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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Nein, um Gotteswillen, ich danke für alle Illustrationen, die meine Person angehen, selbst wenn Ihre Feder sie zeichnet.“

Meine Angst belustigte sie; aber das Gespräch war zu Ende, denn „meine Arbeit! meine Arbeit!“ rief sie, sich erhebend, legte das Kind in die Arme des Großvaters, sagte uns ein freundliches Adieu, mes amis!“ und eilte in das Haus zurück. – Mittlerweile war ich mit Maurice nach dessen Atelier gegangen – er malte ja immer noch im Stillen – und ließ mir die reichen Schätze seiner Skizzenbücher zeigen. Das war ein wahrer Hochgenuß, denn selten wird man Skizzen dieser Art mit so künstlerischer Hand entworfen finden. Plötzlich trat Madame Sand, ihre Papiercigarette rauchend, ein.

„Legt jetzt Euere Zeichenbücher bei Seite,“ sprach sie eilig, „und folgt mir. Mlle. Lambert kommt brühwarm aus Paris; wir wollen sie willkommen heißen.“

Wir gingen in den Salon hinab. Da war’s lebendiger, als je. Die Damen schwatzten um die Wette, und das kleine, zierliche Wesen, das noch in Reisekleidern dastand, wurde auf das Ungestümste umarmt.

„Bin ich glücklich, wieder einmal die Luft von Nohant einzuathmen und Ihre lieben Hände zu küssen, beste Madame Sand!“

So jubelte die Kleine, und sprang wie toll im Zimmer umher. Die schwarzen Augen leuchteten dabei, wie Glühwürmchen, und das dunkle Haar flog wild um Stirn und Nacken.

Madame Sand beschwichtigte das närrische, hübsche Kind, indem sie es bei der Hand nahm und mich ihm mit aller Gravität vorstellte.

„Adele, wir haben unserem alten Freunde schon manches Hübsche von Dir erzählt, nimm Dich also zusammen und lasse Dir ein Bischen von ihm den Hof machen.“

„Armes Fräulein,“ sprach ich lachend, „der Winter, der dem Frühling den Hof machen soll, der würde hübsch ankommen! Aber wenn Sie einen Großpapa brauchen?“ Ich hatte kaum das Wort ausgesprochen, so standen auch schon Thränen in Adelen’s Augen. Sie entfernte sich langsam und schweigend.

„Das arme Kind hat den Großvater wirklich vor Kurzem verloren,“ sagte mir die Sand, „und steht nun ohne männliche Stütze da, die kranke Mutter mit einer unbedeutenden Gage ernährend. Lassen wir sie ein bischen weinen; es wird gleich wieder Sonnenschein kommen.“

Und so war’s auch. Adele erblickte Manceau, machte ihm eine tiefe, ceremoniöse Verbeugung, lachte ihm plötzlich in’s Gesicht und zog ihn tanzend in den Garten hinaus.

„Hab’ ich’s Ihnen nicht gesagt?“ begann die Sand. „Es ist ein tolles Ding, aber von vortrefflichem Gemüth und unbescholtener Sittlichkeit. Wenn sie mit Manceau zusammen ist, so giebt’s ein wahres Kreuzfeuer von Invectiven.“

Es schlug vier Uhr auf der großen Pendule, und die Sand lud die Damen zum Besuche der Indre ein.

Um sechs Uhr war, wie immer, das Diner aufgetragen. Marie stand, der lieblichste aller Kammerdiener, mit der Serviette unter dem Arme, am Credenztisch. Adele tollte, Manceau neckte, kurz Alles war rosenrothen Humors; da betrat Mme. Sand mit ernster Miene das Zimmer. Sie winkte mich an ihre Seite, war und blieb aber wortkarg. Ihr Gesicht hatte den Ausdruck physischen Leidens.

„Sie scheinen plötzlich unwohl, verehrte Freundin?“ redete ich sie an. „Das kalte Wasser hat diesmal seine Schuldigkeit nicht gethan?“

„Sie irren,“ antwortete sie, „es ist nichts, gar nichts!“

Ich dachte der Worte des Gärtners und war mehr als früher überzeugt, daß sie leide, aber es nicht eingestehen wolle. Daß dieser Wechsel des Befindens so schnell eintreten könne, dachte ich mir unmöglich. Sie nahm außer der Suppe und einem Bischen ihres Lieblingsgerichtes auch nicht das Geringste zu sich, verrichtete aber das mühsame Amt des Austheilens mit gewohnter Accuratesse.

Das Gespräch wollte nicht recht vorwärts. Wir kamen auf allerhand Trübes zu sprechen, so auch auf Delacroix, den ich sterbend in Paris verlassen hatte.

Adelen war es vorbehalten, den ernsten Geist zu bannen, der heute die Gesellschaft beschlichen hatte. Zu den Füßen der Sand gekauert, erzählte sie ihr nach Tische eine Unzahl niedlicher, heiterer Geschichten. Am Abende gelang es noch den fröhlichen und frischen Melodien des Barbiers von Sevilla den letzten Rest von Ernst, der auf der Stirn der Hausfrau lag, zu zerstreuen. Diesmal übernahm auch Madame Maurice einen Theil der musikalischen Produktionen. Sie sang mit wohlklingender Stimme neapolitanische Liedchen. Adele brachte den kleinen Marc Antoine jubelnd herein, damit er ebenfalls die Mama bewundern möge.

Der folgende Tag war ein Sonntag, doch wie verschieden war er von den unsern, die das Gepräge der Festlichkeit auf alle Menschen zu drücken scheinen! Nur die Natur hatte ein Feiertagsgesicht und -Kleid. Es hatte bei Nacht ein wenig geregnet, und somit war der häßliche Staub weggeschwemmt, der auf Baum und Wiese lag. Ein großes Ereigniß stand für den Abend auf dem Repertoir. Im nahen La Châtre wurde Theater gespielt. Madame Sand besucht es jedesmal und lud mich ein, sie dahin zu begleiten.

„Amüsirt Sie denn so ein Provinztheater?“ frug ich sie ganz erstaunt und die Einladung höflich ausschlagend.

„Mein Gott, nicht im Geringsten; die Leute spielen sehr mittelmäßig, und noch dazu ist die Hitze dort fast tödtend – aber was wollen Sie? ich habe nicht den Muth, meine Visite abzulehnen.“

Madame Lambert vertraute mir aber, sie thue es blos, um den armen Schauspielern eine gute Einnahme zu verschaffen.

„Man weiß in La Châtre,“ setzte sie hinzu, „daß Mad. Sand des Sonntags in’s Theater kommt. Alles will sie sehen, Alles drängt hin, macht ihr förmlich Spalier. Der Zweck ist erreicht, die Casse wird voll, wenngleich das arme Opfer von acht Uhr bis Mitternacht dasitzen und buchstäblich gute Miene zum bösen Spiele machen muß.“

Um sieben Uhr Abends fuhr die Kutsche vor. Diesmal war’s nicht das lustige Wägelchen, an dem ein einziges Pferd oft ein halb Dutzend Passagiere weiter ziehen mußte. Der Wagen hatte ein stattliches, antikes Ansehen und ein geräumiges Interieur.

Nach einer halben Stunde kamen die Damen in großer Toilette herab. Auch Marie mußte einsteigen. Sie war unter ihrer blendenden Cornette hübscher als je und freute sich wie ein Kind auf die Vorstellung. Sylvain, der Bruder Henri’s und, wie dieser, seit Jahren im Hause, hieb in die Pferde ein, und die Carosse rumpelte zum Thore hinaus.

„Heute Abend müssen wir uns schon auf unsere eigene Faust amüsiren, lieber Freund,“ sagte Maurice, sich zu mir wendend.

„Aber Sie haben jedenfalls gut gethan, nicht mitzufahren, denn die Sache ist erbärmlich und meine Mutter kommt immer halb todt gelangweilt zurück.“

Wir gingen in den Salon, trieben tolles Zeug, machten Musik und zogen uns etwas früher zurück, da Maurice an die Composition des Stückes gehen wollte, das morgen Abend von den Marionetten dargestellt werden sollte. – „O, Sie vernünftiger Großpapa, der Sie gestern zu Hause blieben!“ rief mir des andern Morgens Adele entgegen. „Das war ein Theater! Wenn wir so spielten!“ setzte sie sich in die Brust werfend hinzu. „Man gab uns den alten ‚Gamin de Paris‘ und dazu noch einige Stücke. Mad. Sand hatte die größte Mühe, den Schlaf zu bekämpfen; aber sie nickte nur so manchmal ein, denn sie wußte, daß Aller Augen auf sie gerichtet waren!“

Mich darauf zu Maurice wendend, frug ich, wie lange er in voriger Nacht gearbeitet habe. „Bis zwei Uhr,“ erwiderte er. „Das Scenarium ist fertig; an uns ist’s jetzt, unser Publicum durch einen geistreichen Dialog zu unterhalten. Aber viel Geist müssen wir entwickeln, denn das Drama hat drei Acte.“

Madame Sand kam dazu und forderte mich auf, einstweilen das Local in Augenschein zu nehmen. „Ich zeige Ihnen dabei unser Haustheater,“ sagte sie und führte mich fort. Wir gingen durch einen schmalen Corridor zu ebener Erde und traten in einen ziemlich beschränkten Raum, dessen Haupteingang gegen den Garten lag.

„Das ist unser Parterre,“ begann sie, „es faßt etwa sechszig Personen.“

Ein nett gemalter Vorhang verdeckte die Bühne. Er wurde aufgezogen und ich war von der angenehmen Größe derselben und der vortrefflichen Dekoration, die ein Glashaus vorstellte, frappirt.

„Jetzt kommen Sie einmal auf’s Podium und sehen Sie, wie der kleine Raum benutzt ist.“

Manceau trat dazu, er machte die Honneurs der Bühne, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_463.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)