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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

er, mit dem seiner Race eigenthümlichen praktischen Instincte, alsbald, daß er mit derlei magischen Spielereien und Effecten auf ein glückliches Feld gerathen sei, ein Feld, welches sich trefflich zu Capitale ausbeuten ließ, und so kam er, im weitern Verfolg seiner Experimente, auf das Geistercitiren im natürlichen Wege als auf ein unvergleichliches und noch jungfräuliches Mittel, um Schillinge und Pfunde zu machen.

Der erste Schauplatz seiner geistischen Wirksamkeit sollte indeß nicht das heimathliche London werden, sondern Paris. Erst nachdem er hier auf der Place du Châtelet die ganze, halbe und Viertelswelt in Hautschauern und Entzücken versetzt hatte, dampfte er über den Canal zurück und schlug im Vaterlande seine Zauberbude auf, um hier mit seiner inzwischen wesentlich verbesserten und vermehrten Erfindung – eigentlich einer geschickten Combination früherer Erfindungen – vor ein noch größeres und zahlungsfähigeres Publikum zu treten.

In London, wo kein materiellen Erfolg verheißendes Bestreben auftauchen kann, ohne daß sofort Nebenbuhler nach dem gleichen Ziele wettlaufen, erstanden unserm Geisterbeschwörcr in anderen weisen Männern rasch Gegner und allerhand Concurrenzgespenster; doch Pepper ließ sich durch solche Mitspeculanten auf die würdige Bewohnerschaft des Schattenreichs nicht aus der Fassung bringen.

Schnell hatte er gefunden, was für’s Erste alle Concurrenz ausschloß: er suchte um ein – Patent, allen Ernstes um ein Patent für seine Geister nach, und wirklich, der britische Justizminister, der hochehrenwerthe Lordkanzler von England, sprach in feierlicher Sitzung des Kanzleigerichtshofs Pepper’s Geistern das große Patentsiegel zu!

„Ein patentirtes Gespenst!“ Der Gedanke ist sublim in seiner Art, und schon die Idee allein war mächtig genug, ihren genialen Urheber zu einem Phänomen der Londoner Welt zu machen.

Freilich wird im Laufe der Zeit das Publicum das Freihandelsprincip wohl auch auf diesen neuen Artikel aus den Schauerregionen angewandt wissen wollen; vorläufig aber ist, wozu selbst unser guter gläubiger Justinus Kerner es nimmermehr gebracht, Professor J. H. Pepper der privilegirte und monopolisirte Herrscher im Reiche der Geister und hat das wohlverbriefte Recht, allabendlich in den Kunsthallen des polytechnischen Instituts zu London seine unheimlichen Unterthanen vor die Augen der bänglich staunenden Zuschauermenge zu zaubern.

Wer in den letzten zwanzig Jahren einmal in London gewesen ist, kennt das „Polytechnic“, wie es der Engländer mit seiner praktischen zeit- und mühesparenden Sprachkürze schlechtweg zu nennen pflegt, jene vielumfassenden Sammlungen und Anstalten, die sich, unweit von dem Fremden-Rendez-vous, dem Verey’schen französischen Kaffeehause, und den beiden Stumpfthürmen der fashionablen Hannoverkirche, da, wo in ihrem nordwestlichen Ende die schöne Regentstreet stiller und vornehmer zu werden beginnt, in einem rauchgrauen stattlichen Gebäude ihr Domicil gewählt haben. Sie gehören zu jenen Merkwürdigkeiten, welche in den Reisehandbüchern à la Bädeker als besonders sehenswerth besternt, wohl gar doppelt besternt zu sein pflegen.

Das Polytechnische Institut verdankt seine Existenz einer Actiengesellschaft, die unter königlichem Privilegium vom Jahre 1838 sich etablirte „zum Zweck der Beförderung der Künste und praktischen Wissenschaften, namentlich solcher, welche Landwirthschaft, Bergwerks-Maschinen und Manufakturen etc. beeinflussen.“ Der damalige Katalog beschrieb die Ausstellungen in 34 Räumen und enthielt 1687 Nummern, von dem Modelle der Armstrongkanone bis zu einer präparirten Familie brasilianischer Schmetterlinge herab. Verluste, namentlich durch einen vielzerstörenden Treppeneinsturz vergrößert, brachten die Societät in solche Verlegenheit, daß sie sich auflösen und, wie so häufig bei neuen Unternehmungen, der zweiten Generation die Ernte der Früchte überlassen mußte, zu der die erste den Samen unter Sorgen gestreut hatte. Unter dem Patronate des Prinzen von Wales und Einzelner vom höchsten Adel als „trustees“ (Aufsichts-Betraute) und unter der Leitung von sieben Directoren, unter denen wiederum Professor Pepper als „Ehrendirector“ figurirt, hat sich eine neue Actiengesellschaft mit 20,000 Pfd. St. Capital gebildet. Ohne Zweifel florirt das Institut. Die Einnahmen im vergangenen Jahre erreichten die Summe von 13,000 Pfd. St., und die Ausstellungen erzielten allein von den „Laufkunden“, wie ich, im Gegensatze zu den festen Abonnenten, die „einen Schilling“ zahlenden Besucher nennen möchte, oft einen wöchentlichen Erlös von über tausend Thalern.

Es würde den Zweck dieses Artikels überschreiten, auch nur die Glanzpunkte des Katalogs zu erörtern; es genüge uns, aus demselben das Programm eines einzigen Abends, das des Sonnabends, zu schneiden, um eine Idee von der Mannigfaltigkeit des zu Schauenden zu bieten.

Sonnabend. Abend 7 Uhr. Eröffnung der kosmoramischen Räume. Die Gemälde-Galerie. – Die Glas-Bläserei und -Spinnerei. – Foliographische Maschinen, die Abdrücke von Farrenkräutern etc. liefern. – Modell einer Patent-Ziegel-Maschine, welche 75,000 Ziegel per Tag liefern kann. – Zusammenfügung zerbrochenen Porzellans und Glases. – Alle Maschinen in Arbeit und Bewegung.

71/4 Uhr. Bauchrednerkünste und Scherze. – Eine redende Hand.

73/4 Uhr. Neue Geister-Vorstellung (J. H. Pepper und H. Dirks gemeinschaftliche Erfinder), mit Einschluß interessanter optischer Illusionen.

83/4 Uhr. Die Taucherglocke (in lebendigem Wasser. Eine Münze wird von dem Taucher heraufgeholt). Allgemeine Ausstellung in allen Räumen und musikalische Promenade.

9 Uhr. Neue optische Vorstellung. Ein Traum im „Polytechnikum“ dargestellt in wandernden Gemälden, den Reichthum der Sehenswürdigkeiten an den Augen eines Träumenden vorüberführend. – Wir wählen die Geisterbühne zum Besuche. Die Bänke sind gefüllt, Kopf bei Kopf, von Alt und Jung, von Großen und von Kleinen. Eben noch strahlte Gaslicht auf allen den neugierigen Gesichtern, da fällt nächtliche Dämmerung über den Raum, nur von jenen scharfen Lichtstrahlen durchkreuzt, die von dem in kleine helle Quadrate ausgeschnittenen Hintergrund über die Hunderte von Köpfen hinweg auf die Bühne fallen, welche das Innere einer mittelalterlichen Kirche, Altäre und steinerne Sarkophage zeigt, während ein junger Ritter um Mitternacht, die eben ihre vollzähligen zwölf Schläge brummt, seine Fahnen- und Waffenwacht mit gezücktem Schwerte zu halten hat, um sich der ersten Sporen würdig zu zeigen. Alle möglichen Geister der Verstorbenen stellen seinen Muth auf die Probe; sie erscheinen im Mönchsgewande, in goldverzierten Kleidern, oder als verführerisch schöne Edelfräulein.

Aber unser Held bleibt standhaft. Abwehrend streckt er die Hand nach den grausigen Erscheinungen aus, und – es überläuft uns kalt – wir sehen, wie die Finger durch die wesenlosen Gestalten hindurchgreifen, sehen, daß wir also echte körperlose Gespenster vor uns haben. Mit sehr unenglischem Stolze widersteht er sogar einer reellen rothen Börse, in der reelle Goldstücke klingen, von der Schattenhand melodisch ihm vorgeschüttelt. Dann schließt sich das kleine Guckkastenloch im Hintergründe, und Ritter und Geister sind wie Duft und Luft in das Nichts zurückgeschwunden.

Im Zwischenakte läßt sich das geehrte Publicum durch eine norwegische Eislandschaft nebst regenbogenfarbiger Aurora borealis in angenehmer Weise anfrösteln und steigt dann an Prof. Pepper’s Hand im Geiste auf den Grund des Meeres, wo es am tiefsten ist, unter Gefühlen, die das alte scherzhafte Studentenlied beschreibt, in seinem durstigen Refrain: „Wie wird es uns so ,kuhle’ da!“ Wir gerathen in die Wohnungen der Meerwölfe, der Molche und Salamander, der Haifische, dieser „Meereshyänen mit den grimmigen Zähnen“. Gold-Störe, muthmaßlich an gespenstischem Caviar reich, und Silber-Gründlinge schwänzeln vorüber, von einer Corpulenz, welche sie für Zimmer-Aquarien untauglich macht. Das sind alles Gespenster und „wie naß das Alles aussieht“ – würde ein Berliner sagen. Wir riechen den Seetang und das Grundschilf und sehen den Tag durch das Wasser flimmern. Nur ein Schiffskiel wirft seinen Schatten in die Tiefe, und an einem Tau senkt sich eine Taucherglocke hinab mitten unter eine Sammlung von Thee- und Goldstaubkisten, die einem längst verschollenen Wrack angehört haben. Jetzt steigt der Taucher heraus, den Schlauch am Munde mit Gewandtheit regierend, während er aus seinen eingehäusten Kopfbrillen auf die Wunder der dämmerigen Tiefe schaut. Die Fische reizen ihn nicht, auch nicht die „Töchter des Nereus“, die im „leisen Wandel ihrer Glieder“ ihn als gefährliche Wasser-Circen umgeben, er denkt an’s Geschäft und beginnt die Appropriation mit Hand und Fuß, ein Kistchen nach dem anderen in die Glocke schleppend. Vergeblich erscheinen Neptun nebst Gattin – er trägt keine Jacke von gelbem Flanell, wie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_444.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)