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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 30. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Die schwarz-weiße Perle.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)
4.

Kaunitz begab sich in das ihm angewiesene Gemach im Schlosse, welches im zweiten Stockwerke lag, über den von der Marchesa von San Damiano bewohnten Gemächern. Er fand die Wachskerzen auf seinem Schreibtische entzündet und seinen Diener auf ihn harrend, um ihm beim Auskleiden behülflich zu sein.

„Hast Du Dir die kleine Leiter verschafft, Franz?“ fragte er halblaut den Wartenden.

„Sie steht bereits im Kamin,“ antwortete Franz, „auch habe ich die eine von den beiden Stangen so zurückgebogen, daß Ew. Gnaden schon werden durchschlüpfen können.“

„Gut, so kannst Du gehen, zum Auskleiden brauch’ ich Dich nicht.“

„Aber befehlen Ew. Gnaden nicht, daß ich bei Ihnen bleibe … man weiß doch nicht, was geschehen könnte und wie Ew. Gnaden mich brauchten.“

„Das heißt, Du bist neugierig, Franz … das ist eine schlechte Leidenschaft! Wo ist der schwarze Domino?“

Ein schwarzer Domino lag in der Ecke des Sophas. Franz holte ihn herbei und warf ihn seinem Herrn um.

„So, nun geh und leg Dich auf’s Ohr!“ sagte dieser.

Franz verbeugte sich und gehorchte.

Als Kaunitz allein war, nahm er eines der Lichter und trat damit zu dem Kamin, in den er hineinleuchtete. Die eiserne Klappe, welche jenen während der Sommermonate verschloß, war aufgeschlagen und hatte einer leichten, etwa acht Fuß langen Leiter Platz gemacht, die hineingeschoben war trotz der zwei Querstangen, die, in Mannshöhe angebracht, das Eindringen irgend eines unberufenen Schlotfahrers durch den Kamin in das Zimmer verhindern sollten. Eine dieser Stangen war auf gewaltsame Weise so weit zurückgebogen, daß sie der Leiter Raum ließ und daß eine schlanke Gestalt neben ihr emporsteigen konnte, ein Experiment, welches der schmächtige junge Diplomat sogleich versuchte, und zwar mit dem besten Erfolg. Er fand dann einen vortrefflichen Standpunkt auf den beiden Querstangen.

„Wohin nicht eine gute Diplomatie muß kriechen können!“ sagte er lächelnd für sich und öffnete nun eine in der Höhe seiner Brust befindliche und in der Mauer des Schlots eingesetzte kleine viereckige Thür von Eisenblech, welche eine Verbindung mit dem Kaminschlot des nächsten Zimmers herstellte und zur Bequemlichkeit der Kaminfeger da angebracht war, die so in dem einen Schlot hinunter und in dem benachbarten wieder emporfahren konnten, ohne jedesmal eine Doppelreise machen zu müssen.

Nachdem Kaunitz diese Thür so unhörbar wie ihm irgend möglich geöffnet hatte, lauschte er eine Weile, ob er aus dem daneben liegenden Raume keine Stimme oder kein Geräusch vernehme. Aber Alles war still drüben und der Rauchfang völlig dunkel.

Deshalb lehnte er die kleine Eisenthür möglichst dicht an, ohne sie zu schließen, und verließ seinen Lauscherposten.

„Wir müssen warten,“ sagte er, als er wieder in seinem Zimmer stand und den Schmutz, der auf ihm hängen geblieben war, von seinem schwarzen Domino abstäubte; dann warf er diesen zur Seite und setzte sich an seinen Schreibtisch, um seine Depesche zu beginnen.

Er mochte etwa eine Viertelstunde geschrieben haben, als er plötzlich aufhörte, sich erhob und näher zum Kamin trat. Er vernahm ein Geräusch, welches durch die von ihm geöffnete kleine Eisenthür aus dem Nebenzimmer kommen mußte – ein Hin- und Hergehen und Anstoßen von Möbeln, ein Hüsteln, ein Rauschen wie von einem Kleide.

„Ah,“ sagte Kaunitz leise für sich hin und aus seiner Lauscherstellung neben dem Kamin sich erhebend, „dacht’ ich’s doch … es ist eine Dame, von deren Nachtquartier diese Wand uns trennt, eine Dame! Aber hoffentlich keine, die um Mitternacht zum Schornstein hinausfährt und dadurch den Rumor im Kamin macht, der mich so oft im Schlaf gestört hat … aber bescheiden wir uns und warten die weitere Entwickelung ab.“

Er setzte sich wieder und begann abermals zu schreiben. Als die Depesche fertig war, stand er auf und verließ sein Zimmer, um sie selbst dem Grafen Traun zu überbringen. Er schritt dazu durch ein paar Vorzimmer, dann über einen kleinen Vorplatz und eine schmale Treppe hinab, die ihn in einen breiten und großen Corridor im ersten Stock brachte. In diesem Corridor, an dessen rechter Seite die Zimmer der Marchesa von San Damiano lagen, pflegte eine Wache aufgestellt zu sein, welche die Cavaliergarde wie alle Posten im Innern der königlichen Wohnung zu beziehen hatte. Kaunitz bemerkte, daß sie für heute Nacht zurückgezogen sei, wenigstens nahm er den sonst hier fast immer auf- und abschildernden Gardisten nicht wahr; er wandte sich jetzt in einen kleinen Seitengang links und trat hier durch eine Flügelthür in die Wohnung des österreichischen Gesandten ein. Nach kaum einer Viertelstunde kehrte er zurück und begab sich möglichst lautlos wieder hinauf in sein Zimmer. Als er es wieder betreten hatte und nun, in der Mitte desselben stehend, den Athem anhielt, um zu horchen, zuckte er leise zusammen und schlich dann still und völlig unhörbar rasch zum Kamine.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_465.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)