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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Endlich tauchten hinter den Bäumen, welche die waldigen Höhen krönten, ein spitzer Thurm, hohe Dächer auf. Heiter wurden Eva’s Züge. „Die Staufenburg, die Staufenburg!“ jubelte sie. „Nun lebe ich wieder!“

Der Wagen rollt durch das Thor des alten Schlosses. Eva aber sitzt nicht darin. Vor Gittelde, dem Flecken, der am Fuße des Burgberges gelegen, stieg sie mit ihrer Begleiterin aus und wandelte durch ihr wohlbekannte dichte Waldwege zum Schlosse. An der Mauer, welche das hintere Schloß begrenzte, in der Füllung eines kleinen mit Epheu umrankten Pförtchens stand wartend Johanne Dedeken, des Castellans Gattin. Nur ein flüchtiger, herzlicher Gruß, hinein in die Oeffnung schlüpften die Frauen. Krachend schloß sich die Pforte hinter ihnen.




Im Barfüßerkloster zu Gandersheim wirbelten die Rauchwolken empor. Die hohen Wachskerzen zeigten blutigrothe Flammen, von dem Dunst wie mit einem Schleier umsponnen. Leise präludirte die Orgel, die Todtengebete für das Heil der Seel’[WS 1]sprachen die Brüder. Hoch oben, wie Eva es vorhergesagt, auf schwarzem Katafalke ruhte der Sarg. Eine Sammetdecke mit silbernem Kreuze verziert, bedeckte ihn, und rund umher knieten Mönche. In einiger Entfernung stand die Menge und betrachtete schweigend das Opfer des Todes. Es war gelungen, was der Herzog und die schöne Eva ersonnen. Man glaubte sie todt, die Puppe ward feierlich in die Gruft gesenkt, und währenddessen erwachte die Schöne in den Hallen der Staufenburg zu neuem Leben, das sie nun, zwar geschieden aus der Welt, aber desto ungestörter in den Armen Herzog Heinrich’s genießen sollte.

Als Koch die Nachricht auf den Fürstenberg brachte, spielte Heinrich seine Rolle trefflich. Er erpreßte sich eine Thräne und sagte: „Schad’ um sie, es war ein fromm Mägdlein.“ Als er allein war, schnalzte er mit der Zunge und wippte mit den Fingern vor Freude, daß der listige Streich geglückt, vor dessen Gelingen ihm gebangt. Er sendete seiner Gattin die Nachricht vom Tode Eva’s. Die fromme Herzogin, obwohl zufrieden, einer Nebenbuhlerin ledig zu sein, ließ ebenfalls Messen für das Heil der Seele lesen, und jeder Mönch oder Geistliche, der bei den Vigilien sich betheiligte, erhielt zwei Mariengroschen und brav Essen und Trinken, „weshalb,“ sagt der alte Sleidan in seiner Chronik, „ihrer gar Viele sich zu den Exequien eingestellet haben.“

Den Sarg hatte der Küchenschreiber Schmidt fertigen lassen nach eigner Angabe. Am folgenden Tage war die Baderin gekommen und hatte gefragt, warum man die Jungfrau habe ungebeichtet sterben lassen? Darauf antwortete ihr die Dankwert: „Wer wollte ihr wohl das Sacrament geben, sie konnte nicht mehr reden!“

„Wo ist der goldne Armring? Ihr habt ihn doch der Leiche abgenommen?“ fragt die Baderin weiter.

Da holen die Frauen den Küchenschreiber, und die Dankwert ruft aus: „Schließt den Sarg, Christoph, daß wir nicht Alle aus der Sünde zu Schanden werden.“

Der Küchenschreiber nagelt den Sarg zu und hat ihn durch Pfarrer und Schulmeister abholen lassen. Sie haben ihn zur Barfüßerkirche gebracht, allwo die Puppe in’s Grabgewölbe gesenkt worden, nachdem die Messen gelesen. Als der Stein die Gruft schloß, war Alles vorbei. Eva von Trott lebte in Fülle der Gesundheit, und in der Klosterkirche lag die Puppe des Meister Siemon im Grabe. Herzog Heinrich aber zog fleißig auf die Jagd gen Staufenburg. Er blieb oft Wochen lang fort, emsig beschäftigt mit dem edlen Waidwerk – wie man glaubte. Hier in den schweigenden Wäldern, hinter Mauern und Gräben, hatten die Liebenden freies Spiel.

Jede Annäherung eines Fremden ward sorgfältig verhindert, und um ihrer Rolle als Verstorbene vollständig Ehre zu machen, zeigte sich Eva zuweilen des Nachts als Geist in weißem Gewände auf den Söllern oder der Thurmgalerie des Schlosses. Es währte auch nicht lange, so hieß es in der Umgegend, die weiße Frau spuke da oben, und jeder gute Christ mied den Ort um so beharrlicher. Man hielt nun das Geheimniß für vollständig gesichert und mit der Puppe Meister Siemon’s begraben.




Das Wirthshaus zum Bergknappen in dem Flecken Gittelde war mit Gästen angefüllt. Die Krüge, voll schäumenden Biers, kreisten an den besetzten Holztischen, und die bewegte Zeit gab allerlei zu kannegießern über den Krieg, welchen die protestantischen Fürsten wider den Herzog Heinrich führen wollten, der sich starr der lutherischen Lehre widersetzte. Der Herzog war nicht beliebt im Lande; so sprachen denn Alle größtentheils wider ihn. „Nun,“ rief ein junger Kerl über den Tisch hinweg, „dann, wenn es losgeht mit dem Schlagen, dann wird Mancherlei an den Tag kommen. Auch mit der Hessin da oben auf der Staufenburg wird’s klar werden.“

Es begann nun ein Streit, ein Für und Wider. Jeder gab Vermuthungen zum Besten. Soviel aber ging aus den Reden hervor: die Bevölkerung wußte, daß die Mauern der Burg ein Geheimniß umschlossen, daß dies Geheimniß eine Herzensangelegenheit des Fürsten betraf und daß es ein unerlaubter Handel sei. Freilich war man noch nicht der rechten Person auf der Spur, an Eva dachte Niemand. Die Unterhaltung der Gäste schien von besonderem Interesse für einen Mann zu sein, der, in ein ledernes Wams gekleidet, ein Schwert an der Seite, einen stählernen Ringkragen um den Hals, am Ende des Tisches sitzend, fleißig dem Kruge zusprach. Dieser Mann nannte sich Bernd Goldacker, war Hauptmann der Stadt Erfurt und hielt sich zu Gittelde auf, um Eisen aus den dortigen Schmelzöfen für seine Stadt zu kaufen, da Alles rüstete, falls es auf den Krieg ging. „Ihr sprecht wunderliche Dinge,“ sagte Goldacker, „ich hab’ schon oft davon munkeln hören. Sollt’ es wahr sein?“

„Sicher, Herr Bernd,“ nahm ein Landmann das Wort. „Droben auf’m Schloß geht viel vor. Kein Mensch darf sich nahen. Meine Pflegetochter, deren Liebster hier im Orte Schneidergesell ist, weiß, daß Frauenkleider gefertigt werden für eine Dame auf der Burg. Da kommen Zindel und Tuch, wie man sie sonst nicht sieht, und nie erscheint eine Frau, sich Maß nehmen zu lassen. Das Maß bringt die Kippenberg bei Nacht ihrem Sohne. Der arbeitet danach, und sie ist als Dienstfrau auf dem Schlosse.“

„Das ist gar nichts,“ fiel ein zweiter Gast ein, „ich habe droben als Wache gestanden auf Staufenburg.“

„Ihr? Erzählt, ei, hurtig!“ flüsterte Alles. Sie rückten aneinander, schoben die Krüge zusammen und reckten die Hälse über den Tisch hinweg.

„Ich war mit sieben Mann droben, als die Streitigkeiten mit den Lüneburgern angingen. Da haben wir wachen müssen wegen eines Anfalls. Nun, da hörte man denn Allerlei. Sehen konnte man nichts, denn der Dedeken hielt die zweite Thür stets verrammelt, und wir mußten im ersten Schloßhofe bleiben; aber Nachts, wenn es ganz stille war, dann haben wir ein Gewimmer gehört von kleinen Kindern, und die Wärterin hat sie eingesungen. Als ich in den Graben hinunterstieg eines Tages, fand ich eine zierliche Nürnberger Puppe, wie sie die Kindlein zum Spiele haben. Sie mußte herabgefallen sein. Ich gab sie dem Castellan, der lachte und meinte, ich solle nicht denken, daß Kinder hier oben wären. Es sind aber welche da. Woher kommen sie? Es muß ein Geheimniß walten, und,“ setzte er näher rückend hinzu, „als der Koch gemeint hat, es sei nicht richtig in der Burg – Ihr versteht mich – da ist er verschwunden, Niemand weiß, wohin. Vergangene Ostern hat man den Jägerknecht todt im Brunnenhause gefunden; er war durch und durch gestochen. Und als der alte Amtmann Scharffenstein zu Gandersheim auf den Tod gelegen, hat er beichten wollen, ist aber verschieden, ehe der Pfaff gekommen. Als es der Herzog gehört, hat er gesagt: ,Gut für ihn und mich. Sonst hätt’ ich einen Mönch umbringen müssen?“

„Ja, ja,“ sagte Goldacker, „es hat ’nen Haken! Der Herr Herzog haben immer dergleichen Händel geliebt. Ich erinnere mich noch gar wohl der schönen Eva von Trott, als ich am Wolfenbüttler Hofe war, die Büchsen zu proben. Die Eva hat auch manches Herzeleid der Gemahlin verursacht, aber schön war sie.“

„Die hat ihren Lohn weg,“ sagte Einer, „sie starb im Umsehen an der Pest. Nun sind’s bald sieben Jahre her, daß es sich zugetragen.“

„Woher mag der Herzog die verschwiegenen Leute nehmen? Man hört doch nichts. Auch als die Eva noch lebte, ist wenig geplaudert worden.“

„Nun, wenn gleich Einkerkerung oder Tod darauf steht, läßt es Jeder bleiben. Vor Jahren war unser Bader einmal droben, der hat einer Frau die Ader schlagen müssen. Sie hat aber nur ihren Arm durch die Tapete gestreckt, und der war verzieret mit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Heil der Seel.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_506.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)