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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

die ihre Schule bei reisenden Weinhändlern oder in Hôtels gemacht haben, sondern mit der Leichtigkeit, mit welcher der vornehme Mann das Würdige, und umgekehrt mit der Würdigkeit, mit der er das Leichte bestellt, genoß er, je nachdem das Essen und das Gespräch Gelegenheit boten, den edlen Wein ohne besondere Zurüstung, aber auch ohne stumpfe Gleichgültigkeit. Ebensowenig imponirte ihm die Cigarre, die ich ihm nach dem Essen reichte. Er wandte sich nach den ersten Zügen nur in sehr freundlichem Ton zu mir, neigte etwas den schönen Kopf wie zum dankbaren Compliment und sagte: Ah, Signore, una habanna!

Es machte mir besondere Freude, zu sehen, wie dem Manne von Minute zu Minute wohler wurde. Es war herausgekommen, daß er vom 14. bis zum 17. Jahre in Paris studirt hatte und daß er ein Französisch ohne allen Accent sprach, den ein Italiener sonst so schwer ablegt. Ich brachte das Gespräch auf sein Grafenthum, das er lächelnd kurz mit den Worten ablehnte: „una favola!“ und war durch den Anstand, den der Mann in Allem, im Sitzen und Gehen, in jeder Handbewegung, in jeder feinen Aufmerksamkeit und in seiner Mäßigkeit an den Tag legte, einigermaßen in Verlegenheit, wie ich ihm näher kommen und zu der Erklärung der Leidenschaft des Bettelns gelangen sollte. Außerdem merkte ich auch, daß er hinter meinem Betragen gegen ihn irgend eine Absicht suche, und es war gar nicht zu verkennen, daß er sofort auf die richtige Spur gelangt war, weil er das Gespräch, anknüpfend an die Eigenthümlichkeiten der Römer, auf Psychologie brachte und dann schnell fragte, ob ich Schriftsteller sei.

Als ich dies verneinte, ließ sich erkennen, daß ihm freier zu Muthe wurde. Ein ferneres Mißtrauen, das erst zu heben war und dessen Grund ich in der Politik erkannte, die damals in Rom zu großer Vorsicht aufforderte, war bald beseitigt. Es blieb nicht bei diesem ersten Rendezvous, bei dem ich nichts erreichte, es interessirte mich aber auf’s Neue für den Alten ein schöner Zug. Er hatte mich von seiner Kundschaft gestrichen, er bettelte mich weder an, noch nahm er auf der Straße etwas von mir. Es war klar, er würdigte mich seiner Freundschaft, und indem ich dem Leser die Mühe erspare, alle die diplomatischen Kunststücke auch nur zu lesen, die ich anwenden mußte, um zum Ziele zu kommen, lasse ich nunmehr den Alten genau in seiner Weise erzählen, vermöge deren er in seiner Lebhaftigkeit und unter dem Drucke der aufregenden Erinnerungen nicht dazu gelangen konnte, hintereinander fort zu referiren, vielmehr durch Fragen einleitete, auch dazu Veranlassung gab, durch Fragen der Sache mehr auf den Grund zu kommen, und so den Zuhörer in das Interesse für sein Schicksal hineinzog.

„Kennen Sie Sicilien?“ begann er.

„Ja wohl,“ erwiderte ich, „ich habe es vor ungefähr drei Wochen verlassen.“

„O, Sie kennen sie, diese herrliche Insel?“ rief er, „diesen Juwel in der blauen Fassung des Meeres. Keine Küste empfängt den von Neapel nach Messina steuernden Fremden so imposant, wie die sicilische. Eine Reihe grünbekränzter Berge hält Wacht gegen die andrängenden Fluthen des Nordens, und hinter ihnen, wie der Feldherr hoch hinausragend, überherrscht sie alle der gewaltige Aetna, das weiße, aber glühende Haupt in den Wolken kühlend, Brust und Leib in grünen Sammt gekleidet, während von den Schultern der mächtige weiße Seidenmantel nach Süden hinabrollt, jene Weizenebene, die bis Catanea und Syracus und bis an die Höhen des Hybla ihre schimmernden Falten in Höhen und Thälern zurechtlegt und zuletzt in dem schönsten Besatz einer leuchtend grünen Waldkante abschließt.“

Er sah mich mit strahlendem Gesicht an und schwieg ein Weilchen. „Jeder,“ unterbrach ich ihn, „liebt sein Vaterland und weiß seine Schönheiten zu preisen. Aber Sie haben Recht, es ist dort ein seliges Stück dieser Schöpfung ausgebreitet, und ich habe dicht unter dem Aetna in Taormina, in Catanea und Syracus empfunden, weshalb die Alten hierher den Mythus der Ceres verlegten, und weshalb,“ fügte ich hinzu, „wie im Busen des Landes die ewigen Donner tosen, sein reicher Segen es vor Eroberern aus allen Welttheilen nicht zur Ruhe kommen ließ.“

„Sie erleichtern mir meine Mittheilungen,“ fuhr er fort, „da Sie die Gegenden kennen, in denen meine Geschichte zumeist abspielt. Und noch eine Frage: Haben Sie die Aetna-Mädchen gesehen, die Töchter der eisenfesten Bauern, die das höchste Culturland bebauen?“

„Gewiß,“ erwiderte ich, „und wenn etwa ein Mädchen dieses Schlages in Ihrer Geschichte eine Rolle spielt, so sind Sie schon von vornherein für manche Verirrung entschuldigt, in die Sie verfallen sein könnten. Ich will,“ setzte ich hinzu, „zugeben, daß der schöne, stolze Kopf dieser Frauen sich auch anderer Orten, z. B. hier in Rom, wiederfinden läßt, nicht aber der Körper. Mir ist nichts so sehr aufgefallen, als daß eine solche Gestalt auf den ersten Blick nicht größer und gewaltiger aussieht, als die anderer Frauen, daß aber, je länger man sie betrachtet, die Ausgiebigkeit der Formen in immer süßeren und mächtigeren Linien hervortritt. Es ist vielleicht das Ebenmaß, das keinen Körpertheil zu auffallend hervortreten läßt, ein Umstand, der unter unseren deutschen Frauen viel Ueppigkeit, aber selten Schönheit gestattet, jenes Ebenmaß, vermöge dessen wir uns erst in die Größe und Mächtigkeit der Peterskirche hineinsehen müssen, das jene Erscheinung erklärt. Mir ist, wenn ich eine dieser Frauen sah, immer die Venus von Milo eingefallen, zu der eine Aetna-Frau Modell gewesen sein muß.“

„Herrlich, herrlich!“ rief der Alte, nahm sein Glas und dankte mit glühenden Augen, als ich mit ihm anstieß auf Sicilien und seine Bewohner.

„In einem Orte,“ fuhr er fort, „der ungefähr im Dreieck mit Catanea und Syracus liegt, in jener Weizenebene, bin ich geboren und stamme aus einer gräflichen Familie, die ihren Stammbaum von den Normannen ableitet. Mein Vater, der völlig in den Ideen aufgewachsen war, die 1789 in Frankreich in die Wirklichkeit traten, lächelte stets sowohl über den Conte, als über die Normannenabstammung, während die Mutter, völlig Sicilianerin in ihrer Bildung oder vielmehr Nichtbildung der damaligen Zeit, um so mehr Gewicht darauf legte. Ich verlor sie bald, und als ich mit meinem vollendeten 17. Jahre aus Paris zurückkehrte, hatte ich den Vater in seinen Anschauungen fast überholt, so daß ich, als er bald darauf starb, unter den Männern meines Standes ziemlich vereinsamt dastand und mit ihnen sehr wenig innere Anknüpfungspunkte hatte. Denn sie waren damals noch stark Blutsaristokraten und hatten auch Aufforderung dazu, weil ihnen dadurch die reichen Pfründen des Landes, wie die des Klosters in Catanea, zu Gebote standen, das noch heute nur sicilische Edelleute aufnimmt, welche von bürgerlichen Klosterbrüdern bedient werden. Ich widmete mich in dieser Lage mit Vorliebe der Pflege meiner Besitzungen und sammelte dadurch und durch Studien der politischen Oekonomie Kenntnisse, die mir vielleicht von großem Nutzen gewesen sein würden, wenn mein Geschick es nicht anders gewollt hätte.

Ich lernte nämlich, kurz nach erlangter Großjährigkeit, auf einem Ausfluge zu den Höhen des Aetna ein Mädchen kennen, die ihren um Vieles älteren Bruder, einen Geistlichen, zu einem Kranken geleitete. Es war in einem jener lieblichen, bewaldeten Einschnitte, in denen für Sicilien ein köstlicher Schatz, eine Quelle entspringt, die bei uns, wie Sie wissen, nach Pennen vertheilt wird und dem Besitzer des Grund und Bodens gehört, der davon seinen Gewinn zieht.

Das Mädchen, damals vierzehn Jahre alt, war zur Quelle hinabgestiegen und brachte dem Bruder, zu dem ich mich eben gesellte, die gefüllte Schale, die dieser mit sicilianischer Höflichkeit mir anbot. Das Kind erinnerte an die kredenzende Hebe. Leicht wie eine Gazelle, stieg sie wieder hinab und kam herauf, sichtbar erfreut, sich nützlich und dienstbar erweisen zu können. Zu meinem Erstaunen sprach sie nicht das sicilianische Patois, sondern ein gutes, wenn auch noch etwas accentuirtes Italienisch, und zeigte auch im Aeußeren etwas Zarteres und Feineres, als Mädchen ihres Standes, obgleich ihr Anzug, wenn auch äußerst rein und von besserem Stoff, doch im Ganzen über die kleidsame Tracht der jungen Bauermädchen nicht hinausging. Ich erfuhr bald von dem geistlichen Herrn, während das Kind ab und zu ging, daß es eine vater- und mutterlose Waise sei, daß zwei andere Brüder als Bauern ihr geringes Erbe mit verwalteten und daß er es erzogen und unterrichtet habe.

‚Ich denke‘ sagte er, ,das bischen Wissen soll dem Mädchen nicht schaden, denn,‘ setzte er lächelnd hinzu, ,es geht nicht so weit, daß es sich als Frau eines Landmannes in ihrem Stande unglücklich fühlen würde.‘

Ich begleitete meine neue Bekanntschaft auf ihrem Wege. Bei uns Südländern ist Blick, Begierde und Besitz ein Moment. Nicht mit Unrecht stellen deshalb unsere Voreltern, die Griechen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_419.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)