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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 34. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Unter dem Bauernkittel.
Eine wahre Geschichte.
(Schluß.)


Es war noch früher als die Tage zuvor, da Pater Ignaz am nächsten Morgen am Thore des Stadtgefängnisses klingelte. Als er begehrte, nach der Zelle Nr. 18 geführt zu werden, berichtete ihm der Schließer, daß der Mörder auf Befehl des Königs noch spät am gestrigen Abend in andern bessern Gewahrsam gebracht worden und auch diesen Morgen eine nochmalige genaue Untersuchung anbefohlen sei, da Friedrich Wilhelm nach Durchlesung der Hauptacten und einem Gespräche mit dem Herrn Obertribunalrath geäußert habe, er glaube nicht an die Schuld des jungen Bauern.

Der hellste Freudenstrahl flog bei den Nachrichten über das Gesicht des Priesters, und der alte Schließer, der ihn die Treppe hinaufgeleitete, konnte kaum seinen eiligen Schritten folgen. Bald standen sie vor der neuen Zelle. Ehe aber der Pförtner die Thür erschloß, sagte der Pater: „Lieber Herr Werften, ich habe von heute ab freien Zutritt zu dem Gefangenen, und Niemand ist befugt einzutreten, wenn ich bei ihm bin. Hier das eigenhändige Rescript des Königs, – hier das des Herrn Gerichtspräsidenten, und dies der Schein vom Vorstand der hiesigen Verwaltungsbehörde.“

Der Schließer wies alle drei Schreiben zurück, sah den jungen Priester fast liebevoll an und erwiderte: „Als ob ich an Ihrem einfachen Wort zweifelte! Als ob ich überhaupt denken könnte, daß Jemand aus dem freiherrlichen Geschlecht der K. eine Unwahrheit sagen würde! Nein, so viel kennt man doch die K.s im Westphalenland! Aber die Unterschrift Seiner Majestät Friedrich Wilhelm’s des Vierten, sehen Sie, die möcht’ ich wohl anschauen, hab den Herrn schon liebgewonnen, als er noch als Kronprinz hier mit unserm verehrten Herrn Oberpräsidenten von Vinke unsere Provinz bereiste. Es ist ein gar guter Herr.“

„Das ist er!“ rief der Geistliche mit leuchtendem Auge.

„Sie haben ihm von dem Gefangenen erzählt, nicht wahr? O, ich dacht’s mir gleich, als ich heute hörte, daß Se. Majestät so lange mit Ihnen gesprochen.“

Der Priester legte das Schreiben des Königs in die Hand des Schließers und sagte ruhig: „Ihr wolltet ja wohl den Namenszug sehen?“ und trat in die Thür, die er rasch öffnete.

Nicht war’s das große, freundliche, sonnige, nach der Gartenseite hin gelegene Zimmer, nicht die hübsche, wenn auch einfache Einrichtung, die der Priester bei seinem Eintritt sah, er erkannte in dem Raume für den ersten Augenblick nur Eins – Andreas ohne Ketten!

Der Gefangene wandte sich beim Oeffnen der Thüre lebhaft um, kaum sah er den Geistlichen, so stürzte er auf ihn zu und lag, ehe der’s hindern konnte, zu seinen Füßen, und sein Gewand küssend, seine Kniee umklammernd, rief er unter Thränen: „Dank, Dank, o tausend Dank, daß Sie mir diese Gnade vom Könige erwirkt haben!“

Tief bewegt, erschüttert, keines Wortes mächtig, beugte sich der Priester zu dem ehemaligen Jugendgespielen, versuchte ihn emporzuziehen, faltete aber im nächsten Augenblick seine Hände und schaute verklärten Auges gen Himmel, als der am Boden Liegende in leidenschaftlicher Aufregung ausrief: „Nein, lassen Sie mich! Ihre Liebe, Ihre Güte, des Königs Huld hat mir tief, tief in mein verhärtet Herz gegriffen! Lassen Sie mich hier zu Ihren Füßen mit meinem Dank meine Beichte verbinden und hören Sie sie an im Namen des dreieinigen Gottes, im Namen der Mutter Maria und dem aller Heiligen, die mich schützen mögen! – – Vor acht Tagen waren’s gerade zwei Jahre, als ich zur Heimath zurückkehrte. Ich hatte meinen Militärdienst beendet und hätte wohl recht froh und glücklich sein können, allein merkwürdiger Weise überfiel mich eine unerklärliche Angst und gönnte mir unterwegs keine Ruhe. Erst als ich mein Dorf vor mir liegen sah, fiel mir die Centnerlast von der Seele, überglücklich wollte ich die letzte Strecke durcheilen, da ward mir eine Kunde, die mich zur Stelle bannte. – – Ich hatte auf dem Hofe der Eltern eine Braut. Diese wurde gerade in der Stunde mit meinem Bruder in der Kirche getraut! Was soll ich meinen Schmerz schildern? Sie kennen das Leid, Baron Adolar, das Treubruch bringt, denn Ihre Cousine Flora lehrte es Sie, ich weiß es! Denken Sie an den Tag zurück, wo sie Ihren Bruder heirathete, frommer Vater, und glauben Sie, der Bauer Andreas fühlte den Schmerz ebenso tief, wie der junge Freiherr.“

Andreas hielt einige Augenblicke inne, der Priester legte leicht seine Hand auf das Haupt des Knieenden und sprach leise: „Armer Andreas, armer, unglücklicher Freund!“

„Ja, unglücklich war ich! O Herr, so trostlos, so verzweifelt, daß der Freund, der mir Alles gesagt, mich nicht verlassen mochte, wie heiß ich mich auch vielleicht darnach sehnte, allein zu sein. Wir blieben unten in dem Eichenwäldchen, das Sie kennen, das dicht an die Wiese außerhalb des Schloßparks stößt. Dort lief ich, von rastloser Unruhe getrieben, Stunden lang umher, dort lag ich regungslos Stunden lang im Rasen. Die Dämmerung kam, ohne daß ich wußte, was anfangen, was thun. Die Dunkelheit brach ein, und noch hatte ich keinen Entschluß gefaßt, wohin

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_529.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)