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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

schwarzen Domino und trat unter den Kamin. Um seinen Bedienten nicht in seine abermalige Expedition einzuweihen, hatte er die Leiter nicht verlangt, sondern einen Lehnsessel mit hohem Rücken unter den Kamin gestellt, und mit Hülfe desselben gelang es ihm leicht, auf die Stangen zu kommen. Auf diesen stehend öffnete er die Eisenthüre und lauschte hindurch; aber erschrocken hielt er sogleich auch den Athem an …, es war ihm, als vernehme er aus dem Zimmer unten ein schweres Athemholen, ein leises Schluchzen dazwischen.

Rasch, geschmeidig wie ein Wiesel, schlüpfte Kaunitz jetzt durch die Maueröffnung und stand nach wenigen Augenblicken auf den Stangen in dem jenseitigen Rauchfang, die ihm verwehrten, bis auf den Boden des Zimmers niederzufahren – aber bevor er nur festen Fuß gefaßt, hörte er einen leisen Aufschrei des Schreckens und den unterdrückten Ruf: „O mein Gott! – wer ist da … Sie sind’s … Sie sind’s wirklich?“

„Beruhigen Sie sich, Bianca,“ versetzte Kaunitz sich tief nach unten beugend …

„Himmel, wie konnten Sie’s wagen …“

„Bianca … verzeihen Sie mir … aber ich muß mit Ihnen reden … ich muß es … und Sie müssen mich anhören – doch zuerst sagen Sie mir, was ist geschehen … täuschte ich mich, oder ist es in der That so … ich hörte Sie schluchzen?“

„Sollt’ ich denn nicht weinen … ich bin ja das elendeste, das unglücklichste Geschöpf unter der Sonne!“

„Sie, Bianca? … mein Gott, so sprechen Sie, was ist Ihnen? was ist vorgefallen?“

Bianca antwortete diesmal nur mit einem erneuten heftigen Schluchzen, dann erstarb dies in völlige Stille, als ob sie den Kopf in den Kissen des Bettes, in dem sie längst Ruhe gesucht, ohne sie finden zu können, berge und vergraben habe.

„Ich bitte Sie um Alles, was Ihnen heilig ist, reden Sie, Bianca,“ rief Kaunitz jetzt in großem Schrecken und großer Bekümmerniß aus; das Mitleid mit ihr, die Noth um ihren Schmerz machte all seinem inneren Schwanken ein Ende. „Was,“ fuhr er fort, „was ein Mann thun kann, um Ihren Kummer zu lindern, um Ihnen beizustehen, das werde ich thun, Bianca; ich fühle Kraft, mit der Welt zu ringen, das Unmögliche möglich zu machen, wenn es um Ihretwegen ist, der Gedanke an Sie wird meine Mittel verzehn-, verhundertfachen … o Bianca, was könnt’ ich um Ihretwillen nicht vollbringen, was für Sie nicht erreichen, und wenn mein Preis auch nur ein freundliches Lächeln von Ihnen wäre, ich würde das Leben daran setzen, weil … weil ich Sie liebe, Bianca – liebe, wie ich nie eine Sterbliche geliebt habe!“

Kaunitz erhielt auf diese in hastigster Weise, in furchtbarster Erregung hervorgestoßenen Worte keine Antwort.

„O, so sprechen Sie doch, Bianca, hören Sie doch, was ein Herz, dem Sie eine Gluth wahnsinniger Leidenschaft eingeflößt haben, zu Ihnen spricht – Bianca, hören Sie mich …“

Diesmal erfolgte eine Antwort. Kaunitz hörte, wie Bianca aus ihrem Kissen emporfuhr, und dann rief sie in leidenschaftlichem Zorn aus: „Verräther – abscheulicher Verräther – ich wollte, was Sie sprechen, erstickte Sie; ich wollte, es flammte ein halber Wald im Kamin und Sie, auf Ihren Stangen da drüben, würden geröstet!“

„Bianca!“ rief Kaunitz aus, mit einem Tone, wie niemals der Ton einer Menschenlippe deutlicher Ueberraschung ausgedrückt hat.

Gewiß, es war wohl nie eine Liebeserklärung in einer seltsameren Situation gemacht. Aber auf eine unerwartetere Antwort war auch wohl nie eine gestoßen … Bianca wünschte ihn ohne weiteres den Flammen übergeben – mehr eiskaltes Wasser konnte auf seine Liebesgluth nicht geschüttet werden!

„Bianca,“ sagte Kaunitz, „um’s Himmels willen, sagen Sie mir, welche Antwort ist dies! was hab’ ich gethan, um Sie so zu empören? reden Sie doch endlich, was geschehen ist!“

„Sie sind ein Verräther, o, ein ganz abscheulicher Verräther, ein Ungeheuer … Sie, nur Sie sind an Allem schuld … es ist ein abscheuliches Complot von Ihnen, Sie entsetzlicher Mensch, Sie Bösewicht Sie!“

Bianca sprudelte diese Worte mit südlicher Zornesgluth hervor und schluchzte dann wieder laut auf, ihren Kopf in den Kissen verbergend.

„Bianca, hören Sie mich,“ sagte Kaunitz nach einer Pause, die er bedurft hatte, sich zu fassen. „Wenn ich wirklich ein Verräther und ein höllischer Bösewicht bin, so verdiene ich doch, meine ich, die Strafe, daß Sie mir zeigen, wie sehr Sie mich durchschaut haben und wie groß meine Schuld ist …“

„Wie sehr ich Sie durchschaut habe?“ fuhr Bianca auf. „Alles hab’ ich durchschaut, Sie haben den armen Gennaro verleitet, um ihn von mir zu entfernen, um mich gegen ihn zu empören, um dann seine Stelle bei mir einzunehmen, um dann mir Ihre abscheulichen Liebeserklärungen zu machen … o, ich habe es geahnt, als Gennaro gleich nach dem Abende, wo Sie in Ihrem Kamin da den tückischen Spion machten, und dann gleich darauf Gennaro begann, der abscheulichen Französin den Hof zu machen und Sie sich so auffallend mir näherten … o, ich habe es geahnt, und deshalb hab’ ich mir alle Ihre schönen Redensarten gefallen lassen und all Ihre verrätherischen Galanterien, ich wollte dahinter kommen, ich wollte endlich aus Ihnen herauslocken, welches Spiel Sie mit Gennaro gespielt …“

„Also deshalb!“ sagte mit einem tiefen Seufzer und sehr zerknirscht Kaunitz.

„Aber jetzt, jetzt weiß ich Alles, jetzt, wo es zu spät, wo das Unglück da ist, und jetzt sag’ ich Ihnen, daß ich Sie hasse, Sie verabscheue, Sie tödten möchte …“

„Sie sind im besten Zuge, mich zu tödten,“ sagte der junge Diplomat nach einer Pause sehr kleinlaut, „durch alles das, was Sie mir sagen, mir, der doch gründlich unschuldig ist! Aber nur um das Eine bitte ich Sie noch, Sie reden von einem Unglück, sagen Sie mir doch nur in zwei Worten, was denn eigentlich geschehen ist …?“

„Was geschehen ist? … daß diese abscheuliche Französin mir heute triumphirend eine unschätzbare Perle gezeigt hat …“

„Ihnen? Die Brissac? Wie? Wo?“ rief Kaunitz überrascht aus.

„Bei einem Besuch, den sie mir machte, ganz geflissentlich nur dazu, um mir zu zeigen, welche Geschenke ihr Gennaro bereits mache und sie, die Unverschämte, von ihm annehme, gerade als ob sie schon seine Braut sei … und daß ich darüber außer mir gerathen bin und in meiner Verzweiflung meiner Tante Alles gestanden habe und daß meine Tante in ihrem Zorn mit dem Könige geredet hat, und daß der König Gennaro, weil er seinen Posten so oft Nachts verlassen, zu verhaften und nach dem Fort Bard zu schicken befohlen, das ist vorgefallen!“

„Teufel,“ murmelte der Diplomat im Rauchfang zwischen den Zähnen, „das ist allerdings Unglück genug! … Und in Ihren Augen, Bianca,“ setzte er nach einer kleinen Pause hinzu, „bin ich ganz allein an dem Allen schuld?“

„Ja, Sie, Sie, Sie allein!“ rief Bianca im höchsten Zorne aus, „und möge der Himmel Sie dafür strafen, wie Sie’s verdienen!“

„Bianca, wollen Sie noch ein Wort von mir anhören?“

„Nein, nichts, nichts mehr; gehen Sie, gehen Sie und lassen Sie mich endlich, damit ich allein bin, damit ich mich todt weinen kann …“

„Nun wohl, ich gehe; aber Sie werden mir all das Böse, das Sie mir gesagt haben, abbitten, glauben Sie mir das, die Stunde wird kommen!“

Kaunitz begab sich aus den Rückweg. Er bewerkstelligte ihn etwas langsamer, als er gekommen, und langsam auch ließ er, als er wieder in seinem Zimmer stand, den Domino von seinen Schultern gleiten.

„O, mein Herz und meine Perle … wohin seid ihr gerathen!“ sagte er dann nach einer Weile stummen Sinnens … „verirrt, verirrt, kläglich verirrt! Welche Lehre habe ich bekommen! Armer Diplomat, der sich zutraut, in die Schicksale der Völker eingreifen zu wollen, und sich dabei verliebt! Armer Diplomat und … arme Völker! Aber ist denn Alles verloren … bleibt nun nichts übrig, als Alles gehen zu lassen, wie es gehen mag? Soll ich mein Leben lang mich vor mir selber schämen, soll ich Traun sagen hören: Unglücklicher, gieb mir meine Perle wieder! soll ich diesen Gennaro sagen hören: du bist mein Verderber geworden mit deinen treulosen Weisungen! soll Bianca mich ihr Leben lang als einen Verräther betrachten, diese arme Bianca, die so abscheulich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_483.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)