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gesprochen mit Gott und der heiligen Jungfrau und hatte gebetet, ihr Leben anzunehmen für das ihres Kindes. Mit dem heiligen Muthe, den nur das Gefühl der Mutter dem Weibe geben kann, hatte sie sich aufgerafft, hatte zum ersten Male an die Thüren geklopft und hatte gebettelt um dürftige Nahrung für das Kind, das sie unter dem Herzen trug. Oft abgewiesen, oft als leichtsinnige Dirne gescholten, hatte sie geduldet, ganz allein, nur Gott im Himmel zum Beistand und ihre Thränen als Tröstung. So war sie von Ort zu Ort bald auf zerrissenem Schuhzeug, endlich auf nackten Füßen nach Florenz gekommen. Dort hatte sie auf Linderung gehofft, denn sie hatte dem Bruder, dem Geistlichen, geschrieben, ihm geklagt, daß der Gatte sie aus unbegründeter Eifersucht verlassen, und hatte um einiges wenige Geld poste restante gebeten. Allein sie fand nichts vor, denn der Brief war in den damaligen Revolutionswirren nicht angelangt. Zur äußern Noth hatte sich noch der Kummer gesellt, auch von den Brüdern verstoßen zu sein, die sie vielleicht auch für schuldig hielten, und so war sie, den Tod im Herzen und im Körper, weitergeschlichen, hatte oft Nachts sich wie ein wildes Thier in einer Felsspalte hungernd und frierend bergen müssen, aber die Mutterpflicht hatte sie so lange aufrecht erhalten, bis sie eines Abends, ausgehungert, bleich, verstört, eine Bettlerin, bei ihren Brüdern angeklopft hatte.

Diese waren anfangs geneigt, ihr keinen Glauben zu schenken; als sie jedoch auf die geweihte Hostie ihre Unschuld betheuert, hatten sie dieselbe mit aller Liebe und Sorgfalt umgeben, deren sie fähig waren, hatten ihre eigenen kleinen Ersparnisse geopfert, um ihr Gutes zu thun, und als das Kind sich ihrem Schooße entwunden, hatten sie eine Amme für dasselbe bereit. Mit Allem, was die Unglückliche stärken konnte, hatten sie gesucht ihr zu helfen, indeß die liebevollste Pflege so wenig wie heißes Gebet hatten die Krankheit heben können, welche, nach den Geboten der Natur, nur die Frucht bis dahin aufgehalten hatte. Nazarena verschied bald; an demselben Orte, an dem ihre Wiege gestanden, hauchte sie ihr junges Leben aus. Sie, die als reines Kind in die Hände des geliebtesten Mannes gegeben war, sie, die noch vor wenigen Jahren, in Fülle der Gesundheit schwimmend, um diese Hütte spielte, war dahingesunken durch die Schuld des Mannes, an dessen Schutz sie gewiesen war durch das Gesetz und die Ordnung Gottes, hingeopfert durch die Schuld ihres Gatten.

Der Geistliche weinte mit mir, und wenn er auch mein Betragen nicht durch die Eifersucht, der ich unterlegen, rechtfertigen konnte, so suchte er doch in seinem liebevollen Gemüthe Alles auf, was meine Schuld zu mindern vermochte. Dagegen hatte ich von den Brüdern noch kein Wort vernommen; sie beobachteten in meiner Gegenwart ein düsteres Schweigen, waren aber sichtlich erfreut, daß Vater und Kind täglich mehr zusammenwuchsen, daß es mir eine Lust war, alle kleinen Sorgen für letzteres zu übernehmen, und daß ich diese Sorge nur ungern für Augenblicke an eine alte Verwandte und Dienerin des Hauses abtrat. Mir that jede Mühe, die mir das Kind machte, wohl, es war mir, als könne ich durch die Pflege desselben einen Theil der Schuld gegen die Mutter abbüßen.

Als ich eines Tages gegen den Geistlichen diese Gedanken äußerte und hinzufügte, daß mir noch eine kleine Erbschaft zufallen müsse, daß ich dann Mittel genug hätte, dem Knaben eine gute Erziehung zu geben, und daß ich mein ganzes Leben einzig und allein dieser Aufgabe opfern würde, antwortete er mit einem leisen Seufzer nur: ,Sie haben geschworen!‘

Nicht die Furcht vor dem Tode selbst, obwohl mir die Liebe zum Kinde auch wieder Liebe zum Leben eingeflößt hatte, aber die ungewisse Verschiebung des Mordes, das Ueberlegte, Geheimnißvolle der Ausführung flößten mir Schrecken ein, und ich bat den Geistlichen, dahin zu wirken, daß bald mit mir ein Ende gemacht würde.

‚Ein Ende?‘ sagte er, ,es giebt schlimmere Strafen, als den Tod,‘ und entfernte sich, indem er traurig sprach: ,ich kann es nicht wenden und ändern, sie haben geschworen!‘

Von diesem Augenblicke an gerieth ich in die äußerste Unruhe. Was können diese Schrecklichen wollen, was kann in ihren Augen schlimmer sein, als der Tod? Je mehr ich darüber nachdachte, je mehr verwirrten sich meine Gedanken, und, ich brachte qualvolle Nächte zu.

Da, eines Tages, obwohl kein Festtag oder Sonntag war, bemerkte ich, daß die Brüder nicht zur Arbeit gingen, sondern festliche Kleider angethan hatten. Gegen Abend traten sie bei mir ein und hatten den Knaben, dem ebenfalls ein festliches Kleidchen angezogen war, zwischen sich. Der Geistliche war in vollem Ornat und auf dem Tische waren statt der Lampe Kerzen angezündet.

Der Geistliche war sichtlich bewegt und stand schweigend hinter den Kerzen.

Der jüngste der Brüder erhob zum ersten Male seine Stimme und sprach: ‚Liebst Du das Kind?‘ Mich durchzuckte der Gedanke, die Unmenschen wollten es ermorden, und mit übernatürlichen Kräften stürzte ich mich auf die Brüder, um ihnen mein Kind zu entreißen.

‚Teufel aus der Hölle!‘ rief ich ihnen zu, ,mein Kind, meinen Sohn, den Sohn Eurer Schwester, wollt Ihr opfern, opfern vor meinen Augen? Mit meinen Zähnen werde ich ihn vertheidigen, wenn Ihr mir die Hände abgehackt habt.‘ Sie überwältigten mich, und ich beruhigte mich, als der Geistliche herzutrat und sagte: ‚Mein Amt sollte Dich belehren, daß ich bei einer Blutthat nicht gegenwärtig sein kann. Höre den Bruder, das Leben Deines Kindes wird in Deine Hände gelegt werden, Du allein kannst es sichern.‘ ‚Nun, so gebt mir mein Kind und laßt mich ziehen,‘ rief ich, ‚ich liebe es mit allen Kräften meiner Seele; ich werde es erziehen, mein Leben soll eine fortgesetzte Reue sein, ich will nichts weiter, als mein Kind, das Kind meiner unglücklichen Nazarena.‘ ‚Nenne sie nicht Dein,‘ fiel der jüngere Bruder ein, ‚denn Du hast sie verstoßen, dem Elende preisgegeben, hinausgetrieben in die Weite wie einen Hund, der verenden konnte auf freiem Felde oder im Schnee der Gebirge, ein Fraß für die Vögel. Sie, die Tochter ehrlicher, obwohl unbegüterter Landleute, die Freude, der Stolz ihrer Familie, hat an die Thüren geklopft und um Speise und Trank gefleht als Bettlerin, während sie das Kind als Pfand der Liebe zu Dir unter dem Herzen trug, während sie das Kind, von Gott und Natur Deiner Pflege empfohlen, von Dir aber verstoßen, mit ihrem Herzblut nährte, das sie aus den dürftigen Brosamen, die sie erbettelte, nicht ersetzen konnte.‘

Ich stöhnte unter den Qualen der furchtbaren Erinnerung, welche der Bruder in mir wachrief.

,Du hast,‘ fuhr er fort, ‚tausendmal den Tod verdient, doch Du bist Sicilianer, hast Muth und fürchtest ihn nicht; eben weil Du aber tausendmal den Tod verdient hast, sollst Du ihn täglich kosten, ganz, wie unsere Schwester ihn stückweise und tropfenweise hat erleiden müssen.‘ Ich sah ihn mit hohlen Augen an, denn ich verstand ihn nicht.

,Du hast,‘ fuhr er fort, ‚dies Kind zum letzten Male berührt und es das Deine genannt; Du hast es verstoßen, noch bevor es das Licht der Welt erblickte, wir haben es gerettet, in unsere Arme hat es sterbend die Mutter gelegt, es ist das unsrige. Wir werden es erziehen und werden dafür arbeiten, sollte uns auch das Blut unter den Nägeln hervorspringen, aber wir werden es sofort ermorden, wenn Du eine Sylbe von den Bedingungen abweichst, die wir Dir stellen.

Von heute ab darfst Du Dich nur durch Betteln ernähren, Du darfst Dich keiner Arbeit unterziehen, Du darfst keine Unterstützung annehmen, die Dir für mehr als einige Tage das Betteln entbehrlich macht, Du darfst in keinen Bettelorden eintreten, wodurch Du des Schamgefühls überhoben würdest. Du sollst betteln, betteln wie unsere Schwester gethan, aus Noth, aus Hunger, Du sollst den Schmerz erfahren, von der Thür gejagt und gescholten zu werden. Du sollst betteln, so lange Dein Leben auf natürlichem Wege vorhält, Du darfst demselben nicht ein Ende machen. Brichst Du eine dieser Bedingungen, giebst Du Dich je Deinem Sohne zu erkennen, wenn er Dir unter die Augen kommt – dann soll eine Viper nicht leben, die das adlige Blut seines Vaters in sich trägt, das Blut, in dem nicht Treu und Glauben gewesen vor und nach seiner Schandthat. Wir lassen Dich nicht schwören. Menschen Deiner Art sind mit keinem Eide zu fesseln, sie sind nur durch Furcht und Interesse zu leiten. Das wenige Geld, das Du mitgebracht, haben wir im Besitz und werden es für den Knaben verwalten; für ihn und die Welt bist Du todt. Du hast Dich nach Rom zu betteln, dort haben wir Gelegenheit, Dich zu beobachten.‘

Die furchtbare Energie dieser Natursöhne hatte mich niedergedrückt; ich fühlte weniger das Elend, das mir bevorstand, als den Schmerz, mich von meinem Kinde zu trennen, und warf mich flehend vor den Männern nieder, nur um das Eine bittend, daß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_436.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)