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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Dir etwas sagen, etwas erzählen, wenn Du so bleich bist und die Ilse weint, als ob das Herz ihr brechen sollte? Was habt Ihr? sprich, Du weißt, ich bin sonst kein Hase, zittere aber jetzt am ganzen Leibe vor Todesangst und Pein! Heinrich, Ilse, sagt mir, was geschehen ist; denn ist auch Keiner todt dort im Hause, so doch wohl Jemand sterbenskrank oder – –“

Das Mädchen warf sich lauter schluchzend in das Gras und barg den Kopf tief in den Schooß; der junge Bauer aber nahm den heimkehrenden Freund am Arm und zog ihn fort von dem Platz mit sich in den Wald, indem er rief: „Warte hier auf mich, Ilse; bin ich jedoch in einer Stunde nicht wieder da, so gehe ruhig nach Hause.“




In Westphalen findet man bei den reichen Bauern und Hofbesitzern oft ebenso alte, sonderbare Statuten und Gesetze über Erbe und Erbrecht, wie bei der Aristokratie jenes Landes, das sich das Land der „rothen Erde“ nennt. So alt jener Name, so alt jene Gesetze. So beharrlich, wie Westphalens Volk seine schwarze Erde „rothe Erde“ nennen wird, wenn auch tausend Gelehrte und Nichtgelehrte den Bewohnern des Landes beweisen wollten, daß sie Unrecht haben, ebenso beharrlich werden sie festhalten am Wort und Gesetz ihrer Vorfahren und sich’s nicht nehmen lassen, es unverändert zu vererben auf Kind und Kindeskinder.

Eines dieser Gesetze unter den begüterten Familien jenes Landes ist: daß der älteste Sohn alleiniger Erbe des Gutes oder Hofes wird. Dies Statut hat im Bauernstande, ebenso wie in der Aristokratie, schon vielfach Jammer und Elend nach sich gezogen und ist der Fluch geworden für Manche; es hat Adel und Volk aber auch den Segen gebracht, daß ihre reichen Familien nicht verarmten und das Erbe der Väter, von Geschlechtern zu Geschlechtern übergehend, sich in ihnen erhalten hat und erhalten wird.

Zu einem der reichsten Bauern des alten Westphalenlandes gehörte der Hofbesitzer Claus Dalenkamp. Er hatte zwei Söhne, Martin und Andreas. Martin, der Erstgeborne, war sein einstiger Nachfolger auf dem Hofe, seine Freude, sein Stolz und Liebling. Ueber diesen Sohn ging ihm schon seit Jahren nicht mehr die, welche er sonst seinen höchsten und größten Schatz genannt, sein Weib. Martin war sein Ein und Alles, und hatte er den Knaben schon als Kind gehalten, wie seinen Augapfel, um so mehr liebte er ihn, als derselbe heranwuchs zur Lust und Freude der Eltern.

Sah man Martin Dalenkamp, so konnte man sehr wohl den Stolz des Vaters, den Triumph der Mutter begreifen, denn er war in der That der schönste junge Bursche auf Meilen in der Runde, dabei thätig, fleißig von früh bis spät und stets bedacht, den Eltern ihre Liebe zu vergelten. Groß, schlank, blond, mit lichten blauen Augen und von blendend frischer Gesichtsfarbe, vertrat er in seiner ganzen äußern Erscheinung den Typus des westfälischen Volkes, war auch ernst, still, langsam und bedacht, wie die Kinder jenes Landes mehr oder minder sind.

Der zweite Sohn, Andreas, fast fünf Jahre jünger als Martin, war der völlige Gegensatz des Bruders, nicht allein im Aeußern, auch in Sinn und Charakter. Mit Augen, dunkel wie die Nacht, verband er Haar und Teint, die beide einem Südländer hätten zur Ehre gereichen können. Er hieß im Dorfe und der Umgegend auch nur der „schwarze Andreas“, und dieser „schwarze Andreas“ machte als Kind und Jüngling den Eltern durch seine tausend wilden Streiche viel Sorge und selbst Kummer. Kein Baum zu hoch für ihn, kein Bach zu tief, und mehr denn zehn Mal war er als Knabe dem Vater für todt in’s Haus gebracht, wenn die schwankenden Aeste der Baumkronen ihn nicht getragen und er zu Boden gestürzt oder mühsam unter dem Eise hervorgezogen worden, in das er eingebrochen war.

Trotz seiner Wildheit hatte er das beste Herz der Welt, und, um die Wahrheit zu gestehen, hatten nicht nur die jungen Dirnen den „armen“ Andreas lieber, als den „reichen“ Martin, auch die Mütter und Väter, außer seinen Eltern, sagten schmunzelnd: „Das ist ein echter Bursche!“

Daß die Eltern den sanften stillen Martin gar so sehr liebten und den Erstgebornen als einzig Wunder in der weiten Gotteswelt hinstellten, das that dem schwarzen Andreas oft weh. Machte er als ein in den Sitten der Väter Erzogener und für alle westfälischen Gebräuche blind Eingenommener auch keinen Anspruch an einen Ziegel oder Stein auf dem ganzen Hofe, so doch an die Liebe der Eltern, und diese besaß und behielt uneingeschränkt Martin. Indeß kümmerte es ihn seit der Zeit nicht mehr so tief, wo eine Schwestertochter seiner Mutter, ein armes, verwaistes Bauermädchen, auf den Hof kam und diese kleine Anne seine Spielgefährtin wurde.

Vier Jahre machten die kleine Anna zu einem großen schlanken Mädchen, und ehe Andreas zum Militär, zur Garde nach Berlin, kam, verlobte sich der achtzehnjährige Jüngling mit ihr. Sie beschlossen, den Bund ihrer Herzen geheim zu halten, bis Andreas seine Dienstzeit vollendet und in die Heimath zurückkehrte; sie ahnten nicht, daß Einzelne um dies Verlöbniß wußten.

„Die Claußen-Anna vom Hofe“, wie das Mädchen unter den Bewohnern des Dorfes hieß, entfaltete sich zu einer immer blendendern Schönheit, und vielleicht ein Jahr, nachdem Andreas fort, bat Martin seine Eltern, ihm das Mädchen zum Weibe zu geben.

Martin’s Wunsch war den Eltern Gesetz, und hätten sie es auch vielleicht lieber gesehen, daß er die Tochter des reichen Schulzen heirathete, die dem hübschen Erben sehr gewogen war, so wagten sie’s doch nicht, dem Liebling ihres Herzens einen Wunsch zu versagen, und die reiche Hofbesitzerin verkündete daher ihrer armen Schwestertochter unter Thränen der Freude das ihr bevorstehende Glück.

Wie erschrak die gute Frau, als die schöne Anna für die Ehre dankte und versicherte, sie liebe Martin nicht genug, um sein Weib zu werden! Martin aber, der „stille, sanfte Junge“, wie seine Eltern ihn nannten, der nebenan lauschte, gerieth außer sich. Fest preßte er die Lippen auf einander, noch krampfhafter die Hände zusammen, aber ruhig, lächelnd, trat er wenige Augenblicke später in die Kammer zu Mutter und Base und sagte freundlich: „Ueberreden sollt Ihr die Anne nicht, liebe Mutter; denn sagt sie nicht gern Ja, so ist’s besser, ich nehm’ eine Andere zur Frau.“

Diese Worte halfen ihm mehr voran im Herzen des eiteln und hoffährtigen Mädchens, als die demüthigste Bitte. Es kränkte und verletzte sie nicht wenig, daß der reiche Bruder so schnell Abstand nahm von seinen Wünschen, während der arme Andreas seit ihrer Kindheit sich um ihre Zuneigung beworben und, ehe sie sich ihm verlobt, Wochen, Monde um das Versprechen der Treue gebeten hatte und nicht müde geworden war, ihr seine heiße Liebe in beredter Weise zu schildern.

Der stille, bedächtige Martin kannte aber das junge Mädchen besser, als der leidenschaftliche und verblendete Bruder. Wohlweislich fiel er Anna daher nicht mit glühender Bewerbung zur Last, bat auch seine Mutter inständigst, Nichts in der Angelegenheit zu thun, und bewies der betroffenen Waise, daß er sich ihre Weigerung nicht im Mindesten zu Herzen genommen.

Ging oder fuhr er künftig zur Stadt, so brachte er ihr die schönsten silbernen Miederspangen oder das feinste Tuch zu Kleidern mit, er schenkte ihr die hübschesten Schuhe, die schwersten Bänder und überreichte ihr Alles mit den einfachen Worten: „Damit Du siehst, daß ich Dir nicht gram bin, Anne!“

Das beleidigte Mädchen hätte dem so schnell erkalteten Bewerber gern manchmal all die herrlichen Sachen vor die Füße geworfen, so ärgerte es seine Ruhe; es liebte jedoch den Putz zu sehr und wußte nur zu gut, wie hübsch die schönen Schuhe an seinen kleinen Füßen aussahen und wie herrlich die Bänder zu seinem reichen blonden Haare standen. So dankte Anne denn immer heiterer für die Gaben, dankte nach Jahresfrist sogar sehr warm dafür und zugleich mit einem Lächeln und Erröthen, das auf den stillen Martin berauschend wirkte.

Er war aber zu bedächtig, um sich nur von Lächeln und Erröthen bestechen zu lassen, zu klug, um das für genügend in einem so schwankenden Herzen zu halten, als welches er das der Base nun kannte. So machte er denn noch andere Proben, um sich von der Sinnesänderung Anne’s zu überzeugen, er näherte sich bald diesem, bald jenem hübschen Mädchen im Dorfe, wandte sich aber dann der Schulzentochter wieder zu und erklärte fortan Monate hindurch, während er immer häufiger den Schulzenhof besuchte, daß dort doch die erste Schönheit in Westphalen sei, und das in Gegenwart der reizenden Anne, die längst einstimmig für die Krone aller schönen Mädchen erklärt worden war. Hatte doch außer Andreas sogar ein Maler gesagt, sie sähe aus wie eine Madonna, und gab’s, wenn sie zur Stadt kam, nicht einen vornehmen Herrn, der sie nicht voll Ueberraschung angesehen oder nicht einem Begleiter

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