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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 33. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Unter dem Bauernkittel.
Eine wahre Geschichte.

Ein Sonntag-Morgen auf dem Lande! – Wer seine Poesie nicht kennt, Worte würden sie ihm nicht schildern; wen er aber umfängt mit seiner Stille, seinem Frieden, er wird sie fühlen, wenn auch sonst seine Brust nicht so zugänglich ist den weichern Empfindungen. Sie schmiegt sich an ihn, ohne daß er’s will; sie bannt ihn in ihren Zauberkreis, ohne daß er es ahnt.

Einer von Jenen, die da weniger sinnen und träumen, sondern mehr denken und handeln, war der junge Mann, der eben aus dem schattigen Dunkel eines Eichenwäldchens trat, ehe er den Graben übersprang, welcher den Wald von den Feldern trennte, unwillkürlich stehen blieb und hier auf eines jener malerischen Dörfer schaute, wie sie das alte Westphalenland wohl einzig in der Art aufzuweisen hat.

Jedes Haus inmitten eines Garten- und Wiesengrundes, der stattliche Hof des reichen Bauern ebenso von alten Bäumen umgeben, wie die niedrige Lehmhütte des Armen mit dem moosbedeckten Strohdach. Jedes Eigenthum umzäunt mit den Hecken des Weißdorns oder kurzem dichtverzweigten Buchengestrüpp, in dessen tiefes Grün sich hier und da eine wilde Rose hineingeflochten, dort wachsend, blühend, erstanden unverhofft wie die Freude, schnell vergehend wie das Glück, das sich momentan zeigt und verschwindet !

Nach der rechten Seite des Dorfes, etwas weiter hin zu den vom höhern Gebirgszuge vorspringenden bewaldeten Hügelketten, die das Landschaftsbildchen umkränzten, da hinüber schweifte der Blick des jungen Mannes am Waldessaum. Dort lag auch ein von alten Linden umschatteter Hof, neben von blühenden Hecken umgrenzten Feldern und Wiesen. Es war ein Bild, ähnlich dem so vieler andern, die hier, wie Perlen aneinandergereiht, eine Kette bilden. Und doch, wie so ganz anders erschien dieser Punkt dem Beschauer! wie anders dieses dunkle Grün der Bäume, über welche der aus dem Hause aufsteigende Rauch blaue Nebelbilder wob; wie anders die Aehren dieser Felder, die Flächen dieser Wiesen, über denen hell der Sonnenglanz leuchtete! Und wie klopfte erst das Herz beim Anblick des weiß und licht ihm entgegenschimmernden Hauses, über dessen Giebel eine Schaar bunter Tauben flatterte! Dort, dort war seine Heimath, da stand’s, sein Vaterhaus, dies liebe Haus, dem er länger denn drei Jahre fern gewesen.

In langsam feierlichen Tönen zitterten die Klänge der kleinen Dorfglocke über das stille Bild des Friedens, über das so laut und mächtig zu ihm redende Bild seiner Heimath hin. Er bedeckte einige Secunden die Augen mit der Hand. Es war nicht, um besser hinweg sehen zu können über die vom Sonnenlicht überstrahlten Felder vor ihm. Als er wieder hinschaute, da war das Auge feucht, das vordem so freudig geleuchtet; da lag über dem ganzen, eben noch so lebendig erregten Gesichte eine Stille, eine Wehmuth, die man einige Minuten zuvor diesen Zügen nicht zugetraut hätte.

Wohl hatte der junge Mann eines jener Gesichter, die in lebendiger Treue jeden Eindruck des Innern wiederspiegeln; doch, nach dem Aeußern zu urtheilen, würde man sein Inneres gerade nicht so weicher Regungen fähig gehalten haben. Es war mehr ein ernster, charaktervoller Kopf, ein Gesicht, das starke Leidenschaften verrieth, ein Auge, das leuchtete, aufflammte und blitzte. Auch jetzt blitzte es in dem Auge – vorüber war der Schatten der Wehmuth, und fest und forschend wandte sich der Blick zurück in den Wald, wo heitres Lachen ertönte und eine andere Stimme hell aufjauchzte.

In der nächsten Secunde tauchte aus dem Waldesdunkel ein Paar auf, das Arm in Arm daherschritt. Beide trugen Westphalens Landestracht, und ihm stand der Rock von weißem Linnen, der schwarze, breitkrämpige Hut ebenso gut, wie dem jungen Mädchen das von silbernen Spangen gehaltene Mieder, der faltige Rock, das Häubchen mit den langen Bändern. Geradaus schritten sie dem Manne entgegen, der eben seine Heimath erschaut; sie sahen ihn auch in der nächsten Secunde und mußten ihn ebenso rasch erkennen, denn sie schrie laut auf: „Der Andreas!“ und er wiederholte erbleichend: „Wahrlich, der Andreas!“

„Heinz! Ilse!“ rief der junge Mann freudig, trat aber zurück, als zwei offenbar völlig verstörte Gesichter ihn anstarrten. „Was ist?“ setzte er hastig hinzu, und sein dunkelgebräuntes Antlitz entfärbten Angst, Schreck, Vermuthung.

Das junge Mädchen, das noch eben so herzlich gelacht, begann bitterlich zu weinen; sein Begleiter reichte dem Jugendfreunde die Hand und sprach ernst: „Willkommen, Andreas, wenigstens mir willkommen, Du weißt, ich hab Dich immer lieb gehabt.“

„Um Gottes Barmherzigkeit willen – im Namen aller Heiligen, was ist hier vorgefallen, was habt Ihr? ist – ist doch nichts – der Anne geschehen – oder sind meine Eltern gestorben? ist mein Bruder –“

„Niemand ist todt drüben im Hofe, Andreas! Doch sag’ mir erst, woher Du kommst, wie’s kommt, daß Du so plötzlich hier bist? Ich hörte, Du würdest noch lang abwesend bleiben.“

„Heinrich!“ entgegnete der Andere leidenschaftlich, „Heinrich, Du hast wohl den Verstand verloren, daß Du meinst, ich könne

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_513.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)