Seite:Die Gartenlaube (1864) 500.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

denn unmöglich durfte er den eigentlichen Zusammenhang gestehen … „es geschah aus reiner Verzweiflung …“

„Aus Verzweiflung machten Sie den Hof?“

„Nun ja – um zu vergessen, um meinen Schmerz zu betäuben, weil … weil …“

„Es ist eigenthümlich, wie sehr Sie stottern … Gennaro – vertrauen Sie mir – sagen Sie mir Alles!“

Die Marchesa legte zärtlich ihre Hand auf Gennaro’s Arm und sah ihm mit Blicken in’s Auge, deren Ausdrucke das Mißtrauen selber hätte vertrauen müssen.

„Nun, so hören Sie’s denn, Marchesa … weil Bianca mir sagte, daß Sie nie Ihre Einwilligung zu unserer Verbindung geben würden, und weil ich Bianca mehr liebe als mein Leben!“

Die Marchesa wandte sich plötzlich ab … sie schritt einem Fauteuil zu und indem sie sich, das Gesicht von Gennaro abgekehrt, niederließ, sagte sie mit leiser, doch offenbar zorniger Stimme: „So … Bianca sagte das? – Bianca glaubt also sehr genau zu wissen, wie ich denke und fühle und was ich beschließen werde … und Sie, Gennaro, Sie lieben also Bianca – mehr als Ihr Leben?“

„Mehr als mein Leben, mehr als meine Seligkeit!“ rief Gennaro aus, und indem er sich noch einmal vor der Marchesa auf ein Knie niederließ, fuhr er mit den Ausrufen stürmischer Leidenschaft fort: „Und Bianca hat Unrecht? nicht wahr, Marchesa, Bianca hat Unrecht? es kann nicht möglich sein, daß Sie, Sie, die Sie Alles haben, der ein Königreich zu Füßen liegt, Ihr Glück darin fänden, für ewig Herzen zu trennen, die sich angehören, die ohne einander der Verzweiflung zum Raube werden und den Tod einem Leben ohne einander vorziehen?“

Die Marchesa stützte ihre bleiche Stirn auf ihre Hand; dann sagte sie leise: „Sie sind ein Thor, Gennaro … Sie wissen nicht, was Ihre Worte …“ Sie vollendete nicht, aber sie sprang plötzlich wie mit einem heroischen Entschlusse auf. Noch immer abgewandt von Gennaro sagte sie rasch und heftig: „Gehen Sie, rufen Sie Bianca – rufen Sie dieselbe zu mir!“

Gennaro eilte davon auf den Flügeln der seligsten Hoffnung – er stürmte in Bianca’s Wohnzimmer und fand ihr gegenüber in ruhiger Unterhaltung – Kaunitz sitzen.

„Sie hier, Graf Kaunitz,“ rief er überrascht aus, „Sie?! … Bianca, wir sollen sogleich vor der Marchesa erscheinen – sogleich – folgen Sie mir zu ihr … mit Ihnen, Graf,“ setzte er zornig hinzu, „habe ich später die Ehre zu reden!“

„Gewiß, es hat Zeit bis später,“ versetzte Kaunitz mit einer lächelnden Verbeugung, „ich mache keinen Anspruch darauf, schon jetzt Ihren Dank entgegenzunehmen, da ich Sie in so großer Eile sehe, Cavaliere …“

„Meinen Dank … meinen Dank für eine Verrätherei, die mich beinahe …“

„Still,“ fiel Bianca ihm in’s Wort, „still, Gennaro, ich weiß Alles. Du verdankst dem Grafen, ihm allein Deine Befreiung und ihm allein auch meine Verzeihung. Er hat mich Alles klar durchschauen lassen – ich begreife Alles – der abscheuliche Franzose, dieser Baron Breteuil ist an Allem schuld. Er hat durchaus durch die Marchesa seine diplomatischen Zwecke erreichen wollen, er hat seine Cousine Aimée dazu abgerichtet, durch die gottloseste Koketterie Dich an sich zu locken, um durch Dich die Marchesa zu beeinflussen …“

„Aber das ist ja nicht wahr,“ fiel hier Gennaro ein, „Graf Kaunitz war es ja, der …“

„Signor Cavaliere,“ fiel hier Kaunitz ein, „ich meine, Sie können mit der Wendung, welche die Dinge für Sie genommen haben, vollständig einverstanden sein. Beeinträchtigen Sie diese Wendung nicht durch Erklärungen und Auseinandersetzungen, welche in diesem Augenblicke nur gefährlich sind … folgen Sie meinem wohlgemeinten Rath und glauben Sie dem, was ich so eben hier Bianca Pallavicini enthüllt habe. Es ist so, wie sie sagt: der Baron von Breteuil hat geglaubt, eine Schwäche der Frau Marchesa von San Damiano für Sie ausbeuten zu können, indem er Sie an sich locken ließ und dann Ihre Freiheit vom Könige erwirkte, in der Hoffnung, daß die Marchesa dafür aus Dankbarkeit ein Werkzeug der Politik werden würde, welcher er diente. Kurz, der abscheuliche Franzose ist an Allem schuld – nicht wahr, Signora Bianca?“

„An Allem, an Allem!“ rief Bianca eifrig aus, „und darum verzeih’ ich Dir auch Alles, Gennaro – und nun komm und laß uns zur Marchesa eilen!“

Gennaro nahm die Hand, die sie ihm reichte, und Beide eilten davon.

„Geht nur,“ sagte Kaunitz, langsam ihnen folgend und mit einem spöttischen Lächeln, „Bianca hat ihre Lection vortrefflich inne, und … der Baron von Breteuil wird aus den Schatten von Stupinigi in die Sonnenhitze müssen!“




9.

Die Marchesa von San Damiano empfing die beiden jungen Leute, die von freudiger Aufregung geröthet vor sie traten, mit kalten, strengen Blicken.

„Ihr habt mich Beide hintergangen,“ sagte sie vorwurfsvoll; „Ihr habt meine Wohlthaten mit Undank gelohnt! Aber ich will Euch verzeihen, und wenn Du, Bianca, dem Gennaro sein Unrecht verzeihst …“

„Ach,“ fiel Bianca Pallavicini ein, „sein Unrecht ist schon verziehen, seit ich ergründet habe, daß er das Opfer einer abscheulichen Intrigue wurde …“

„Und welcher Intrigue Opfer wurde er, welche Intrigue brachte ihn dazu, Dir treulos zu werden?“ fragte die Marchesa mit einem Lächeln der Verachtung auf ihren Lippen.

„Einer diplomatischen Intrigue,“ fiel heftig Bianca ein, „der Intrigue dieses abscheulichen Barons von Breteuil, der seine Cousine Alles aufbieten ließ, um ihn in ihr Netz zu ziehen und um durch ihn …“

Bianca stockte plötzlich, von einem erschrockenen Blicke Gennaro’s in dem Augenblick gewarnt, wo sie sich selbst sagte, daß sie inne halten müsse – und verlegen sah sie zu Boden.

„Also deshalb?“ sagte die Marchesa halblaut für sich, die Mienen der jungen Leute fixirend. „Also dazu?“ fuhr sie in diesem stillen Monolog fort; „ich soll also durchaus die Sclavin dieses schlauen Herrn werden, der mir kostbare Perlen schenkt und mich beherrschen will, durch das, wodurch man eine Frau beherrscht, durch ihre Schwächen? Und dieser Schritt beim Könige! Welche Frechheit liegt in der Voraussetzung, die ihn bewog, Gennaro’s Freiheit zu erwirken! Welche Beleidigung für den König! Welche für mich!“

In der That, die Marchesa fühlte sich tief verletzt, an ihrer Ehre angegriffen – aber auch voll Sorge. Wenn der Baron von Breteuil die Bestrafung Gennaro di Lucano’s der Eifersucht des Königs zugeschrieben hatte, war es dann nicht möglich, daß auch Andere, daß ein Theil des Hofes denselben Gedanken hegten, daß das Gerücht eine ganze Geschichte erdichtete, deren Helden sie und Gennaro waren – daß diese Geschichte endlich sogar das Ohr des Königs, der ein so feines Ohr hatte, erreichte? Dieser Gedanke war unter den ersten gewesen, welche in ihr aufgestiegen, nachdem der Baron von Breteuil sie verlassen hatte – und es war ihr klar geworden, daß es nur ein Vertheidigungsmittel dawider gab – sie mußte der Welt zeigen, daß ihre Theilnahme für Gennaro nichts sei, als eine mütterliche Fürsorge, und kein Ding war mehr geeignet dies zu zeigen, als wenn sie ihre Nichte Bianca dem Cavaliere als Braut zuführte. Dies Opfer mußte gebracht werden, und die Marchesa war entschlossen es zu bringen.

„Ich will nicht weiter forschen,“ sagte sie deshalb, „aber ich sehe, es ist Zeit, solchen Intriguen den Boden zu nehmen. Darum erkläre ich Dir, Bianca, daß ich nichts einzuwenden habe wider Deine Verbindung mit Gennaro di Lucano. Ihr mögt Euch heirathen, wann Ihr wollt, und Gennaro wird Dich alsdann auf seine Güter bringen.“

Bianca warf sich mit überströmenden Augen an die Brust ihrer Tante, und Gennaro küßte knieend ihre Hand.

„Laßt mich, Kinder, laßt mich!“ sagte sie; … „Euern Dank will ich später hören – ich muß jetzt augenblicklich den König sprechen.“

Sie zog die Klingel, und nachdem sie Befehl ertheilt, sie sogleich dem König anzumelden, deutete sie auf das Etui des französischen Gesandten und sagte zu Bianca gewendet: „Nimm das, mein Kind, ich mache es Dir zum Hochzeitgeschenk!“

Damit schritt sie aus dem Zimmer und überließ die beiden jungen Leute ihrem Glück.

Am Nachmittage wurde der österreichische Gesandte Graf

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_500.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)