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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Traun zum Könige beschieden und hatte eine mehrstündige Unterredung mit ihm. Kaunitz erwartete in seinen Gemächern in größter Spannung seine Rückkehr.

Die Excellenz trat endlich ein mit freudestrahlendem Gesicht, in der Hand ein zusammengefaltetes Papier haltend.

„Das Bündniß ist abgeschlossen, Kaunitz,“ rief er triumphirend aus, „wir haben Alles, was wir wollten … auf diesem Blatte sind die Bedingungen von mir niedergeschrieben, vom König gezeichnet … da lesen Sie!“

„Dem Himmel sei Dank!“ jubelte Kaunitz auf, indem er mit zitternder Hand das Papier ergriff.

„Der König,“ fuhr Traun fort, „hatte einen wahren Eifer, zu Ende zu kommen, er war mit Allem einverstanden – und er sprach von Breteuil in einem Tone, der mich vermuthen ließ, daß sein ganzer Eifer, sich mit uns zu verbünden, von dem dringenden Wunsche eingegeben würde, den Baron von Breteuil sobald als möglich sein Hoflager verlassen zu sehen.“

„In der That? Nun dann …“

„Hat mein Attaché nicht umsonst mit gearbeitet!“ rief Traun aus, „ich vermuthete es! Aber jetzt ist keine Zeit zum Erzählen – Sie müssen augenblicklich sich reisefertig machen, augenblicklich, Kaunitz, und das Papier unserer Monarchin überbringen – Sie sehen, ich gewähre Ihnen den Lohn für Ihre Leistungen, noch bevor ich ganz diese kenne.“

„Also bin ich’s doch,“ entgegnete Kaunitz lächelnd, „der zuerst aus den Schatten von Stupinigi in die Sonnenhitze hinaus muß … aber freilich in die Schatten errungener Lorbeeren. Ich danke Ihnen, Excellenz.“

Er eilte davon, den eroberten Siegespreis in der Rechten. Nach einer Stunde war er reisefertig. Eine mit vier Postpferden bespannte Kalesche hielt seiner harrend unten in einem der Schloßhöfe. Da, als er eben im Begriff war, sein Zimmer zu verlassen, wurden ihm ein Billet und ein Etui gebracht. Das Billet enthielt die folgenden Worte: „Wir hören, daß Sie abreisen, Herr Graf. Sie sollen es nicht, ohne die wärmsten Danksagungen mit sich zu nehmen, welche wir Ihnen schulden. Möge das Bewußtsein, daß Sie zwei Glückliche gemacht, Sie lohnen, und die Perle, welche wir diesen Zeilen beifügen und wieder in Ihre Hände legen, Ihnen eine Erinnerung sein an

Bianca Pallavicini und Gennaro di Lucano.“ 

„Nun in der That,“ sagte Kaunitz, „diese Perle hat eine merkwürdige Rundreise gemacht – und kommt gerade im richtigen Augenblick, um mir in Wien einen doppelt freudigen Willkomm bei meiner schönen Gebieterin zu sichern. Und nun leb’ wohl, Bianca, leb’ wohl, Stupinigi! Ich bedaure nur das Eine, daß mir nicht die Zeit bleibt, dem Baron von Breteuil meinen Abschiedsbesuch zu machen, um zu sehen, wie er es erträgt, von einem Deutschen überlistet zu sein, und um der schönen Aimée zuzuflüstern: ‚Trösten Sie sich mit mir, armes Herz, auch mir zerrann ein rosiger Traum!“




Land und Leute.
Nr. 15. Auf rother Erde.
I.
Mit Abbildung.
Der verrufene Strich. – Das erschlossene Westphalenland. – Die grünen Eichenkamps. – Das altsassische Haus. Die Kindelbeer. – „Paßter und Kanter“. – Das Gevatterkleid. – Hans und Grete. – Die geplünderte Speisekammer als Liebesbarometer. – Der bestochene Spitz. – Hinter dem Fenster. – Der Hochzeitbitter. – Die Mindener Bauerntracht. – Der Trauungszug. – Die Hochzeit mit Böllerschüssen und dreitägigem Schmause.


– Westphalen! Du verrufner Strich,
Land meiner Väter – –  

Jäger, Naturforscher und Handwerksbursche sind jetzt noch die einzigen deutschen Menschen, welche auch abseits von Heerstraßen und Eisenbahnen ihre Wege suchen und zu den Leuten kommen, die hinter den Bergen wohnen. Jäger und Handwerksbursche erzählen wohl am Gasttisch und in der Herberge von den unbekannten Thälern, in die sie vorgedrungen, und von den Sitten der Bewohner, deren Heimath vom großen Verkehrsstrom nicht bespült wird; aber ihre Erzählungen verrauschen mit den Abendstunden, die sie ausfüllten. Und dem Naturforscher ist gewiß der Stein in der Schlucht und das Kraut im Wald wichtiger, als der Mensch auf dem Feld und in seiner einfachen Behausung. So ist’s denn möglich geworden, daß wir im lieben deutschen Vaterlande selbst noch „unbekannte Länder“ haben, die für den Forscher der Volkssitten und für den Künstler, der neue Landschaften und neue Staffagen sucht, zu Entdeckungsreisen einladen.

Die Gartenlaube hat schon manchen dieser stillen Winkel, manche verborgene Schönheit der Natur und des Volkslebens an das Licht gezogen, und sie wird es sich zu einer ihrer Aufgaben machen, in diesem Bestreben fortzufahren. Nicht blos unsere großen Gebirge, auch unsere weiten Ebenen verbergen noch viele unbekannte Kleinode, die von ihrer nächsten Umgebung kaum gewürdigt werden. Sie dem deutschen Volke als neuerworbene Schätze darzubringen, ist eine erfreuliche Arbeit, denn wir können nicht Liebes und Gutes genug von unserem Vaterlande kennen lernen, um es immer höher und heiliger zu halten.

Heute lassen wir uns von kundiger, warmer Hand in die Heimath unseres Freiligrath führen, die, trotz der lauten Verherrlichung, die ihr durch diesen ihren größten Dichter geworden, dennoch für das deutsche Volk noch gar manchen verborgenen Schmuck des Landes und des deutschen Herzens bewahrt.

Als im Jahre 1847 der erste Eisenbahnzug durch die Porta Westphalica flog und innehielt inmitten der stromdurchschnittcnen Gebirgsmassen, wo der eine Theil schroff aufsteigende kahle Felsen zeigt, der andere des herrlichsten Waldes üppige Vegetation bietet, – da standen die Reisenden entzückt, bezaubert da! – da flog ihr Blick staunend hinauf zur Höhe der Felswand des Jakobsberges, da schweifte ihr Auge bewundernd zu den Laubmassen der Margarethenklus, deren Gipfel mit der alten Wittekindskapelle gekrönt ist, und mancher Mund fragte: „Das ist Westphalen? Dies ist die rothe Erde? Dies das verrufene Nebelland?“

Ja, das ist Westphalen, wo tausend Reize sich schwesterlich die Hand reichen, wo die Natur in überraschendster Weise das Rauhe mit dem Zarten, das Wilde mit dem Lieblichen vereint! Jetzt weiß man’s lange, welch reiches, schönes und gesegnetes Land das Land der rothen Erde ist. Das Erwachen der Welt für Westphalen fiel mit dem Erwachen der deutschen Freiheit zusammen. Alle die Reisenden, die jetzt mit der Eisenbahn schlafend von Köln oder aus Berlins Sandebenen kommen, sie lassen sich wecken, ermuntern sich, wenn’s heißt: „Auf rother Erde!“

Doch nicht durch jenen Landstrich der rothen Erde allein, der sich von Köln über Essen, Dortmund, Bielefeld und Minden erstreckt, führt die Eisenbahn, Schienenlinien durchschneiden in netzartigen Geweben nun den größten Theil jenes einst so unbekannten Landes. Nur der rothen Erde sagenreiches Hochland, das wild zerklüftete Sauerland, wehrt noch an vielen Stellen mit seinen starren Felskolossen dem Alles nivellirenden Dampfroß den Zutritt. Dort, im wildromantischen Hönnethal, wo in engen Felsschluchten die Eisenhämmer pochen und Hochöfen ihre leuchtenden Flammensäulen über die Fels- und Tannenspitzen hinauf zum Himmel senden, da geben schmale Wege nur Raum für bescheidene Fuhrwerke. Und was würden doch diese wilden Schluchten mit ihren Tropfsteinhöhlen, ihren wohlerhaltenen und zerfallenen Burgen und mit ihrem urthümlichen Volksleben dem reiselustigen Fremden Alles bieten! Denn in jenem Hochland Westphalens, wie in den baumlos öden Haiden, sind des alten Landes starre Sitten und Gebräuche mit nur kleinen Unterschieden noch dieselben, wie vor Jahrhunderten; ebenso ist dies selbst in den lachenden Ebenen und den bebauten Bergen des Teutoburger Waldes und der Mindenschen Kette, wohin die Civilisation schon längst ihren Fuß gesetzt. Die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_502.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)