ja selbst Bienen und Hummeln im Fluge haschen und verzehren. Sie sind also weit eher nützlich, als schädlich, und mögen namentlich den Sumpfbewohnern durch Vertilgung unangenehmer Insecten einige Dienste leisten.

Unbedingt nützlich aber sind uns einige echte Netzflügler, deren Larven sich von Insecten nähren und die durch die vollkommene Verwandlung sich sogleich von den Wasserjungfern unterscheiden.

Allen voran stehen hier die Florfliegen (Hemerobiuss), zierliche Fliegen mit vier glashellen Flügeln, welche trotz ihrer großen Flügel nur langsam flattern, überall ausruhen und an die Unterseite der Blätter ihre kleinen Eier mittelst eines außerordentlich dünnen glashellen Stieles anheften. Ein solches Ei sieht etwa wie eine sehr feine, dünne Carlsbader Stecknadel aus, dergleichen man sich zum Aufspießen der kleinsten Insecten bedient. Die Larven, welche daraus hervorkriechen, sind ekelhaft, lausförmig, nur mit längerem Hinterleibs und mit zwei langen, hakenartig gebogenen, spitzen Kinnladen versehen, welche der ganzen Länge nach von einem Canale durchbohrt sind, der sich in den Schlund öffnet. Meist sind die Larven in Maden oder auch in ihren eigenen Unrath, den sie sich auf den Rücken schieben, dicht eingehüllt, so daß sie keinen erfreulichen Anblick gewähren. Nichtsdestoweniger freut sich der Gartenliebhaber ihrer Thätigkeit, wegen deren Réaumur, der ihre Sitten studirte, sie Blattlauslöwen nannte. In der That schleichen sie auf den Blättern und unter den Blattläusen umher, die dessen kein Arg haben, schlagen plötzlich einem Opfer die Krallenkiefer in den Leib, saugen den Inhalt aus und werfen den Balg weg. So zerstören sie eine Menge von Blattläusen, in deren Vertilgung sie mit den Sonnenkäfern und Schwebfliegen wetteifern.

Interessanter noch ist die Industrie des Ameisenlöwen (Myrmelco), dessen kurze, breitleibige Larve mit zwei durchbohrten Kieferzangen bewaffnet ist, welche fast eben so lang als der Körper des Thieres sind. „Das ist ein sonderbares Thierchen,“ sagte mir eines Tages ein Hausbesitzer, indem er mir die trichterförmigen Gruben zeigte, die im feinen Sande eines Weges hart an der Wand des Hauses in einer Reihe sich zeigten, so gestellt, daß der vorspringende Dachrand sie vor dem Regen schützte. „Ich habe sie lange beobachtet,“ sagte mir der gute Mann, „und weiß jetzt Alles, was sie treiben. Jetzt sitzen sie still während einiger Monate tief im Grunde ihres Trichters, aus dem nur die gefährlichen Klammerzangen hervorragen, und harren der Ameisen und anderer Thiere, die hinabstürzen. Die packen sie dann sogleich mit ihren Klammern, saugen sie aus und werfen den leeren Balg über den Rand des Trichters hinüber. Straucheln dagegen die Thierchen nur an den abschüssigen Wänden ihres Trichters und suchen sich zu halten, so werfen sie ihnen wohl mit den Zangen ein Häufchen Sand an und bringen sie so zum Stürzen. Zerstöre ich ihnen ihre Trichter, so bauen sie in kurzer Zeit einen neuen, indem sie sich mit dem Hinterleibe mittelst kreisförmiger Bewegungen in den Sand einwühlen und denselben zu gleicher Zeit auf die Seite werfen.“ Soweit waren wohl alle Beobachtungen ganz richtig. Hinsichtlich des Verpuppens aber hatte mein Mann seltsame Begriffe, die sich vielleicht an Swedenborgianische Träumereien knüpften, von denen er ein großer Freund war. „Wenn sie so ein paar Monate gesessen haben,“ sagte er mir, „so werden sie auffallend unruhig, kriechen aus ihren Trichtern hervor und laufen, so schnell sie mit ihren kurzen Beinen können, auf dem Sande hin und her. Von der ungewohnten Anstrengung gerathen sie dann über und über in Schweiß, und da dieser Schweiß klebrig ist, so hängen sich die Sandkörnchen dran und bilden endlich eine förmliche Hülse um das Thier, das dann gänzlich in die Erde schlüpft und sich in seinem ausgeschwitzten Cocon verpuppt.“

So ist es nun wohl nicht. Da der Ameisenlöwe andere Insecten nur aussaugt und deren Säfte unmittelbar zur Ernährung seines Leibes verwendet, so würde ihm „die Natur den After nur zur Zierde“ gegeben haben, wie sich ein geistreicher Physiologe einmal ausdrückte, wenn nicht der für Nahrungsmittel unwegsame Mastdarm zum Spinnorgane umgewandelt wäre. Der Ameisenlöwe spinnt sich also, nachdem er in der That eine Zeit lang unruhig umhergelaufen, um einen passenden Ort zu finden, ein eigenes Gewebe, in welches er Sandkörnchen verwebt und worin er die Verwandlung zum vollkommenen Insecte erwartet, die nächstes Frühjahr statthat.

Doch ich beeile mich, der letzten, zahlreichen Ordnung, mit welcher wir noch zu thun haben, mich zuzuwenden. Es sind dies die

Fliegen oder Zweiflügler (Diptera).

Kaum ist es möglich, ein Insect, welches dieser Ordnung angehört, zu verkennen. Die zwei Flügel, welche mitten auf der Brust stehen, meistens groß und mächtig sind und hinter welchen als Rudimente der Hinteren Flügel zwei kleine Schwingkölbchen sich finden, welche ganz die Form jener Schlagnetze besitzen, die man zum Federballspiele benutzt; der Saugrüssel, welcher gewöhnlich weich ist und einen dickeren Rüsselkopf besitzt; die vollkommene Verwandlung aus fußlosen Larven, welche wir Maden zu nennen pflegen, charakterisiren alle der Ordnung angehörige Thiere so ausgiebig, daß bei genauerer Untersuchung keine Verwechslung möglich ist. Höchst eigenthümlich sind auch die Puppen, welche nur höchst selten, bei den Gallmücken z. B. so gemeißelt erscheinen, daß die Organe des werdenden Insectes daran sichtbar sind. Gewöhnlich haben sie die Form einer Tonne, einer Flasche oder einer Glasthräne und werden von der Haut der Larve selbst gebildet, welche eintrocknet und auf einen so kleinen Raum zusammenschnurrt, daß man beim Ausschlüpfen der Fliege kaum begreift, wie dieselbe in dem engen Tönnchen Platz finden konnte.

Die Maden sind ekelhafte Thiere. Moder und Koth, faulender Stoff, stinkendes Sumpfwasser, Schleim und Eiter sind die Umgebungen, in welchen sie sich gefallen, und meistens erscheinen sie da in großen Massen, wo die faulige Verderbniß durch Witterungseinflüsse oder andere Verhältnisse überhand genommen hat. Die stehenden Sumpfgewässer brüten jene ungeheueren Schwärme von Schnaken, Griebelmücken und Stechmücken aus, welche ebenso die Tiefebenen der heißen Zone, wie die Torfmoore der Polargegenden fast unzugänglich machen. Die faulenden Pflanzenstoffe sind die Brutstätten für eine Unzahl von Mücken, deren Heer von unserer gewöhnlichen Stubenfliege angeführt wird.

Treu meinem Programme rede ich Ihnen hier nicht von denjenigen Fliegen, welche als Schmarotzer Thiere und Menschen belästigen, nicht von den Bremsen (Tabanus), Stechfliegen (Stomoxys), Lausfliegen (Hippobosca), Schnaken (Culex) und Griebelmücken (Simulia), sowie den Flöhen, welche in der That ungeflügelte Fliegen sind, und die alle das Blut der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_398.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)